Biografie
Augustin Wibbelt wurde 1862 auf einem Bauernhof im heutigen Ahlener Stadtteil Vorhelm geboren. Sein Vater war Ortsvorsteher des Dorfes. Wibbelts Kindheit war geprägt vom ländlichen Leben, das aber schon damals von der Industrie bedroht war, 1946 beschrieben in Wibbelts Memoiren Der versunkene Garten: „Mein Jugendparadies liegt in einer Ecke des Münsterlandes, recht im Herzen von Westfalen. Schon rückt von einer Seite die Industrie nahe heran mit ihren rauchenden Schloten, mit ihrem Lärm und Staub, aber noch ziehen die hohen Wälder eine schützende Wehr.“ Seit seinem 12. Lebensjahr erhielt Wibbelt im benachbarten Enniger Lateinunterricht bei einem Vikar. Seine weitere Schullaufbahn führte ihn auf das Gymnasium Carolinum in Osnabrück, wo er 1883 das Abitur ablegte. Im selben Jahr nahm er in Münster das Studium der Philologie auf.
Seinen Wunsch, den Priesterberuf zu ergreifen, erlaubte ihm sein Vater nur unter der Bedingung, dass sich sein Sohn zuvor ein Jahr zum Militärdienst meldet. Im Anschluss an ein einsemestriges Studium der Philosophie in Würzburg verbrachte Wibbelt seit Herbst 1884 ein Jahr als Freiwillig-Einjähriger in Freiburg. Hier begann er, angeregt durch die Alemannischen Gedichte des Johann Peter Hebel, plattdeutsche Verse zu verfassen.
Zurück in Münster, setzte er sein Theologiestudium fort und trat Ostern 1887 in das dortige Priesterseminar ein. Nach der Priesterweihe 1888 wurde ihm eine Kaplanstelle in Moers am Niederrhein zugewiesen. 1890 wurde er nach Münster versetzt, wo er als Vikar an St. Martini wirkte. In dieser Zeit begann er, sich publizistisch zu betätigen. Ab 1891 war er Redakteur des katholischen Ludgerus-Blatts. Für das wöchentlich erscheinende Organ verfasste er bis 1896 neben hochdeutschen Artikeln zu weltanschaulichen Themen 132 humorvolle Dialoge und Erzählungen im Münsterländer Platt. In ihnen erweckte er Figuren wie Drüke-Möhne oder Vader Klüngelkamp zum Leben. Zwischen 1898 und 1906 erschienen die Texte in drei Drüke-Möhne-Bänden.
1896 wurde Wibbelt nach Oedt am Niederrhein versetzt. Zwei Jahre später wurde er Kaplan einer Gemeinde in Duisburg, wo er sich am Aufbau des Katholischen Arbeitervereins und des Katholischen Kaufmännischen Vereins beteiligte. In dieser Zeit erschienen unter anderem seine Romane Wildrups Hoff (1900), De Strunz (1902) und Hus Dahlen (1903). Hinzu kommen hochdeutsche Bücher wie die autobiographischen Schriften Mein Heiligtum (1899) und Im bunten Rock (1901) mit den Erinnerungen an seine Militärzeit. Zwischenzeitlich war Wibbelt mit einer Arbeit über Joseph Görres zum Dr. phil. promoviert worden. 1906 wurde ihm auf seinen Wunsch hin die Leitung der kleinen Kirchengemeinde Mehr bei Kleve übertragen.
Seit 1906 erschien auch seine niederdeutsche Lyrik in Buchform, zunächst Mäten-Gaitlink, eine Gedichtsammlung, die vor allem durch ihre Naturlyrik und Kindergedichte bekannt ist, 1912 Pastraoten-Gaoren und 1934 Aobend-Klocken, ein aufs Geistliche fokussierter Lyrikband. Von 1909 bis 1912 übernahm Wibbelt die Redaktion des in Essen erscheinenden westfälischen Volkskalenders De Kiepenkerl. Seit 1913 widmete er sich der Herausgabe der katholischen Wochenzeitschrift Die christliche Familie.
1918, zur Zeit des Ersten Weltkriegs, endete Wibbelts niederdeutsches Romanschaffen mit dem zweibändigen Werk Ut de feldgraoe Tied. „In diesem Werk werden die Auswirkungen der Kriegsereignisse auf ein münsterländisches Dorf dargestellt, in dem unter den Eindrücken des Zeitgeschehens positive wie negative Eigenschaften der Dorfbewohner ans Tageslicht treten. Dabei gibt der erste Band De graute Tied eher die Euphorie bei Kriegsbeginn wieder, wogegen im zweiten Band De swaore Tied dann Sorgen und Unglück die Stimmung des Dorflebens prägen. Diese zwei Seiten der Kriegsbetrachtung kommen auch in Wibbelts Lyrikband De graute Tied (1915) zum Ausdruck, in dem Wibbelt neben patriotischen Bekundungen und Polemik gegen den Feind mitunter die Schrecken des Krieges sowie Mitgefühl auch mit gegnerischen Soldaten zum Ausdruck bringt. Unter dem Namen Kriegs-Braut (1916/17) erschienen humoristisch geprägte plattdeutsche Feldpostbriefe.“ (Robert Peters, Elmar Schilling) Für Arnold Maxwill wird in Wibbelts Kriegsgedichten „die Notwendigkeit eines Verteidigungskrieges beschworen, in welchem die Deutschen gegenüber einer Welt ‚vull Nied un Striet‘ (voll Neid und Streit) ihr Existenzrecht zu behaupten und zu verteidigen“ hätten.
