Biografie
Friedrich Wilhelm Grimme wurde 1827 als achtes von zwölf Kindern eines Dorfschullehrers im sauerländischen Assinghausen geboren. Der Unterricht im Familienkreis und beim Pastor ermöglichten ihm den Besuch der Gymnasien in Brilon und Arnsberg. Anschließend studierte er in Münster zunächst Theologie, bevor er zur Lehrerausbildung wechselte und so seinen vielfältigen Neigungen (Literatur, Musik, alte Sprachen, Geschichte, Musik, Geografie, Naturwissenschaften) nachgehen konnte. Es folgten Stationen als Lehrer in Arnsberg, Brilon, Münster, Paderborn und in Heiligenstadt im Eichsfeld.
Geburtshaus in Assinghausen
Grimme trat frühzeitig in den Ruhestand und entschied sich 1885 für Münster als Alterswohnsitz. Während seines letzten Aufenthalts im Sauerland ehrte man ihn 1886 mit einem Fackelzug. In seinem Geburtsort erinnert ein monumentales Denkmal in der Dorfmitte an ihn. Weitere Gedenkplaketten bezeugen die große Beliebtheit seiner Person und seines literarischen Werks. Grimme starb 1887 in Münster.
Plädoyer für das Einfache
Grimme bevorzugte einfache literarische Formen. Seinem Freund Joseph Pape riet er 1855: „Laß echte, klare, goldhelle, süßklingende Poesie dein Streben sein! Es sei dir nicht genug, Schönes zu sagen, sondern sage das Schöne auch schön! Und mache alles so regelmäßig wie möglich – lerne die poetische Ruhe […].“ Freier gestaltete, frühe und aus heutiger Sicht ‚modernere‘ Texte ließ er in einer späteren Werk-Zusammenstellungen entfallen.
Frühe Lyrik und regionale Prosa
Sein Debüt als Lyriker brachte Grimme unter anderem die Anerkennung Joseph von Eichendorffs ein. Besondere Popularität erlangten seine autobiografischen Kindheitserinnerungen Memoiren eines Dorfjungen (1859, 1867). In Das Sauerland und seine Bewohner (1866, 1886) setzte Grimme seiner Heimatregion ein literarisches Denkmal: „Grimme beleuchtet das Leuteleben und zeigt ein demonstratives Desinteresse am Kult der herrschenden Adelsklasse, folgt aber in der Landschaftsbeschreibung weithin dem romantischen Paradigma zeitgenössischer Werke […] Grimme […] entwirft das Bild einer Landschaft, in der sogar der Bettler selbstbewusst einhergeht und ‚seinen Brotbeutel mit Grazie‘ trägt.“ (Peter Bürger)
Sauerlandidentität
Das Werk Das Sauerland und seine Bewohner brachte Grimme den Titel ‚Der erste Sauerländer‘ (Christoph Köck) ein und prägte eine selbstbewusste Sauerlandidentität – während die Region zuvor als rückständig und kulturarm geschmäht worden war. „Leider hat der betagte Grimme zeitgleich die ideologische Aufrüstung des Begriffs ‚Heimat‘ mitvollzogen. Die Sauerländer, so trägt er 1886 beim Olsberger Sängerfest im Text All-Surland sall liäwen vor, seien ‚alle eines Blutes‘ und wüssten sich gegen Angriffe schon zu wappnen. Für solch hehre Parolen feiern die Landsleute unter Fackelschein ihren ‚Nationaldichter‘.“ (Bürger) Anders als der von ihm diskreditierte Heinrich Heine verfolgte Grimme keine politisch-emanzipatorischen Ziele. Er wollte vor allem eine wohlgeordnete Welt zeigen: „Manches von der schönen Erde, / Manches auch vom schönern Himmel.“ Gleichwohl erlangte das von ihm propagierte heitere Weltbild Risse – Grimme litt wiederholt an Depressionen, seine Verse durchzieht ein melancholischer Grundton.
