Heinrich LuhmannHeinrich Luhmann1890–1978
Heinrich Luhmann1890–1978Heinrich Luhmann

Biografie

Heinrich Luhmann wurde 1890 als Sohn eines Maurermeisters in Hultrop bei Soest geboren. Er schlug die Schullaufbahn ein. Während seiner zehnjährigen Zeit als Volksschullehrer in Kirchhundem/Sauerland begann er, sich intensiv in der sauerländischen Heimatbewegung zu engagieren. 1922 wurde er in Münster zum Dr. phil. promoviert. Anschließend war er Rektor in Soest (1922–1926) und Münster (1926–1930), Schulrat in Warendorf und bis 1945 Oberregierungsrat in Arnsberg. Bei seinem beruflichen Aufstieg profitierte er maßgeblich von seiner Linientreue gegenüber dem NS-Staat. Neben seiner Tätigkeit als Lehrer veröffentlichte Luhmann seit den frühen 1920er Jahren zahlreiche, oft humorvolle, oft im Bauernmilieu spielende Dorferzählungen. Als ehemaliges Mitglied der NSDAP wurde er nach 1945 zunächst beurlaubt, dann aber weiterbeschäftigt. Wegen eines Augenleidens ließ er sich vorzeitig pensionieren und lebte zuletzt zurückgezogen als freier Schriftsteller in Hamm, wo er 1978 starb.

Im Kreis anderer westfälischer Mundartautor:innen

Luhmann war mit zahlreichen westfälischen Mundartautor:innen befreundet. 1938 beteiligte er sich an einer Neuausgabe der Mundartlyrik Christine Kochs und besorgte 1965 eine Auswahl der niederdeutschen Gedichte Hermann Wettes. Er selbst trat erst 1970 mit seinem Werk An de Poote als Mundartdichter seines Heimatdorfes Hultrop an die Öffentlichkeit. „Damals sprach in unserem Dorf und im Soester Lande noch fast jeder Mensch, auch jedes Kind, die alte Sprache des Vol­kes. Man würde sich lächerlich gemacht haben, wenn man sich hochdeutsch ausge­drückt hätte.“ (Vorwort) Luhmanns Weihnachtstext Die Holzschu­he im Himmel wurde 1952 in einer münsterländischen Mundartfassung von Franz Mehring im Hörspielprogramm des Rund­funks gesendet. Luhmann wiederum besorgte eine Hörspiel- bzw. Bühnenbearbeitung von Schwänken Friedrich Wilhelm Grimmes. Auf Tonträger erschien das weihnachtliche Hörspiel De gestuohlene Pastor nach einer Erzählung Luhmanns in einer Bearbeitung in Münsterländer Mundart von Hermann Homann.

Heinrich Luhmann Werk

Der NS-Propagandist

Ende der 1920er Jahre schloss sich Luhmann dem Sauerländischen Künstlerkreis an, der später eine radikal völkisch-nationale Grundhaltung vertrat. Er gehörte auch dem Westfälischen Schriftsteller-Ring an, der ebenfalls dem NS nahestand. In Warendorf gründet Luhmann eine regionale Gliederung des NS-Lehrerbundes (NSLB), dem er als Kreisamtsleiter vorstand. 1934 betraute man ihn mit der Leitung einer sogenannten Lesebuchkommission für Westfalen, der die Überprüfung von Lehrmaterialien und Schulbibliotheken in Hinblick auf ‚entartete‘ Literatur oblag. 1935 wurde er als „treuer und stiller Arbeiter“ der NS-Bewegung bezeichnet. Daneben veröffentlichte er in den 1930er und 1940er Jahren in regelmäßigen Abständen politisch-kulturelle Texte mit nationalsozialistischem Gedankengut. Gemeinsam mit anderen Autorinnen und Autoren legte er 1941 in der NS-Zeitschrift Heimat und Reich ein Kriegsbekenntnis ab. Für Steffen Stadthaus war Luhmann ein „systemkonformer Hardliner“ der NS-Bewegung, dessen Romane und Erzählungen ausgeprägte antisemitische, antiziganistische und sonstige rassistische Tendenzen enthalten und der „Legitimation des NS-Staates“ dienten.

