Biografie
Ferdinand Krüger wurde 1843 als Sohn eines Gerichtsschreibers in Beckum geboren. Nach dem frühen Tod seines Vaters (1849) zog die Familie nach Ahlen. Im Anschluss an den Schulbesuch in Ahlen, Menden (wo seine verheiratete Schwester lebte), Warendorf und Coesfeld legte er 1862 in Brilon die Reifeprüfung ab. Hierauf studierte er in München zunächst Philologie und Philosophie, bevor er zum Studium der Medizin umschwenkte, das er in Greifswald, Würzburg und Berlin fortsetzte. Dort wurde er 1867 zum Dr. med. promoviert. 1868 legte er das medizinische Staatsexamen ab. Nach kurzer Zeit als approbierter Arzt in Wesel ließ er sich 1869 in Linden bei Bochum nieder, wo er bis 1911 eine ärztliche Praxis führte. Von 1885 bis 1911 war er zugleich Leiter des Lindener St. Josephs-Krankenhauses. In dieser Eigenschaft erfolgte 1901 seine Ernennung zum Sanitätsrat und 1910 die Beförderung zum Geheimen Sanitätsrat. Obwohl beruflich stark beansprucht, übernahm er um 1900 den Vorsitz des Westfälischen Dichter- und Schriftstellerbundes, in dessen Zeitschrift Guestphalia er 1894 mehrere Essays, unter anderem über das Plattdeutsche, veröffentlichte. Er verbrachte seinen Ruhestand, nach einer kurzen Zwischenstation in Berlin-Dahlem, im Hause seiner Tochter Elisabeth in Essen-Bredeney, wo er 1915 starb.
Literarhistorische Bedeutung
Krügers umfangreicher Nachlass befindet sich im Kreisarchiv Warendorf. Er enthält unter anderem Krügers Tagebuch einer studentischen Wanderung nach Tirol (1863). Es zeigt erste Proben seiner Beobachtungs- und Darstellungsgabe. Seine frühesten Erzählungen erschienen 1879 in De Plattdütsche Husfründ. In ihnen greift Krüger ein für seine späteren Romane konstitutives Thema auf: den Umbruch von der Agrar- zur Industriegesellschaft im Ruhrgebiet. Daneben ist die Mundart ein häufig angesprochener Gegenstand: „Das Plattdeutsche, seine Muttersprache, bleibt […] für seine […] literarischen Arbeiten bestimmend. Mit ihnen trägt er wesentlich zum Aufblühen der niederdeutschen Dialektliteratur im 19. Jahrhundert bei“. (Klaus Gruhn)
Pionier des westfälischen Dialektromans
Der Roman Rugge Wiäge (1882) gilt als Krügers Hauptwerk. Er erlebte bis 1930 fünf Auflagen, „von denen die ersten drei sich der niederdeutschen Graphie in Anlehnung an die Schreibweise Klaus Groths bedienten, während die vierte und fünfte Auflage in münsterländischer Mundart erschienen. Krüger will mit dem Roman, wie er im Vorwort zur dritten Auflage sagt, einen ‚Beitrag zur Kenntniß spezifisch westfälischen Lebens‘ geben und ein ‚Denkmal der Culturgeschichte‘ seiner westfälischen Heimat formen. Damit unterlegt er der Handlung eine sozialgeschichtliche Folie, die Konturen durch zwei Personengruppen gewinnt. Eine gehört zum eingesessenen Bauernstand im noch ländlichen Castrop und will nach Buernmode das gesellschaftliche und familiäre Leben regeln, die andere bildet sich neu durch die schnelle Entwicklung des Kohlebergbaus in einem bis dahin agrarisch geprägten Raum. Wir werden also in die Konflikte einer Umbruchzeit geführt“. (Gruhn) Krüger war der „erste plattdeutsche Romandichter Westfalens“ (Anton Aulke) und behandelte als frühester westfälischer Mundartautor realistische Probleme im Dialektroman. In dieser Hinsicht wurde er wegweisend für das Werk Augustin Wibbelts und Karl Wagenfelds. Es gilt „als unbestritten, daß ein wesentlicher Wegbereiter und Vorläufer Augustin Wibbelts der in Beckum geborene Ferdinand Krüger gewesen ist“. (Reinhard Pilkmann-Pohl)
