Friedrich Wilhelm GrimmeFriedrich Wilhelm Grimme1827–1887
Friedrich Wilhelm Grimme1905–1995Friedrich Wilhelm
Grimme

Biografie

Friedrich Wilhelm Grimme wurde 1827 als achtes von zwölf Kindern eines Dorfschullehrers im sauerländischen Assinghausen geboren. Der Unterricht im Familienkreis und beim Pastor ermöglichten ihm den Besuch der Gymnasien in Brilon und Arnsberg. Anschließend studierte er in Münster zunächst Theologie, bevor er zur Lehrerausbildung wechselte und so seinen vielfältigen Neigungen (Literatur, Musik, alte Sprachen, Geschichte, Musik, Geografie, Naturwissenschaften) nachgehen konnte. Es folgten Stationen als Lehrer in Arnsberg, Brilon, Münster, Paderborn und in Heiligenstadt im Eichsfeld.

Friedrich Wilhelm Grimme Geburtshaus
Geburtshaus in Assinghausen

Grimme trat frühzeitig in den Ruhestand und entschied sich 1885 für Münster als Alterswohnsitz. Während seines letzten Aufenthalts im Sauerland ehrte man ihn 1886 mit einem Fackelzug. In seinem Geburtsort erinnert ein monumentales Denkmal in der Dorfmitte an ihn. Weitere Gedenkplaketten bezeugen die große Beliebtheit seiner Person und seines literarischen Werks. Grimme starb 1887 in Münster.

Friedrich Wilhelm Grimme

Plädoyer für das Einfache

Grimme bevorzugte einfache literarische Formen. Seinem Freund Joseph Pape riet er 1855: „Laß echte, klare, goldhelle, süßklingende Poesie dein Streben sein! Es sei dir nicht genug, Schönes zu sagen, sondern sage das Schöne auch schön! Und mache alles so regelmäßig wie möglich – lerne die poetische Ruhe […].“ Freier gestaltete, frühe und aus heutiger Sicht ‚modernere‘ Texte ließ er in einer späteren Werk-Zusammenstellungen entfallen.

Friedrich Wilhelm Grimme Werk

Frühe Lyrik und regionale Prosa

Sein Debüt als Lyriker brachte Grimme unter anderem die Anerkennung Joseph von Eichendorffs ein. Besondere Popularität erlangten seine autobiografischen Kindheitserinnerungen Memoiren eines Dorfjungen (1859, 1867). In Das Sauerland und seine Bewohner (1866, 1886) setzte Grimme seiner Heimatregion ein literarisches Denkmal: „Grimme beleuchtet das Leuteleben und zeigt ein demonstratives Desinteresse am Kult der herrschenden Adelsklasse, folgt aber in der Landschaftsbeschreibung weithin dem romantischen Paradigma zeitgenössischer Werke […] Grimme […] entwirft das Bild einer Landschaft, in der sogar der Bettler selbstbewusst einhergeht und ‚seinen Brotbeutel mit Grazie‘ trägt.“ (Peter Bürger)

Sauerlandidentität

Das Werk Das Sauerland und seine Bewohner brachte Grimme den Titel ‚Der erste Sauerländer‘ (Christoph Köck) ein und prägte eine selbstbewusste Sauerlandidentität – während die Region zuvor als rückständig und kulturarm geschmäht worden war. „Leider hat der betagte Grimme zeitgleich die ideologische Aufrüstung des Begriffs ‚Heimat‘ mitvollzogen. Die Sauerländer, so trägt er 1886 beim Olsberger Sängerfest im Text All-Surland sall liäwen vor, seien ‚alle eines Blutes‘ und wüssten sich gegen Angriffe schon zu wappnen. Für solch hehre Parolen feiern die Landsleute unter Fackelschein ihren ‚Nationaldichter‘.“ (Bürger) Anders als der von ihm diskreditierte Heinrich Heine verfolgte Grimme keine politisch-emanzipatorischen Ziele. Er wollte vor allem eine wohlgeordnete Welt zeigen: „Manches von der schönen Erde, / Manches auch vom schönern Himmel.“ Gleichwohl erlangte das von ihm propagierte heitere Weltbild Risse – Grimme litt wiederholt an Depressionen, seine Verse durchzieht ein melancholischer Grundton.

