Biografie
Christine Koch wurde 1869 als fünftes von sieben Kindern eines Bauern in dem kleinen sauerländischen Dorf Herhagen geboren. Ihre Mutter stammte aus einer Lehrerfamilie. Nach der Volksschulzeit in Reiste absolvierte sie von 1885 bis 1887 eine Lehrerinnenausbildung auf der höheren katholischen Töchterschule in Duderstadt. Es folgte eine dreizehnjährige Tätigkeit als Volksschullehrerin im sauerländischen Padberg. 1902 übernahm sie die Leitung einer katholischen Mädchenschule in Vogelheim bei Essen-Borbeck. 1905 schied sie aufgrund einer anhaltenden Lungenerkrankung freiwillig aus dem Schuldienst aus.
Im selben Jahr heiratete sie einen Vetter, den Land- und Gastwirt Wilhelm Koch, mit dem sie in Bracht bei Schmallenberg lebte. Das Paar bekam vier Kinder. In den 1920er und frühen 1930er Jahren führten existenzbedrohende wirtschaftliche Nöte dazu, dass die Eheleute einen Großteil ihres Besitzes verkaufen mussten.
Der Selbstmord ihres Sohnes Willi 1935 bedeutete für Christine Koch einen nie überwundenen Schicksalsschlag. Sie war in der Folgezeit fortwährend von Krankheiten heimgesucht. Nach einem doppelten Knochenbruch wurde sie pflegebedürftig. 1943 starb ihr Ehemann nach langer Krankheit. 1944 erlitt Christine Koch einen leichten Schlaganfall, der ihre Sehkraft verringerte. Sie starb 1951 in Bracht.
Stellung im Dorfleben
Mit ihrem Mann teilte Christine Koch neben einer intensiven Beschäftigung mit dem Plattdeutschen eine ausgeprägte musikalische Ader. Im Dorf hatte man hingegen Vorbehalte gegen die ehemalige Lehrerin. „Ihr Geigenspiel zu festlichen Anlässen und erste Veröffentlichungen trugen eher zur Isolierung bei. In Bracht meinten einige Bewohner, sie solle doch lieber die Schweine füttern als Gedichte zu schreiben.“ (Peter Bürger)
Für Christine Koch war Dichten Lebensbewältigung. Ihre literarische Figur „Hiärguattsschreywerlein“ bekennt: „Ich schreibe, weil ich schreiben muss. / Ich singe auch, wenn das Herz blutet.“ Ein anderes Selbstzeugnis lautet: „Ich werde einfach dazu gezwungen, die Feder zu nehmen. Sonst komme ich vor Unruhe um“ (zitiert nach Peter Bürger).
Besonderer Stellenwert
Siegfried Kessemeier zufolge war Christine Koch die erste Autorin, die „dem sauerländischen Platt Gedichte von Rang“ abgewann: „Ein Name, der immer noch seinen eigenen Klang hat. In der Sprache des Landes, der plattdeutschen Mundart, hinterließ diese Frau ein bemerkenswertes lyrisches Werk: Gedichte.“
1939 wurde Christine Koch mit dem erstmals verliehenen Klaus-Groth-Preis ausgezeichnet. Nach dem Krieg verfasste sie auf Bitten der Dorfbewohner hin Hausinschriften für die Umgebung, allein für Fredeburg zwei hochdeutsche Serien mit 28 Texten. 1948 fand ihr zu Ehren eine Christine-Koch-Feier in Bracht statt. Zu ihrem 80. Geburtstag erreichten sie Glückwünsche von offiziellen Stellen, Verlagen, und aus größeren und kleineren Städten.
Publikationsgeschichte
Christine Koch musste, damals schon im sechsten Lebensjahrzehnt, zum Schritt in die Öffentlichkeit gedrängt werden. Ihre ersten gedruckten Texte erschienen in Heimatzeitschriften. Die Schriftleitung der Trutznachtigall ermutigte sie, ihre Texte namentlich zu kennzeichnen. Der Neheimer Musikdirektor Georg Nellius und die Malerin und Autorin Josefa Berens veranlassten sie zur Herausgabe von zwei Mundartlyrikbänden (Wille Räusen, 1924, Sunnenried, 1929) und eines plattdeutschen Prosabandes (Rund ümme’n Stimmstamm rümme …, 1927). Über hundert Dichtungen Christine Kochs, darunter „die erste plattdeutsche Messe Deutschlands“, wurden von Georg Nellius vertont. Josefa Berens, die 1925 ins benachbarte Gleiertal zog und für Christine Koch eine enge Freundin wurde, steuerte dem Druck der Werke Illustrationen bei.
Neue Christine-Koch-Forschungen
Leben und Werk der Autorin wurden ab 1987 in Eslohe im Rahmen eines umfangreichen Forschungs- und Editionsprojekts aufgearbeitet. In diesem Zuge hat sich vor allem Peter Bürger um eine Revision des gängigen Christine-Koch-Bildes verdient gemacht. Bürger zufolge wollte Koch mit ihrer Dichtung aufzeigen, dass die plattdeutsche Literatur ihrer Heimat einen gleichrangigen Beitrag zur vertrauten hoch- und niederdeutschen Literatur leisten könne, was in ihrem Fall mit der Abkehr von der „allgegenwärtigen Humoreske“ verbunden war. Die völkische Vereinnahmung und der damit verbundene „heimatideologische Kult“ hätten schon früh den Blick auf Leben und Werk Christine Kochs verfälscht. „Die überlieferten Konstruktionen und Projektionen im Dienste des heimatlichen (oder völkischen) Kollektivs fallen in sich zusammen, sobald wir uns dem leibhaftigen Menschen zuwenden.“
Einseitige frühere Editionsgeschichte
Die Instrumentalisierung nahm auch Einfluss auf die Editionsgeschichte. So wurden Texte, die „von Freiheitsdrang und Sinn für Nonkonformismus zeugen“, zu Lebzeiten nicht veröffentlicht. „Die maßgeblichen Förderer der Dichterin waren stramm völkisch ausgerichtet. Sie wollten mit ihrer Editionsarbeit Christine Koch natürlich als bodenständige ‚Mutter der Heimat‘ präsentieren. Die Helden der unterschlagenen Vagantenlieder sind aber Nichtsesshafte, Wandergesellen und Taugenichtse.“ (Bürger) In diesem Sinn wird die bäuerliche Welt von Christine Koch nicht zur Idylle stilisiert.
Kriegsbejahung
Auch Christine Koch leistete Beiträge zur allgemeinen Kriegspropaganda: „Insgesamt vier Mundartgedichte und zwölf, in fünf Fällen vermutlich unveröffentlichte hochdeutsche Texte gehören in diesen Zusammenhang […] Christine Koch teilte ohne Zweifel mit der überwiegenden Gesamtbevölkerung zeitweilig die Sympathie für die ‚neue Zeit‘, ohne je Nationalsozialistin gewesen zu sein.“ (Liäwensbauk 1993)