Wirkungsgeschichte
Grimmes sauerländische Dialektdichtungen riefen ein breites Echo hervor. Der Autor schreibt 1861 über den sauerländischen Zweig der westfälischen Mundart: „In seinem inneren Wesen liegt etwas Kräftiges, Resolutes, Naives; vorzugsweise für den Schwank geeignet, schließt er dabei doch die Darstellung des Weichen, Gemütvollen, ja Wehmütigen, gar nicht aus.“ Kein anderer Mundartautor Westfalens konnte mit seinen Büchern im 19. Jahrhundert so viele Auflagen erzielen wie Grimme. Im Gefolge von Ferdinand Zumbroock (ab 1847), Klaus Groth (ab 1852), Fritz Reuter (ab 1853) und anderen fand seinerzeit eine neue niederdeutsche Literatur den Weg zum Publikum. „Als Verfasser von Schwankprosa, Lustspielen und auch einigen Gedichten in sauerländischer Mundart bewirkte F. W. Grimme früh – ab Ende 1857 – einen Anschluss seiner Heimatregion an diese Entwicklung. Er ist Begründer der sauerländischen Mundartliteratur und bedeutender ‚Klassiker‘ der plattdeutschen Dichtung Westfalens.“ (Bürger)
Mundartschwänke
Grimmes literarische Tätigkeit beginnt mit Mundartschwänken. Sie waren im Arnsberger Kreisblatt und später bei unterschiedlichen Verlagen ad hoc erfolgreich und sorgten für eine „populäre Bücherkultur“ (Bürger) im Sauerland. Grimme verband bei seinen Schwänken Humor mit Satire. So stellt er beispielsweise anhand von Garderobenfragen bürgerliches Getue bloß. Für Peter Bürger ist das Stück De Pottkremer (Grain Tuig, 1861) eine sauerländische Sozialstudie im Miniaturformat. Für den kinderreichen Grimme war der Erfolg seiner Stücke nicht zuletzt auch von finanzieller Bedeutung.
Magdalena Padberg lobt jene literarischen Schwänke Grimmes, die auf jedes Moralisieren verzichten: „Schlau mussten sie alle schon sein, die Dorfmusikanten, die Hütejungen, die von Haus zu Haus flickenden Schneider und Schuster, um an ihren kleinen Lohn zu kommen und um ihren großen Durst zu stillen […] Grimme beleuchtet sie alle scharf, all die menschlichen Unzulänglichkeiten […] Aber er kanzelt nicht ab, er kennt die armen Verhältnisse zu Hause, liebt seine Landsleute und ist oft ihr Komplize.“ „Grimmes heitere (Schwank-)Welt ist kleinzellig und bunt, ein Gebilde, das im Lichte preußischer Ideale und Polizeivorschriften bisweilen anarchisch anmutet. Die ‚Helden‘ entstammen vorzugsweise der ärmeren Klasse, die die Mehrheit bildet.“ (Bürger)
Ein charakteristisches Zeugnis
Der seinerzeit populäre Detmolder Dichter Ferdinand Freiligrath hebt 1874 in einem Briefzeugnis hervor: „Die Heftchen, welche Du die Güte hattest mir zu schicken, waren mir durchaus neu […] und ich kann Dir gar nicht sagen, welch’ heiteren Genuß sie mir gewährt, und wie lebhaft sie Menschen und Zustände der alten Heimat in mir aufgefrischt haben. Welch’ gemütliche lustige Sorte sind doch z. B. diese geistlichen Saufause, diese katholischen Dorfpfaffen des Sauerlandes […] Es ist wieder eine ganz andere Welt, es sind wieder ganz andere Menschen und Lebenskreise, als die von Reuter geschilderten, und dadurch sind Grimme’s Sittenbilder, abgesehen von dem sprachlichen Interesse, neben den Reuter’schen auch von spezifischer, kulturhistorischer Bedeutung […] Groth, Reuter, Hebel, Grimme, – überall dasselbe ehrliche, treue Volksgesicht, und dennoch wie anders Blick und Gebärde! Wie verschieden der in seine engen Flußtäler eingekeilte Katholik des Sauerlandes von dem protestantischen Flachländer Mecklenburgs! Es wirken da eine Menge von Faktoren! Grimme hat trefflich im Volke herumgelauscht, seine Bilder haben die Treue von Photographien. In den kleinen, mehr anekdotenartigen Geschichten […] ist er Reuter in der Tat ebenbürtig.“