Friedrich Wilhelm Grimme Werk

Wirkungsgeschichte

Grimmes sauerländische Dialektdichtungen riefen ein breites Echo hervor. Der Autor schreibt 1861 über den sauerländischen Zweig der westfälischen Mundart: „In seinem inneren Wesen liegt etwas Kräftiges, Resolutes, Naives; vorzugsweise für den Schwank geeignet, schließt er dabei doch die Darstellung des Weichen, Gemütvollen, ja Wehmütigen, gar nicht aus.“ Kein anderer Mundartautor Westfalens konnte mit seinen Büchern im 19. Jahrhundert so viele Auflagen erzielen wie Grimme. Im Gefolge von Ferdinand Zumbroock (ab 1847), Klaus Groth (ab 1852), Fritz Reuter (ab 1853) und anderen fand seinerzeit eine neue niederdeutsche Literatur den Weg zum Publikum. „Als Verfasser von Schwankprosa, Lustspielen und auch einigen Gedichten in sauerländischer Mundart bewirkte F. W. Grimme früh – ab Ende 1857 – einen Anschluss seiner Heimatregion an diese Entwicklung. Er ist Begründer der sauerländischen Mundartliteratur und bedeutender ‚Klassiker‘ der plattdeutschen Dichtung Westfalens.“ (Bürger)

Mundartschwänke

Grimmes literarische Tätigkeit beginnt mit Mundartschwänken. Sie waren im Arnsberger Kreisblatt und später bei unterschiedlichen Verlagen ad hoc erfolgreich und sorgten für eine „populäre Bücherkultur“ (Bürger) im Sauerland. Grimme verband bei seinen Schwänken Humor mit Satire. So stellt er beispielsweise anhand von Garderobenfragen bürgerliches Getue bloß. Für Peter Bürger ist das Stück De Pottkremer (Grain Tuig, 1861) eine sauerländische Sozialstudie im Miniaturformat. Für den kinderreichen Grimme war der Erfolg seiner Stücke nicht zuletzt auch von finanzieller Bedeutung.

Friedrich Wilhelm Grimme Werk

Magdalena Padberg lobt jene literarischen Schwänke Grimmes, die auf jedes Moralisieren verzichten: „Schlau mussten sie alle schon sein, die Dorfmusikanten, die Hütejungen, die von Haus zu Haus flickenden Schneider und Schuster, um an ihren kleinen Lohn zu kommen und um ihren großen Durst zu stillen […] Grimme beleuchtet sie alle scharf, all die menschlichen Unzulänglichkeiten […] Aber er kanzelt nicht ab, er kennt die armen Verhältnisse zu Hause, liebt seine Landsleute und ist oft ihr Komplize.“ „Grimmes heitere (Schwank-)Welt ist kleinzellig und bunt, ein Gebilde, das im Lichte preußischer Ideale und Polizeivorschriften bisweilen anarchisch anmutet. Die ‚Helden‘ entstammen vorzugsweise der ärmeren Klasse, die die Mehrheit bildet.“ (Bürger)

Ein charakteristisches Zeugnis

Der seinerzeit populäre Detmolder Dichter Ferdinand Freiligrath hebt 1874 in einem Briefzeugnis hervor: „Die Heftchen, welche Du die Güte hattest mir zu schicken, waren mir durchaus neu […] und ich kann Dir gar nicht sagen, welch’ heiteren Genuß sie mir gewährt, und wie lebhaft sie Menschen und Zustände der alten Heimat in mir aufgefrischt haben. Welch’ gemütliche lustige Sorte sind doch z. B. diese geistlichen Saufause, diese katholischen Dorfpfaffen des Sauerlandes […] Es ist wieder eine ganz andere Welt, es sind wieder ganz andere Menschen und Lebenskreise, als die von Reuter geschilderten, und dadurch sind Grimme’s Sittenbilder, abgesehen von dem sprachlichen Interesse, neben den Reuter’schen auch von spezifischer, kulturhistorischer Bedeutung […] Groth, Reuter, Hebel, Grimme, – überall dasselbe ehrliche, treue Volksgesicht, und dennoch wie anders Blick und Gebärde! Wie verschieden der in seine engen Flußtäler eingekeilte Katholik des Sauerlandes von dem protestantischen Flachländer Mecklenburgs! Es wirken da eine Menge von Faktoren! Grimme hat trefflich im Volke herumgelauscht, seine Bilder haben die Treue von Photographien. In den kleinen, mehr anekdotenartigen Geschichten […] ist er Reuter in der Tat ebenbürtig.“

