Christine KochChristine Koch1869–1951
Christine Koch1869–1951Christine Koch

Biografie

Christine Koch wurde 1869 als fünftes von sieben Kindern eines Bauern in dem kleinen sauerländischen Dorf Herhagen geboren. Ihre Mutter stammte aus einer Lehrerfamilie. Nach der Volksschulzeit in Reiste absolvierte sie von 1885 bis 1887 eine Lehrerinnenausbildung auf der höheren katholischen Töchterschule in Duderstadt. Es folgte eine dreizehnjährige Tätigkeit als Volksschullehrerin im sauerländischen Padberg. 1902 übernahm sie die Leitung einer katholischen Mädchenschule in Vogelheim bei Essen-Borbeck. 1905 schied sie aufgrund einer anhaltenden Lungenerkrankung freiwillig aus dem Schuldienst aus.

Im selben Jahr heiratete sie einen Vetter, den Land- und Gastwirt Wilhelm Koch, mit dem sie in Bracht bei Schmallenberg lebte. Das Paar bekam vier Kinder. In den 1920er und frühen 1930er Jahren führten existenzbedrohende wirtschaftliche Nöte dazu, dass die Eheleute einen Großteil ihres Besitzes verkaufen mussten.

Der Selbstmord ihres Sohnes Willi 1935 bedeutete für Christine Koch einen nie überwundenen Schicksalsschlag. Sie war in der Folgezeit fortwährend von Krankheiten heimgesucht. Nach einem doppelten Knochenbruch wurde sie pflegebedürftig. 1943 starb ihr Ehemann nach langer Krankheit. 1944 erlitt Christine Koch einen leichten Schlaganfall, der ihre Sehkraft verringerte. Sie starb 1951 in Bracht.

Stellung im Dorfleben

Mit ihrem Mann teilte Christine Koch neben einer intensiven Beschäftigung mit dem Plattdeutschen eine ausgeprägte musikalische Ader. Im Dorf hatte man hingegen Vorbehalte gegen die ehemalige Lehrerin. „Ihr Geigenspiel zu festlichen Anlässen und erste Veröffentlichungen trugen eher zur Isolierung bei. In Bracht meinten einige Bewohner, sie solle doch lieber die Schweine füttern als Gedichte zu schreiben.“ (Peter Bürger)

Für Christine Koch war Dichten Lebensbewältigung. Ihre literarische Figur „Hiärguattsschrey­werlein“ bekennt: „Ich schreibe, weil ich schreiben muss. / Ich singe auch, wenn das Herz blutet.“ Ein anderes Selbstzeugnis lautet: „Ich werde einfach dazu gezwungen, die Feder zu nehmen. Sonst komme ich vor Unruhe um“ (zitiert nach Peter Bürger).

Besonderer Stellenwert

Siegfried Kessemeier zufolge war Christine Koch die erste Autorin, die „dem sauerländischen Platt Gedichte von Rang“ abgewann: „Ein Name, der immer noch seinen eigenen Klang hat. In der Sprache des Landes, der plattdeutschen Mundart, hinterließ diese Frau ein bemerkenswertes lyrisches Werk: Gedichte.“

1939 wurde Christine Koch mit dem erstmals verliehenen Klaus-Groth-Preis ausgezeichnet. Nach dem Krieg verfasste sie auf Bitten der Dorfbewohner hin Hausinschriften für die Umgebung, allein für Fredeburg zwei hochdeutsche Serien mit 28 Texten. 1948 fand ihr zu Ehren eine Christine-Koch-Feier in Bracht statt. Zu ihrem 80. Geburtstag erreichten sie Glückwünsche von offiziellen Stellen, Verlagen, und aus größeren und kleineren Städten.

Christine Koch

Publikationsgeschichte

Christine Koch musste, damals schon im sechsten Lebensjahrzehnt, zum Schritt in die Öffentlichkeit gedrängt werden. Ihre ersten gedruckten Texte erschienen in Heimatzeitschriften. Die Schriftleitung der Trutznachtigall ermutigte sie, ihre Texte namentlich zu kennzeichnen. Der Neheimer Musikdirektor Georg Nellius und die Malerin und Autorin Josefa Berens veranlassten sie zur Herausgabe von zwei Mundartlyrikbänden (Wille Räusen, 1924, Sunnenried, 1929) und eines plattdeutschen Prosabandes (Rund ümme’n Stimmstamm rümme …, 1927). Über hundert Dichtungen Christine Kochs, darunter „die erste plattdeutsche Messe Deutschlands“, wurden von Georg Nellius vertont. Josefa Berens, die 1925 ins benachbarte Gleiertal zog und für Christine Koch eine enge Freundin wurde, steuerte dem Druck der Werke Illustrationen bei.

