Biografie
Ottilie Baranowski wurde 1925 in Bevergern (heute Hörstel) im Kreis Steinfurt geboren. In ihrem kinderreichen Elternhaus wurde ausschließlich Platt gesprochen. Die höhere Schulbildung blieb ihr verwehrt, weil das Schulgeld und die Fahrtkosten nach Rheine fehlten und zuerst „die Jungs etwas lernen“ sollten. Von 1940 bis 1942 besuchte sie die Berufs- und Handelsschule der Stadt Rheine. Nach erfolgreichem Abschluss arbeitete sie für die Amtsverwaltung Bevergern. Im Krieg wurde sie 1944 dienstverpflichtet und in einer Kaserne in Gütersloh als Fernschreiberin und anschließend bei einem Luftabwehr-Kommando in Münster eingesetzt. Kurz vor Kriegsende kehrte sie nach Bevergern zurück, wo sie erneut in der Amtsverwaltung tätig war.
Nach Rückkehr der Kriegsteilnehmer mussten alle Frauen ihre Stelle räumen. Sie absolvierte ein zweijähriges Hauswirtschaftspraktikum. Ihr Abschluss berechtigte sie zwar zur Ausbildung als Landwirtschaftslehrerin, doch die einzige Ausbildungsstätte war seinerzeit in Wilhelmshaven, was diesen Plan zunichtemachte. 1949 fand sie eine Anstellung beim Arbeitsamt in Münster. Nach erfolgreicher erster und zweiter Verwaltungsprüfung wechselte sie 1961 zum Landschaftsverband Westfalen-Lippe, für den sie rund zweieinhalb Jahrzehnte in der Sozialhilfe tätig war, abgesehen von fünf Jahren, in denen sie als Bibliothekarin beim Westfälischen Heimatbund arbeitete. 1986 trat sie in den Ruhestand. Sie starb 2022 in Riesenbeck.
Beim Westfälischen Heimatbund (2. von links)
Liebe zum Niederdeutschen
Bereits in ihrer Jugend kam Ottilie Baranowski über eine katholische Leihbücherei mit der Mundartliteratur in Berührung. Zur niederdeutschen Szene stieß sie aber erst 1949, nach ihrem Umzug nach Münster. Hier knüpfte sie Kontakte zum Plattdeutschen Krink und besonders zur Niederdeutschen Bühne am Theater Münster, für die sie seit 1954 aktiv war. 1964 übernahm sie ihre erste Rolle in einem Lustspiel von Hermann Homann. Sie trat nicht nur als Schauspielerin auf, sondern übersetzte auch Stücke in Münsterländische Mundart. 1973/74 spielte sie letztmals für die Niederdeutsche Bühne, blieb dieser aber als Übersetzerin verbunden. Daneben übernahm sie seit den 1950er Jahren Sprecherrollen für niederdeutsche Hörspiele des WDR. Sie übertrug nicht nur zahlreiche Hörspiele ins Münsterländer Platt, sondern verfasste mit Vakanzen-Dagebook auch ein Hörspiel, das vom NDR gesendet und später von Radio Bremen unter dem Titel Ferien mit Adam Riese ausgestrahlt wurde.
Veröffentlichungen
Ottilie Baranowski begann ihre belletristische Tätigkeit in den frühen 1960er Jahren mit Texten – meist Gedichten – für Zeitungen, Zeitschriften und Kalender. Außerdem beschäftigte sie sich publizistisch mit dem Brauchtum ihres Heimatortes. 1973 erschienen drei plattdeutsche Gedichte sowie ein plattdeutscher Prosatext in einem Theaterprospekt der Niederdeutschen Bühne Münster. 1978 kam ihr erster Gedichtband Wind weiht heraus, der in sechster Auflage 1994 um 30 Gedichte erweitert wurde. 1982 folgte ihr zweiter Gedichtband Nagelholt.
Daneben veröffentlichte Ottilie Baranowski seit den 1970er Jahren in Heimatkalendern und Monatsschriften plattdeutsche Gedichte und Kurzgeschichten. 1984 brachte sie gemeinsam mit Joseph Uhlenbrock den Band Nu kiek doch een’ den annern an! Plattdütske Riemsels un Vertällsels heraus sowie 1989 den illustrierten Band Päörtkes, Püttkes, Pädtkes: Tore, Brunnen, Wege für den ortsansässigen Heimatverein. Zu erwähnen sind weiterhin zwei von der Autorin besprochene Hör-Kassetten sowie ihre Mitarbeit an anderen Hör-Produktionen.
Breit gefasstes Themenspektrum
Ottilie Baranowski wandte sich vor allem der Lyrik zu. Sie adaptierte zwar literarische Traditionen, fand jedoch einen eigenen Ton. „Nur zum Teil sind Ottilie Baranowskis Gedichte, Kurzgeschichten und Poeme humoristischer Art. Ihr erster Gedichtband Wind weiht (1978) […] schlägt spürbar andere Töne an. Neben liebevollen Menschenschilderungen begegnen uns hier […] Disharmonien, Schmerz und Klage über den Verlust des Liebsten im Kriege […] Dabei tritt in der Metaphorik ein besonderes Verhältnis zur Natur hervor, die sowohl befreundet und vertraut als auch abweisend erscheint. Die Naturbilder werden zu Seelenbildern und spiegeln die Erfahrung der Begrenztheit und Endlichkeit menschlichen Daseins.“ (Cornelia Fieker) „Tiefsinnig-Ernstes“ wechsele mit „erfrischender Leichtigkeit“, Alltägliches und Menschliches mit Kuriosem, „aufgespießt mittels Ironie und Satire. Daß sie allgemeine Zeiterscheinungen äußerst genau registriert und in traditioneller Gedichtform verarbeitet, macht ihre Gedichte so aktuell wie lebendig“ (ebd.).
Ernste Themen
Als Ottilie Baranowski 1994 mit dem Fritz-Reuter-Preis ausgezeichnet wurde, hob die Jury besonders ihre Gedichtbände Wind weiht und Nagelholt heraus. Zur erstgenannten Sammlung heißt es in der Laudatio: „Über dem Lyrikband liegt eine eigentümliche Trauer. ‚Finale Strömungen‘ (Gottfried Benn) herrschen vor; Tod und Vergänglichkeit spielen eine große Rolle. Auch die zahlreichen Liebesgedichte atmen diese Grundstimmung; die unerfüllte, vergeblich wartende, die betrogene und durch Krieg und Tod zerstörte Liebe sind die eigentlichen Themen. Aus nur wenigen Gedichten sprechen Zuversicht und Lebensbejahung.“ (Heinz Werner Pohl)
Ehrenamtliches Engagement
Ottilie Baranowski arbeitete in verschiedenen Autorenkreisen und Vereinigungen mit, so im Schriewerkring und der Fachstelle Niederdeutsche Sprachpflege des Westfälischen Heimatbundes. Seit 1979 war sie Mitglied und seit 1993 Vorsitzende des Beirates des Bremer Instituts für die niederdeutsche Sprache. Außerdem war sie seit 1984 Geschäftsführerin der Augustin Wibbelt-Gesellschaft. Im Münster’schen Mühlenhof gab sie Niederdeutsch-Kurse, wodurch sie sich ihren ursprünglichen Wunsch, Lehrerin zu werden, zumindest ansatzweise erfüllen konnte. In ihren Rezitationsprogrammen brachte sie bevorzugt Augustin Wibbelt zu Gehör.