Biografie
Norbert Johannimloh wurde 1930 als eines von zehn Kindern eines Maurers in Verl im Kreis Gütersloh geboren. Die Familie betrieb nebenbei eine kleine Landwirtschaft. Sein früher Berufswunsch war, Pastor oder Afrika-Missionar zu werden. Nach einem Studium an der Universität Münster wurde er Lehrer in den Fächern Deutsch, Latein und Kunst am münster’schen Schlaun-Gymnasium. 1972 wechselte er als Akademischer Oberrat an die Pädagogische Hochschule in Münster. Später wirkte er als Studiendirektor im Hochschuldienst an der dortigen Universität, jeweils mit den Schwerpunkten Niederdeutsche Literatur. Er starb 2022 in Münster-Wolbeck, seinem langjährigen Wohnort.
Anfang der 1960er Jahre befreite Johannimloh die westfälische Mundartpoesie vom Ruch der Döhnekes-Harmlosigkeit und wagte den Brückenschlag zur literarischen Moderne. „Vom Altväterton zum Neuen Klang. Niederdeutsche Literatur an einem Wendepunkt“, überschrieb damals Siegfried Kessemeier eine Kritik. Bei Johannimloh werde das Plattdeutsche aus dem „Unterholz des Kuriositätendaseins“ befreit. Als Anerkennung für En Handvöll Rägen (1963) erhielt Johannimloh im selben Jahr den Klaus-Groth-Preis. Seine reimlose niederdeutsche Lyrik war zu dieser Zeit eine Besonderheit.
Neue Themen
Besonders thematisch beschritt Johannimloh in En Handvöll Rägen neue Wege: „Diese Lyrik ist keine Dienstleistung in der Sisyphus-Arbeit zum Erhalt einer sterbenden Sprache. Auch keine literarische Brauchtumspflege, sondern der Versuch, die niederdeutsche Sprache an die lyrische Moderne anzuschließen. Darin steckt eine gänzlich andere Weltsicht als in der engen regionalen Idyllen-Lyrik der Vorgänger. Im bedrohten, verlorenen Ich in diesen Gedichten ist das Wissen um die Vergänglichkeit allgegenwärtig, in eher nüchternen Worten erscheinen Bilder von unlarmoyanter Trauer. Das ist weit entfernt von der damals noch üblichen harmlosen Dönekes-Dichtung […] ein ganz wichtiger Schritt in eine andere, neue Richtung.“ (Georg Bühren) Damit steht der Band am Anfang einer neuen westfälischen Mundartlyrik und wurde für andere Autorinnen und Autoren wegweisend.
Ressentiments
Das Erscheinen der Gedichte löste seinerzeit auch Skepsis und Ablehnung aus, weil Johannimloh keine heile, ländliche Welt präsentierte. „Nirgends erscheint in diesen Gedichten das Landleben als Idylle, es lauern Angst und Verrat, das Schöne ist fadenscheinig, die Beziehungen der Menschen untereinander von latenter Gewalt.“ (Bühren) Im Nachwort des Gedichtbands sprach Konrad Hansen von der „Provokation dieser Verse“, weil sie nicht in Hochdeutsch, sondern Plattdeutsch abgefasst seien. Im Hochdeutschen würde man sie „irgendwo zwischen Wilhelm Lehmann und Paul Celan“ einordnen. „Vorbilder für diese Gedichte wird man im Plattdeutschen vergebens suchen. Um sie aufzuspüren, müsste man sich schon innerhalb der zeitgenössischen hochdeutschen Lyrik und der anderer europäischer Hochsprachen umschauen.“ Ernst Meister rühmte Johannimloh als einen „jungen Lorca Westfalens“.
Im Anschluss an den thematisch vergleichbaren hochdeutschen Lyrikband Wir haben seit langem abnehmenden Mond (1969) kehrte Johannimloh in Riete (1991) zur Mundart zurück. „Risse“ stehen hier für den Verlust an (persönlicher) Sicherheit in einer unüberschaubar gewordenen Welt. Erneut wird das fortschreitende Alter zum Thema.
Reformer des westfälischen Hörspiels
Auch beim westfälischen Hörspiel und in der Prosa beschritt Johannimloh Neuland. Beim Hörspiel griff er nicht nur aktuelle und brisante Themen auf (De Atomreaktor, 1970), sondern adaptierte auch zeitgemäße Formate: Airport Mönsterland (1971) war das bis dahin erste O-Ton-Hörspiel im Dialekt. Ulf Bichel: „Unter den westfälischen Hörspielautoren der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist Johannimloh sicher als der wichtigste hervorzuheben.“ Jochen Schütt bezeichnete Johannimlohs Hörspielschaffen „als geradezu vorbildhaften Glücksfall“ für die niederdeutsche Literatur. Insgesamt wurden ab 1962 zwölf vornehmlich niederdeutsche Hörspiele Johannimlohs vom WDR und von anderen Sendern ausgestrahlt.
Westfälische Dorfgeschichten anderer Natur
Mit Appelbaumchaussee (1983) erneuerte Johannimloh die westfälische Dorfgeschichte. Seine – so der Untertitel – „Geschichten vom Großundstarkwerden“ schildern, autobiographisch gefärbt, die Kindheit in einer bäuerlich-proletarisch katholischen Umgebung der 1930er und 1940er Jahre. Unsentimentales Erzählen, exakte Detailbeobachtung, landschaftliches Kolorit und ein mit Ironie durchsetzter Ernst machten – so Jürgen P. Wallmann – Appelbaumchaussee zu einem Stück Regionalliteratur im Sinne Robert Walsers und Annette von Droste‑Hülshoffs. Geschildert wird die Konfrontation mit Gewalt, Tod und Frustration. „Bei allen teilweise leidvollen Erfahrungen schwingt aber immer ein dezenter Humor mit, der aus der Kinderperspektive, aber auch aus einer lakonisch-trockenen rückblickenden Erzählweise entsteht.“ (Robert Peters, Elmar Schilling) Heimat auf Westfälisch hieß damals alles andere als Idylle. Die Wirklichkeit war geprägt von sexueller Verklemmung und Tabus, von der Sprachlosigkeit des eigenen, verbitterten Vaters, von Beichtnöten und rohen Schlachtfestszenarien sowie vom Eingesperrtsein in einer engen Welt. Appelbaumchaussee wurde zu einem ‚Klassiker‘ der westfälischen Literatur mit zahlreichen Neuauflagen.
Der Literaturredakteur
Während Johannimlohs literarische Verdienste in vielen Beiträgen ausgiebig gewürdigt wurden, blieb fast unerwähnt, dass er von 1965 bis 1989 Literaturredakteur des Magazins Westfalenspiegel war. In dieser Eigenschaft verhalf er zahlreichen Autorinnen und Autoren zu literarischen Debüts. Auch hier trat er entschieden für die literarische Moderne in der westfälischen Literatur ein. In dem von ihm verantworteten Literaturteil erschienen zahlreiche Texte Johannimlohs im Erstdruck.