Christine Koch Werke

Neue Christine-Koch-Forschungen

Leben und Werk der Autorin wurden ab 1987 in Eslohe im Rahmen eines umfangreichen Forschungs- und Editionsprojekts aufgearbeitet. In diesem Zuge hat sich vor allem Peter Bürger um eine Revision des gängigen Christine-Koch-Bildes verdient gemacht. Bürger zufolge wollte Koch mit ihrer Dichtung aufzeigen, dass die plattdeutsche Literatur ihrer Heimat einen gleichrangigen Beitrag zur vertrauten hoch- und niederdeutschen Literatur leisten könne, was in ihrem Fall mit der Abkehr von der „allgegenwärtigen Humoreske“ verbunden war. Die völkische Vereinnahmung und der damit verbundene „heimatideologische Kult“ hätten schon früh den Blick auf Leben und Werk Christine Kochs verfälscht. „Die überlieferten Konstruktionen und Projektionen im Dienste des heimatlichen (oder völkischen) Kollektivs fallen in sich zusammen, sobald wir uns dem leibhaftigen Menschen zuwenden.“

Christine Koch Werke

Einseitige frühere Editionsgeschichte

Die Instrumentalisierung nahm auch Einfluss auf die Editionsgeschichte. So wurden Texte, die „von Freiheitsdrang und Sinn für Nonkonformismus zeugen“, zu Lebzeiten nicht veröffentlicht. „Die maßgeblichen Förderer der Dichterin waren stramm völkisch ausgerichtet. Sie wollten mit ihrer Editionsarbeit Christine Koch natürlich als bodenständige ‚Mutter der Heimat‘ präsentieren. Die Helden der unterschlagenen Vagantenlieder sind aber Nichtsesshafte, Wandergesellen und Taugenichtse.“ (Bürger) In diesem Sinn wird die bäuerliche Welt von Christine Koch nicht zur Idylle stilisiert.

Kriegsbejahung

Auch Christine Koch leistete Beiträge zur allgemeinen Kriegspropaganda: „Insgesamt vier Mundartgedichte und zwölf, in fünf Fällen vermutlich unveröffentlichte hochdeutsche Texte gehören in diesen Zusammenhang […] Christine Koch teilte ohne Zweifel mit der überwiegenden Gesamtbevölkerung zeitweilig die Sympathie für die ‚neue Zeit‘, ohne je Nationalsozialistin gewesen zu sein.“ (Liäwensbauk 1993)

Christine Koch

All’ use Klocken klinget,
Alle Quellen springet
Op in dü’r Nacht.
Alle Saiten swinget,
Nigge Laier singet
Hell diär de Nacht.

Biuten riusket de Boime,
Wecket häimleke Droime
Op in dü’r Nacht.
Güllene Wolkensoime
Spielt diär use Droime
In dü’r wunderleken Nacht.

Twäi sind Küningeskinger,
Dünket iäk nix geringer
In dü’r Nacht.
Lat en feyn Verstohn
Van Säile te Säile gohn,
Weert reyke in dü’r Nacht.

Bo de dicken Aiken statt,
Iul und Hawek jagen gatt,
Stäiht meyn Ellernhius.
Bo de klore Henne flütt,
Bo me’n ‚Güllen Striuk‘ ok sühtt,
Plucht ik mey dü’n Striuß.

Bo twäi Lingen hallet Wacht,
Bo me’t nennet ‚Op ter Bracht‘,
Sin ik niu te Hius.
In ’ner Feldmark weyt und bräit,
Bo der häoge ‚Läimerg‘ stäiht,
Woß de twerre Striuß.

Hey en Blaimken, do en Blat,
Genten ’ne Smiele am Mühlenrad,
Häid und Gelster, Dissel und Dörn
Sind vull Laier, dai vergiäten wörn.
Hius und Hütte, Busk und Bäom
Driät op ’em Koppe ’ne güllene Kräon,

Het en häimlek Sluat am Mund,
Sundageskinger het et Slütelbund,
Sundageskinger gatt frey rin und rop,
Liäset de Laier van der Ere op.
Häime, laif Häime, weltenferen,
Wai söll bey dey nit singen lehren!

En Sluat vull Prinzäßkes,
Un dät Sluat, dät is gräot,
Un all dai jungen Damen,
Dai kledd iäk in Räot.

Un se danzet met ’em Winne,
Un se spaigelt iäk im Dau,
Un de Sunnenvuile un de Hummeln
Titeläiert se »Gnödege Frau«.

Un bey Dage de Sunne
Un de Mon in der Nacht,
Dai konnt iäk nit sat saihn
An diär rosaräoen Pracht.

En Volk van Musekanten
Hiät de Sumerwuhnunge hey;
Se flött un se singet,
Un ’t Konzert, dät is frey.

Wille Räosen an der Hecke,
Prinzäßkes im Sluat
Het scharpe, scharpe Dören,
Un bey allem is wuat.

Heil’ge Rugge in Feld un Walle.
Sunndag well niu kummen balle,
Schicket seynen Buaen viär,
Gäiht im Duarpe hienn un hiär,
Klimmet am Klockensäile roppe,
Smitt dey ’n Alldageshaut vam Koppe,
Locket dik op de Fierowendbank,
De Wiäke was jo swor un lank:
– Bum bam, bum bam –
Mak dik feyn un kumm dann!
Sett ’n Wiärkeldag beyseyt,
Mak deyn Hiärte uapen weyt:
Bimbam, Sunndag!
Bumbam, Restedag!