Heinrich Luhmann
Mit Anton Aulke 1932, ULB Ms

Renate von Heydebrand urteilte über Heinrich Luhmann: „Mit seinen ersten Büchern Wo die Wälder wache halten. Geschichten aus den Bergen (1918) und Die Heiligen in Holzschuhen. Ein Legendenbuch (1923) möchte man ihn, auch wegen des liebenswürdig-humorvollen Erzählens, zum Wibbelt’schen Strang der Heimatdichtung zählen. Aber mit dem Übergang zu größeren Formen, zum Bauernroman, in Das Sündenwasser (1928), noch deutlicher in Pflug im Acker (1933) und in Der Bauernreiter (1936), zahlt auch er seinen Tribut an die Zeitströmung, stellt er in künstlich-archaisierendem Monumentalstil schreckliche Konflikte von Blut und Leidenschaft, Schuld und Schicksal auf seine Bühne […] Was der Autor aber für eine Anthologie Westfälische Geschichten 1938 von verschiedenen Verfassern zusammenträgt, ist mit geringen Ausnahmen ganz ‚linientreue‘ Dichtung, mit einigen besonders problematischen Beispielen von Verherrlichung einer Opfergesinnung für den Krieg.“

Unkritisches Erbe

Nach 1945 war der ungemein produktive Autor bald wieder eine zentrale Gestalt der konservativ geprägten westfälischen Literaturszene. Er konnte wieder ausgiebig publizieren, so etwa im vielgelesenen Monatsmagazin Westfalenspiegel. Seit den 1950er Jahren gab er erneut Schulbücher, verschiedene literarische Anthologien und eigene Kurzprosa heraus. Noch immer operierte er mit dem Vokabular der ‚Volkstumsideologie‘, die er nun aber stärker christlich akzentuierte. Eine kritische Selbstprüfung seiner Positionierung im Nationalsozialismus blieb aus. 1966 wurde ihm das Bundesverdienstkreu­z 1. Klasse verliehen.

Heinrich Luhmann Werke

Ick soch van Nacht de Mutter stohn
an uese Gooernpoote.
Se wochte, wie sei immer don,
kamm ick van fäern de Stroote.
Se wochte an de Poote.

Se sagg: „Neo bis diu änligs do.
ick wochte a seo lange.
Neo kumm mä näger, kumm mä – jo,
ick was a’n bittken bange,
diu bliewst dütmoal seo lange!“

De Mutter is a länges döot,
se geng de duistre Stroote.
De Dräöm van Nachte bragg mi Nöot.
Wächt sei a an de Poote?
Ick goh de söf’tge Stoote.

Van Dage hal’k mi’t Sünneken
un muorgen ’t Riägentünneken
un üermuorgen smoit’k mit Snoi,
un dat diän Dag is Ois deboi.
Un tüskendüer mak ick Wind –
dat Jüngsken is moin leiwste Kind!

Do seiht jiu, wat en rächten Mann
doch alles daun und droiwen kann.
Un miärkt jiu: de Verännerung,
die mäckt diän Käl un hält ne jung!

Jo, jo, do stoiht jiu Tüngsken still,
Neo settet op diän rächten Brill:
Was liäst jiu do? April! April!

Ick stoh bis an de Buorst im Kooern,
seih mä seoiäwen Duorp un Tooern.
Dat ganse Feld, et rückt no Bröot.
Ick bann de Näot.

Doch manges brennt mi alltegrell
de Dummersunne op dat Fell.
In moine Odern kuokt dat Blaut
boi iähre Glaut.

Dann jag’k de Wolken kruiß und quiär,
dann hal’k mi Blitz und Donner hiär.
Un geng de Welt di kuort un klein.
Ich leit’s gescheihn!