„Überall sucht der Verfasser typisches Geschehen zu zeichnen. Dabei vermeidet er jedoch die Schwarzweißzeichnung und sichert damit seiner Darstellung Wirklichkeitstreue und Überzeugungskraft. In der Thematik des Romans, vor allem in der Betonung der sozialen Probleme, finden sich Züge der zu seiner Zeit modernen hochsprachigen Literatur. Die Erzählweise ist eher älterer Tradition verpflichtet. Die sprachliche Leistung besteht darin, daß die bis dahin nur zur Darstellung der humoristischen Seite des Volkslebens benutzte westfälische Mundart nun zur Gestaltung ernster Probleme qualifiziert worden ist.“ (Ulf Bichel) „Dem ist hinzuzufügen, daß Krüger auf die humorige Seite des Lebens in seinem Werk nicht verzichtet (Beispiel: ‚Zechenkonferenz‘). Seine Romane beziehen gerade ihre eigentümliche Spannung aus der geschickten Verknüpfung von Passagen ernsthafter Problematik, ja bittersten Lebensschicksals mit Passagen derbster Komik oder verständnisvollen Humors.“ (Pilkmann-Pohl)
1893/94 ließ Krüger seinen zweiten Roman, Hempelmann’s Smiede, folgen, dessen Handlung in dem münsterländischen Dorf Ahltrop (Ahlen) spielt und Kindheitserlebnisse Krügers aufgreift. Für das Handlungsgerüst benutzte er eine Chronik der Stadt Ahlen, die sein Schwager Wilhelm Sommer verfasst hatte. „Die historischen Ereignisse der dramatischen Umbruchzeit zwischen 1802 und 1813, dem Ende des Alten Reiches und des Fürstbistums Münster, der politischen Neuordnung unter Napoleon und dem Ende der Fremdherrschaft mit der Völkerschlacht bei Leipzig, wirken in dem Roman in vielfältiger Weise auf private Konstellationen und Konflikte ein, in denen gleich vier Paare ihr Glück finden müssen.“ (Gruhn) Die heutige Forschung konstatiert, dass der Roman zwar formale Schwächen und zeitliche Brüche aufweise, gelangt aber zu einem positiven Fazit: „Ein großartiges Panorama westfälischer Typen, eine Fülle wertvollster kulturhistorischer Details und Einzelheiten in sicherer Beherrschung der münsterländischen Mundart, und das überwiegt sicherlich die angeführten kritischen Anmerkungen.“ (Pilkmann-Pohl) Über Krügers 1897 im Jahrbuch des Scheffelbundes erschienene Novelle Nakenjüfferken entwickelte sich eine persönliche Beziehung zu Augustin Wibbelt. Dem von Wibbelt seit 1909 herausgegebenem Westfälischen Volkskalender De Kiepenkerl steuerte Krüger zwei Novellen bei. Im Folgejahr erschien unter dem Titel Witte Liljen eine Neuauflage seiner Novellen.
Im Ruhestand widmete sich Krüger seinem letzten literarischen Projekt, dem ebenfalls autobiografisch geprägten Roman Iärwschaden, der Fragment blieb. Teile des Werks erschienen 1913 als Vorabdruck in der Zeitschrift Quickborn. Erzählt werden Niedergang und Aufstieg eines westfälischen Bauernhofs. Es flossen unter anderem Begebenheiten aus Krügers Zeit als Schüler des Warendorfer (im Roman Brockendorper) Gymnasiums ein. „Es handelt sich beim ‚Erbschaden‘ um ein dem Naturalismus verhaftetes Thema […] An erster Stelle aber weiß sich Krüger dem Naturalismus durch die Wahl des Dialekts als sprachlichem Ausdrucksmittel verbunden (vgl. G. Hauptmann Die Weber).“ (Pilkmann-Pohl)