Für Claus Schuppenhauer, der sich mit Wibbelts Gedichtband De graute Tied (1915) und dessen Rezeption beschäftigt hat, trägt die Lyriksammlung „ganz unzweideutig Züge von Nationalismus, Überlegenheitswahn und Feindeshaß“. Er forderte 1988 eine sachlich-nüchterne Neubewertung des Autors: „Um Augustin Wibbelt ist seit Jahrzehnten viel und heftig gestritten, ja, buchstäblich gekämpft worden. So mancher wird des lauten Gezänks längst überdrüssig sein und wünschen, es möchten endlich Ruhe und Frieden einkehren. Eine solche Auffassung könnte ich gut verstehen, aber keineswegs teilen. Ich glaube nämlich und will für diesen Glauben werben, daß die Auseinandersetzung über Wibbelt in Wahrheit erst beginnen muß – jedenfalls dann, wenn wir diesen Mann und seine schriftstellerische Leistung ernst nehmen wollen. Ihn ernst nehmen, das hieße, ihn so zu behandeln, wie wir das jedem Autor von einiger Größe schuldig sind. Um unsere Pflichten kurz anzudeuten: Wir müßten erstens, Wibbelts Werk in vollem Umfang nicht nur kennen, sondern auch zu Kenntnis nehmen wollen, und wir müßten es in authentischer Form vorlegen. Wir hätten, zweitens, dies Gesamtwerk Stück für Stück nach den Regel literaturwissenschaftlichen Handwerks zu interpretieren, es also zu analysieren, aus seinen Voraussetzungen zu erklären, auf seine Wirkungen hin abzuklopfen usw., bis hin eben zu dem Versuch, dieser Lebensleistung einen gebührenden Platz in der Geschichte anzuweisen – in der nationalen Geschichte Deutschlands wohlgemerkt, nicht etwa bloß in der regionalen Geschichte, sei es die der engen westfälischen oder die der weiteren niederdeutschen Heimat. Wer will, mag diesen notwendigen, weil sachlich aufklärenden Schritten dann, drittens, noch eine Generalbewertung Wibbelts folgen lassen.“
Wibbelt ist der bekannteste niederdeutsche Autor Westfalens. Seine volkstümlichen und humoristischen Verse genießen noch heute hohe Wertschätzung, allen voran das Kindergedicht Dat Pöggsken. Seine Schriften erreichten eine enorme Auflagenhöhe. Das war schon zu seinen Lebzeiten so. Damals erschienen seine plattdeutschen Werke in 72 Auflagen, bis heute sind es etwa 150. Damit ist Wibbelt neben Annette von Droste-Hülshoff der bis heute meistgelesene kanonische westfälische Autor.
Die literarische Produktivität Wibbelts ist kaum zu überschauen. Sie umfasst etwa 110 Bücher und Schriften, dazu – grob geschätzt – etwa 10.000 Schreibmaschinenseiten an Leitartikeln, Plaudereien etc. sowie weitere Veröffentlichungen in Zeitschriften und Heimatkalendern. Zum ungemein reichen Werk Wibbelts zählen weiterhin Märchenbücher, geistliche Gedichte und seelsorgerische Schriften.
Engagement für das Niederdeutsche
Wibbelts Anliegen war – schon vor hundert Jahren, die plattdeutsche Sprache als Kulturgut zu bewahren: „Das Plattdeutsche ist meine Muttersprache, es ist eine Sprache, die alle Möglichkeiten poetischer Gestaltung in sich birgt, und sie ist in großer Gefahr, unterzugehen.“
Wibbelt besaß die Kunst, sich mit wenigen und einfachen Worten auszudrücken. Er schrieb mit ansteckender und entwaffnender Natürlichkeit. Seine Themen bezog er dabei aus dem Bereich des Menschlichen. Sein versöhnlicher Humor wurde sprichwörtlich. Renate von Heydebrand charakterisierte seine Drüke-Möhne-Texte als „unaufdringlich lehrhafte, heitere Erfindungen, die, vorzüglich erzählt und für seinen Standort erstaunlich liberal, ihn sofort berühmt machen, obwohl sie noch der Döhnekes-Poesie nahe stehen“. Kein anderes plattdeutsches Buch erreichte eine ähnliche Volkstümlichkeit.
Soziale Stoffe
Neue Wirklichkeitserfahrungen flossen in die genannten zeitkritischen Romane ein, die er während seiner Duisburger Zeit schrieb und die den Verfall des Bauerntums am Rande der Industriegesellschaft thematisieren. „Wibbelts niederdeutsche Werkreihe modelliert wie kaum ein anderes Erzählprojekt des frühen 20. Jahrhunderts einen vielfältigen Komplex sozialer und sprachlicher Welt, den lesend zu begreifen auch dem heutigen Zeitgenossen in Westfalen und darüber hinaus intellektuellen und ästhetischen Gewinn bringen mag.“ (Ernst Ribbat)
Wibbelt ist heute so etwas wie der Schutzpatron des Ahlener Stadtteils Vorhelm. Schule, Straße, Apotheke und Freizeitaktivitäten sind nach ihm benannt. Der Name des Autors weist aber weit über Vorhelm hinaus, was überregional an zahlreichen nach ihm benannten Straßen ablesbar ist. An Wibbelt erinnert weiterhin eine Wibbelt-Plakette für Verdienste um die Heimat- und Kulturarbeit. Die Augustin-Wibbelt-Gesellschaft kümmert sich nicht nur um sein Andenken, sondern in ihrem Jahrbuch um die gesamte niederdeutsche Literatur Westfalens.