Niu troppet sik de Schwalen,
Et is wual an der Tyit;
Sai raupet froih am Muargen:
„Adjes, vyi maitet wyit“

Doch myi is Gryinens-Moote.
Yi Schwalen frank un fryi,
O könn’ ik met ug flaigen,
Bo ik terhäime syi!

Et is jo doch myin Häime
Nit, bo myin Huisken stäit –
Et is jo doch alläine,
Bo ik myin Läifken wäit.

Yi Schwalen op der Reise!
Un wan yi Sai bo saiht,
Vertellet myinem Läifken,
Dat ik sai gruißen lait.

Bo diu ments wat te packen wäist,
Dat pack by Kopp un Steert –
Et is kain Nut sau klimperklain,
Sai is det Plücken werth.

Taum Hahnen oppem Thauern
Nit jeder Hahne passet;
Et mott ok sülke giewen,
Dai op der Miste krasset.

Y jungen Leckers! schrywet düt Wort
Ug unner de Platte:
Vügel, dai lustig füär Dage singet,
Dai frietet de Katte.

Am besten, wann en Jeder
By synem Amte blitt –
De Hauner legget Egger,
De Hahnens awer nit.

Dai mott sik ’ne liären Lunge kaupen,
Bai all dai Käffers well üwerraupen.

Bat nit in der Wulle farwet is,
Dat hället nit lang de Farwe friß.

Schmeichelkatten füär allen
Het de schärpesten Krallen.

Bo ik mik harr’ temäist op druaggen,
Was my ümmer teäist entfluaggen.

Schicke dik in de Welt,
Un schwyg met Klagen stille;
Sai richtet sik in der Farwe
Ganz no dyner Brille.

Lot dynen Jungen Junge syn,
Un mak ’ne nit taum Heeren –
Det Miusen briuket Kainer nit
Der Katten äis te lehren.

Un wann de Osse ’ne Stall van Silwer kritt,
Hai blywet en Osse un lätt det Misten nit.

Et is kain Hund sau syg’ oppen Hacken,
Hai kann dik in de Feeße packen.

En Baum, dai nit fast’ in der Eeren stäit,
Nit hauge taum Himel te wassen wäit.

Sall hai kiähren de Stuawe rein un fyn,
Draff de Beßme nit selwer schmutzig syn.

Myn Isel! bat kryg’ ik van dy te hören?
Diu wost oppem Yse det Danzen lehren?

Mein Herz in sich verschlossen,
Als sollt’ es nun nie mehr singen –
Nie lieben und singen.

Geschlossen die Knospe am Strauche,
Als wollten sie nie zerspringen –
Nie schwellen und springen.

Und doch, wenn der Lenz ersteht aus dem Eis –
Wer weiß, wer weiß?

Da sind die alten Plätze wieder,
Die mich dereinst als Kind gesehn;
Es rauscht derselbe Strom hernieder
Und spiegelt noch dieselben Höh’n.

Vom Kirchlein altbekanntes Läuten,
Doch drinnen kein bekannt Gesicht –
Auch jenes Haus noch kann ich deuten,
Doch, die es heut’ bewohnen, nicht.

Und auf derselben Aue jagen
Die Kinder sich, wie wir dereinst –
Sie sehn mich an mit stummer Frage:
Wie, fremder Mann! du stehst und weinst?

Du frohe Schar, o spiele weiter!
Die Plätze unsrer Lust sind dein –
Dir strahlt die Heimat hell und heiter
Und hüllt sich mir in Wehmut ein.

Ich bin nicht froh und bin nicht trüb,
Die Gedanken nur wollen nicht rasten.
Sie ziehen die Straße altbekannt
Und suchen ein längst verschollenes Land,
Wo Blätter und Blüten verblaßten.