Kroig’k dann ’n Schieur op’n Kopp.
dann hööert de Dullheit wanners op.
Ick brach diän Luien viel Vedruet –
ick mak et guet!

Van muoren an füert ganse Land
giert Arntewiär van Bestand!
Dann springt se boll un makt Buhei
op Harkemei!

Et is a late in dr Toit.
De lesten Blaumen blögget.
Breng hännig no wat op des Soit
un plücke, wat die frögget.

Boll’ ligg de Snoi op Busk un Bäom,
Diu kickes düer de Riuten.
Was dat neo alles bläös ’n Dräum?
Was ’t würklick Summer biuten?

Jo Summer was’t, jo, Summer was’t,
diu draffe ne nitt veleisen,
holl ne di fast, holl ne di fast,
und lott di nix vefreisen.

He ’k Holsken an, he ’k Holken an,
dann sin ick ois’n rechten Mann.
Ich kann mi höern looten
te Huis un op de Strooten.
Do goiht dat Klack un Tack
un Tack un Klack!
Mag nitt dat viele Loisetriän.
Well ’k wäern mit dr Welt tefriem –
treck ’k Holsken an, treck ’k Holsken an!

He ’k Holsken an, he ’k Holken an,
mi gar nitt viel passöern kann.
Düer Droite kumm ’k un Puite,
kein Loikdöern bitt der Fuiete.
Do goiht dat Klack und Tack
un Tack un Klack!
In moine Toipen kümp kein Fuorst.
Kroig ich ’t ’n bittken op de Buorst,
treck ’k Holsken an, treck ’k Holsken an!

He ’k Holsken an, he ’k Holken an,
uo Sunndag is ’t – war sall dat dann?
Ick goh do in no Kiärken,
dat sütt se alle miärken –
et goiht doch Klack und Tack
un Tack und Klack!
Un kumm ik vüör de Hiemmelspoot,
Un fählt mi so wat an de Moot,
treck ’k Holsken an, treck ’k Holsken an!

Sind dat am Hiemel Stäern?
Well et dann Nacht a wäern?
Seo fruih a Nacht? Seo fruih Nacht?
Ha ’k nitt bedacht!

Ich ha seoviell te dauen.
Ich kamm nitt iut’n Schauhen.
Moin Dag, dei was mi vielll te kuort –
O Guott, o Guott!

A lämgs de Knoppen sprüngen,
im Holt de Vüegel süngen.
Moin Noover dräg seon swooer Loid –
ick ha kein Toit!

Seo vull, seo vull de Stunnen,
he tau mi sölwst nitt funnen.
Neo, wo et düister wäern well,
wett’t in mi hell.

Ich seih! Ich sitte lange.
Dat Hiärte wett mi bange.
Ich woit, ick he diän Dag verdon –
wi sall’k bestohn?

Giff muorgen mi Verwoilen,
un lott mi nitt seo oilen.
Moin Liäwen, dat is viell to kuort –
O Guott, o Guott!

Literatur

Hermann Wette. Mauderspraok. Kleine Auswahl aus seinen Gedichten. Münster 1965 [Herausgabe]

Renate von Heydebrand: Literatur in der Provinz Westfalen 1815–1945. Ein literar-historischer Modellentwurf. Münster 1983

Dietmar Rost: Der westfälische Erzähler Heinrich Luhmann, in: Sauerland Nr. 4, 1990, S. 140f.

Steffen Stadthaus: Heinrich Luhmann – Heimatdichter und Nationalsozialist?! Gutachten im Auftrag der Stadt Hamm. Münster 2012

Ralf Stiftel: Gebunden an Erde und Volkstum: Heinrich Luhmann – kein unpolitischer Sänger Westfalens, in: Volker Pirsich (Hg.): Zeitenweise Hamm. Eine Hammer Literaturgeschichte in Autorenporträts. Hamm 2015, S. 77–91

Vollständige Biobibliografie siehe:
www.lexikon-westfaelischer-autorinnen-und-autoren.de/autoren/luhmann-heinrich/