Biografie
Hannes Wader wurde 1942 in Gadderbaum bei Bielefeld in einfachsten Verhältnissen geboren. Dem Kapitel ‚Junge vom Lande‘ widmete er etwa ein Drittel seiner fast 600-seitigen Autobiografie Trotz alledem (2020). In der Schule war er „Hans der Träumer“. Er liebte das Alleinsein, kapselte sich ab. Oft wurde er von Älteren gehänselt und gedemütigt. Trost fand er in der Lektüre. Er las alles, was ihm in die Finger fiel, vom Comic bis zur ‚gehobenen Literatur‘. Das mit seiner Kindheit verbundene Grundgefühl der Verlassenheit und Traurigkeit habe ihn sein ganzes Leben hindurch begleitet, resümierte er später. Es sei einhergegangen mit Melancholie, Überempfindlichkeit und einer „ruhelosen, ziellos in alle Richtungen zerfasernden und zerfließenden Fantasie“.
Musik als Ventil
Der gelernte Schaufensterdekorateur spielte im Mandolinenorchester seines Vaters und war dann vom Dixi-Jazz fasziniert, lernte Gitarre, Klarinette, Saxofon, spielte in Schülerbands und begleitete einen Akkordeonspieler auf Schützenfeste und anderem Rummel, wofür er erste, bescheidene Gagen erhielt. 1962 begann er ein Grafikstudium an der Werkkunstschule Bielefeld. Nach einem Zerwürfnis mit seinem Dozenten ging er nach Berlin, wo er sein Studium an der Akademie für Graphik, Druck und Werbung, der heutigen Universität der Künste, fortsetzte. In diese Zeit fielen seine ersten Gehversuche als Liedermacher. „Nur nichts Deutsches“, lautete damals die einhellige Meinung. Wader, Franz Josef Degenhardt, Reinhard Mey und andere widerlegten jedoch das Vorurteil, Deutsch sei ‚unsingbar‘. Wader entwickelte eine eigene Songsprache, mit der er zu einer Wiederbelebung des deutschen Chansons beitrug.
Durchbruch
Seinen Durchbruch erlebte Wader 1966 bei seinem ersten Auftritt auf dem Liedermacherfestival Burg Waldeck. Er wurde auf einen Schlag zu einem Star der Liedermacherszene. Bald trat er in Hallen vor 3.000 bis 5.000 Besuchern auf. Ausverkaufte Tourneen, unter anderem mit Reinhard Mey oder Konstantin Wecker, schlossen sich an. In einem FAZ-Interview resümierte Wader 2010: „Ich war der Junge vom Lande und auf einmal ein Star. Ich wurde berühmt und reich und total überrollt davon.“ Wader gab rund 1.500 Konzerte und veröffentlichte mehr als 35 Studio- und Live-Alben, von Hannes Wader singt (1969), 7 Lieder (1972), Es ist an der Zeit (1980) bis zu Macht’s gut (2018). 2013 wurde er mit dem Echo für sein Lebenswerk ausgezeichnet.
Plattdeutsche Lieder
Waders LP Plattdeutsche Lieder (1974) spielt in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle. Sie zeigt einmal mehr Waders fortwährende Suche nach einem neuen, eigenen Ton. Dabei ließ er sich nicht vom Kommerz oder den Vorgaben der Plattenindustrie beeinflussen. Auch wollte er sich weder als ‚Protestsänger‘ noch in eine andere Richtung festlegen lassen. Er wandte sich im Laufe seiner Karriere dem Volkslied zu, dem niederdeutschen Lied, dem Arbeiterlied und sogar dem Schubert’schen Kunstlied – und war mit alledem erfolgreich. In seiner erwähnten Autobiografie beschreibt Wader, dass er mit der LP Plattdeutsche Lieder gleich mehrere Wagnisse einging: „Die Lieder sind alt. Aber schon der Gedanke, sie zu diesem Zeitpunkt auf Platte zu bringen, ist völlig neuartig und kühn. Das hat vor mir noch keiner gewagt, und es gibt eigentlich nur Gründe dafür, es auch besser zu unterlassen.“
Wader hatte zuvor plattdeutsche Lieder im Norddeutschen gesammelt, wo er eine alte Mühle als Wohnsitz restauriert hatte. Auch aus seiner ostwestfälischen Heimat waren ihm noch Lieder im Ohr, die sich für dieses Vorhaben eigneten. Wader wusste, dass „in der Wahrnehmung einer Mehrheit der Nachkriegsgeneration an deutschen Volksliedern nach wie vor der Geruch faschistischen Missbrauchs“ haftete und fragte sich: „Enttäusche ich mit so einer Platte mein ‚Klientel‘ vielleicht so schwer, dass ich meine Liedermacherkarriere gefährde, weil die Platte ein derartiger Flop wird, dass mich meine Plattenfirma fristlos feuert. Wie das nun mal so bei mir ist, fühle ich mich angesichts dieser Risiken nur noch mehr angestachelt, mein Vorhaben durchzuziehen.“ Waders Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet: Entgegen den Erwartungen seiner Plattenfirma wurde Plattdeutsche Lieder ein Renner und Longseller.
Erfolg mit plattdeutschen Liedern
Selbst bei Konzerten in der Schweiz wurde Wader fortan gebeten, Dat du min leefste büst zu singen, und der Erfolg animierte andere, es ihm gleichzutun. Die Wirkung der LP Plattdeutsche Lieder war auch in Westfalen nachhaltig. Getragen von der damaligen Folkwelle gerieten auch hier alte plattdeutsche Lieder wieder in den Fokus, etwa bei Töätendirk, Speelemann speel oder Günter Gall. Nach dem Ende der Folkwelle in den 80er Jahren entstanden neue plattdeutsche Lieder und Gruppierungen wie Strauhspiers (Rheine) oder pattu (Münster).
Auszeichnung mit dem Rottendorf-Preis
2022 wurde Wader mit dem Rottendorf-Preis für Verdienste um die Niederdeutsche Sprache ausgezeichnet. In der Begründung der Jury heißt es: „Mit seiner LP Plattdeutsche Lieder hat Hannes Wader das Niederdeutsche nachhaltig gefördert. Er holte es aus dem angestammten ‚Heimat-Milieu‘ heraus und machte es in neuen Kreisen gesellschaftsfähig. Zugleich setzte er dem Niederdeutschen, das in seinem Elternhaus eine natürliche Umgangssprache war, ein persönliches Denkmal. Das Niederdeutsche ist eine Sprache, die ihm besonders am Herzen liegt.“