Küninge sin vey van der Stroten,
Feld un Wald is use Reyk.
Vey konnt arwen, konner ’t loten,
Et blitt sik alles, alles gleyk.
Bummeli bammeli baier,
Vey wietet säo schoine Laier:
Vey finget se op ter Stroten,
Do liät se ganz verloten.
Vey liäset se van der Wiese op,
De Siusewind smitt se us an ’en Kopp,
Se swemmet op ter Bieke,
Se hanget häoge am Knicke;
De Kuckuck op ter Aiken,
Dai helpet se us saiken.
Bummelust, Bummelast, Bummelantenreyk:
Viär Guatt sind Künink un Biärler gleyk!

De Riuskeboime am Wiäge,
Diu gloiwest, dai wören stumm,
Un ’t wör bläot Windgefiäge,
Wann se iäk boiget schaif un krumm?
Un se kännten nit Wolken, nit Sunne
Am häogen Hiemmelszelt
Un härren nit siekere Kunne
Vam höggesten Heren der Welt?

Vey het drei Lingen beym Hiuse,
Dai sind säo alt un klauk,
Dai siät mey met iährem Gesiuse
Mehr ase ’t dickeste Bauk.
Use Lingen vertellet Geschichten
Van Luien, dai lange däot.
Use Lingen konnt singen un dichten
Un smitt mey de Laier in ’en Schäot.

Weyt af van der Welt gebuaren,
Fräoh in Gedanken verluaren,
Van Biärgen trui ümmehieget,
Tüsker Luien, dai iäk rieget,
Üwerschutt met Billern un Droimen
Vam Siusewind in ’en Boimen.

Bey der Bieke, dai wild schuimet,
Alle Hingernisse ruimet,
Bey Gras un reypem Koren,
Bey Biuernblaumen im Goren,
Beym Sturm in der Hiärwestnacht,
Bey Sumer- un Froihjohrspracht,
Bey lustegen Wandergesellen,
Bey kleinen Duarpkapellen,
Bey stiller Kiärkhuawesrast:
Do sind use Dichter te Gast.

Im Koren, im reypen Koren
Sin vey junk un gräot woren:
Het jeden Dag sat giäten
Un in der Swumske siäten,
Het kuiern lohrt un singen,
Reype Roggenkeren fingen,
Literaturgeschichte hoort,
Reym un Rhythmus kennen lohrt.
Bikwerwik! Bikwerwik!
Wat ’n Glück! Wat ’n Glück!

Op stillen Wiägen goh ik ganz alläine,
Un diusend Wunder kummet op mik aan.
Se ranket ümme Läggen, ümme Stäine
Un swinget iäk tau lufteger Swiäwebahn.

Se hütt iäk bey in half verschutten Wiägen,
An schaiwen Aiwers, wasset nigge jede Nacht;
Op Brüggen wachtet se, op smalen Stiägen,
Un gatt nit, bit se mey »Gu’n Dag« het saggt.

Un diusend Wunder blögget in der Wiesen,
Un diusend reypet sachte im Korenfeld,
Un näomol diusend hiät mey ’t Water wiesen:
Van liuter niggen Wundern vull is meyne Welt.

Literatur

Christine Koch. Werke. Bearb. von Peter Bürger, Alfons Meschede und Manfred Raffenberg. Hg. vom Maschinen- und Heimatmuseum Eslohe e. V. 4 Bde. Fredeburg 1991–1994. Bd. 1: Gedichte in sauerländischer Mundart. 1992; Bd. 2: Erzählungen und andere Prosa in sauerländischer Mundart. 1991; Bd. 3: Hochdeutsche Werke; Ergänzungsband: Christine Koch. Liäwensbauk. Erkundungen zu Leben und Werk. 1993 [enthält eine umfangreiche Biografie und 17 Einzelbeiträge zu Leben und Werk]

Hochdeutsches Arbeitsbuch [zu Bd. 1]: Christine Kochs Gedichte in sauerländischer Mundart. Hochdeutsche Übersetzung und Bearbeitung Peter Bürger. Ebd. 1997; auch online als „daunlots nr. 3“ erschienen unter www.sauerlandmundart.de

Lesebuch Christine Koch. Zusammengestellt von Peter Bürger. Bielefeld 2017

Ders.: Christine Koch (1869–1951). Biographie im Überblick, Werkbeispiele, aktualisierte Biographie. Eslohe 2010

Ders.: Nationalkonservative, militaristische und NS-freundliche Dichtungen Christine Kochs 1920–1944. Ebd. 2012

Ders.: Dai van der Stroten. Menschen des Straßenlebens in der Mundartlyrik Christine Kochs und in der Geschichte des Sauerlandes. Ebd. 2014

Ders.: „Voll bereit für die Neue Zeit“. Deutschnationale, militaristische und NS-freundliche Dichtungen Christine Kochs 1920–1944. Ein Beitrag zur Erforschung des südwestfälischen Rechtskatholizismus. Norderstedt 2019

Vollständige Biobibliografie siehe:
www.lexikon-westfaelischer-autorinnen-und-autoren.de/autoren/koch-christine/