Sie flattern um eine wüste Statt,
Und können auch da nicht gasten:
Sie kehren wieder, ich frage sie nichts,
Sie kehren wieder und sagen mir nichts,
Und wollen doch nimmer rasten.

Versunken ist das hohe Haus,
Wo vormals Ruhe sie faßten;
Versunken die Freude, versunken die Lieb’!
Ich bin nicht froh und bin nicht trüb,
Die Gedanken nur wollen nicht rasten.

O zimmre dir dein Haus im Herrn,
Und laß die Flügel seiner Liebe
Das Dach dir decken: und du hast
Die Heimat, wenn auch Nichts dir bliebe.

Das wanket schnell, was sonst wir baun,
Und wenn wir uns gebettet halten,
So fällt der Strahl in’s feste Haus,
Um selbst die Pfosten zu zerspalten.

Und Zeiten kommen, die sind schwer;
Und Zeiten, wo wir fremd erscheinen
Im Vaterland, im Vaterhaus
Fremd und verlassen stehn und weinen.

Und wo du heimisch warst im Glück,
Da bist du fremd mit deinen Schmerzen.
Doch Zeiten kommen schwerer noch:
Da bist du fremd im eignen Herzen.

Drum zimmre dir dein Haus im Herrn,
Und laß die Flügel seiner Liebe
Das Dach dir decken: und du hast
Die Heimat, wenn auch Nichts dir bliebe.

Patriotismus, lichte Tugend,
Mild erwärmend Herz und Sinne –
Den zu stiller, treuer Arbeit,
Den zum Kampfe auf der Zinne!

Patriotismus, blasse Phrase,
Brauchbar sehr bei Sekt und Biere –
Patriotismus, steigend, fallend
Mit dem Kurse der Papiere!

Schale Speisen kann ich dulden,
Auch Gerüche schlechte, faule –
Aber zum Erbrechen reizt mich
Patriotismus mit dem – Maule.

Literatur

Gedichte. Münster 1855

Sprickeln un Spöne vom Strunzerdäler. Arnsberg 1858

Memoiren eines Dorfjungen. Sinngedichte und Anekdoten. Düsseldorf 1859

Balladen und Romanzen. Schaffhausen 1859

Grain Tuig. Schwänke und Gedichte in sauerländischer Mundart vom Verfasser der „Sprikeln un Spöne“. Soest 1860

Spargitzen. Schwänke und Gedichte in sauerländischer Mundart vom Verfasser der „Sprickeln un Spöne“. Arnsberg 1860

De Koppelschmid. Lustspiel in sauerländischer Mundart vom Verfasser der „Sprickeln un Spöne“. Soest 1861; 5. Aufl. Paderborn 1928

Das Sauerland und seine Bewohner. Soest 1866; Neuausg., unveränd. Abdr. d. 3. Aufl. Iserlohn 1928

Galantryi-Waar’! Schwänke und Gedichte in sauerländischer Mundart vom Verfasser der „Sprickeln un Spöne“. Soest 1867; 6. Aufl. Paderborn 1927

Schlichte Leute. Erzählungen aus dem westfälischen Volksleben. 2 Bde. Soest 1867–1869

De Kumpelmäntemäker oder Hai mott wierfriggen. Münster 1875; 3. Aufl. Paderborn 1901

Auf roter Erde und andere Erzählungen. Paderborn 1902; 2. Aufl. 1908

Grain Spöne. Grain süs nau wat te gnaustern. Gedichte un Lustspiele in sauerländischer Mundart; 12. Aufl. Paderborn, Münster 1921

Plattduitsk in Ehren. Gedichte, Dönekes, Schwänke in sauerländischer Mundart. Hg. von Magdalena Padberg. Fredeburg 1981

Friedrich Wilhelm Grimme. Ausgewählte Werke. Hg. und erläutert von Gisela Grimme-Welsch. Münster 1983

Magdalena Padberg (über Grimme), in: Westfälische Dichterstraßen 2. Oberes Sauerland. Münster 2000

Vollständige Biobibliografie siehe:
www.lexikon-westfaelischer-autorinnen-und-autoren.de/autoren/grimme-friedrich-wilhelm/