Biografie
Aloys Terbille wurde 1936 als Sohn eines städtischen Vorarbeiters im westmünsterländischen Vreden geboren. In seiner Umgebung wurde überwiegend Plattdeutsch gesprochen. Er besuchte das Vredener Progymnasium und danach das Gymnasium in Ahaus. Nach dem Lehramtsstudium unterrichtete er an einer Landschule in Großemast. Daneben absolvierte er ein Aufbaustudium der Heilpädagogik und Psychologie in Dortmund, das er 1971 abschloss. Seitdem arbeitete er als Sonderschullehrer. Terbille lebte mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in dem Dorf Ammeloe an der holländischen Grenze. Er starb 2009 in Vreden.
Als literarisches Vorbild nannte der Autor die frühen Gedichte Norbert Johannimlohs. Darüber hinaus galt sein besonderes Interesse der Lyrik von Johannes Bobrowski, Hilde Domin, Rose Ausländer, Reiner Kunze, Sarah Kirsch und Günter Kunert.
Die Judenverfolgung als literarisches Thema
Seit seiner Schulzeit befasste sich Terbille mit der Vredener Mundart, der Ortsgeschichte und besonders mit der Judenverfolgung in seiner Heimatstadt. Zunächst griff er das Thema in seiner historischen Veröffentlichung De Nacht in’n November (1978) auf, gefolgt von den Gedichtbänden Spoor van Lieden allevedan (1983) und Welldage (1997), die beide große Beachtung fanden.
Mit Bezug auf Spoor van Lieden allevedan sagte Terbille: „An der Realität von Auschwitz gibt es kein Vorbei“. Die „düstere Leidensspur von Vreden bis dorthin […] [sei] nicht zu übersehen“. Das Buch fußt auf jahrelangen Recherchen. So ging Terbille den Spuren jüdischer Familien nach, die später nicht mehr in der Stadt ansässig waren. Auch nahm er Kontakt zu Betroffenen auf. Seine Hartnäckigkeit sorgte in seiner Heimatstadt und in der konservativen niederdeutschen Literaturszene für Irritation und „Unruhe“, was auch darin seinen Ausdruck fand, dass das Buch in seiner Heimat ignoriert wurde, während es in Norddeutschland und den Niederlanden viele Leser fand.
Stimmen zum Gedichtband Spoor van Lieden allevedan
Terbille spannt den thematischen Bogen bis in die Gegenwart und hinterfragt den aktuellen Umgang mit Minoritäten. „Sein Interesse gilt der Welt der kleinen Leute, der Ackerbürger und Fabrikarbeiter, unter denen er aufgewachsen ist. Er will keine ‚feinen Worte‘ machen und kein ‚Honoratiorenplatt‘ verwenden. Er übt kompromisslos Kritik an der provinziellen Enge. Terbilles Gedichte zeichnen sich in dieser Hinsicht durch ihre Konkretheit aus, die im letzten Teil der Sammlung, die sich der Gegenwart zuwendet, zum Ausdruck kommt.“ (Cornelia Fieker)
Der Literaturwissenschaftler Reinhard Goltz: Terbille „näherte sich einem der dunkelsten Kapitel deutscher Gegenwart spurensuchend mit Trauer, Furcht, Empörung, Verzweiflung, Entsetzen in schroffer, lakonischer, kaum verschlüsselter Sprache, immer gestützt auf ein durch und durch moralisches Fundament. Die Leserschaft war gespalten und bezog Position (eine Tatsache, die jedem literarischen Text zur Ehre gereicht). Den einen war er zu weinerlich, anderen galt er als Nestbeschmutzer; wieder anderen mangelte es seinen Texten an poetischer Kraft, und noch andere schließlich überreichten ihm den wichtigsten Preis für plattdeutsche Lyrik [gemeint ist der Klaus-Groth-Preis].“
„Alle Gedichte aus Spoor van Lieden allevedan sind durch einen gemeinsamen Inhalt verbunden: die Darstellung der Verfolgung von Minderheiten. Die Thematik beginnt mit der Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen an Juden, knüpft dann an den Umgang der heutigen Gesellschaft mit Minderheiten an und zieht schließlich eine Verbindungslinie zwischen Vergangenheit und Gegenwart, um deren tendenzielle Übereinstimmung im Umgang mit Minoritäten zu dokumentieren. Aus dem Aufzeigen der ungebrochenen Ideologie, den zum Teil aufeinander aufbauenden Aussagen der Gedichte und der Verknüpfung von bereits Vergangenem mit noch heute Geschehenem ergibt sich eine Zyklusstruktur der Sammlung. Die Texte, die sich ausschließlich mit dem Leid von Juden während der Zeit des Nationalsozialismus befassen, sind durch den durchgängigen Gebrauch fast episch breiter Erzählung gekennzeichnet, während mit der Verlagerung des Geschehens in die Gegenwart die Texte verstärkt gerafft und gekürzt werden; es setzen sich zunehmend Elemente lyrischen Sprechens durch. Der formale Wandel im Aufbau der Gedichte bedingt eine Zunahme ihrer kritischen Potenz. Liegt in den ersten Texten der Schwerpunkt der Intention auf der emotionalen Vergegenwärtigung des Unrechts, so schiebt sich in den Gegenwartstexten zunehmend eine scharfe Kritik an der Diskriminierung von Minderheiten in den Vordergrund.“ (Otto von der Heide)
„Auch bei den Texten von Terbille ist gefragt worden: Warum sowas in Platt? Dieser Frage liegt die Vorstellung zugrunde, daß Mundart nicht für jedes beliebige Thema das adäquate Ausdrucksmittel ist. Dieser Auffassung stimme ich zu. Aber im Gegensatz zu den ablehnend und abwehrend Fragenden ‚Worümme sowat up Platt?‘ bin ich der Meinung, daß Terbille mit guten Gründen die Mundart seiner Heimat als Medium für sein Thema gewählt hat. Der Kern seines Gegenstandes ist ja nicht mit dem allgemeinen Stichwort Judenverfolgung erfaßt. Im Vordergrund steht bei Terbille nicht das Massenschicksal der Verfolgten, sondern der regionale bzw. lokale Ausschnitt des überregionalen Problems. Es geht um die Behandlung der Juden in einer kleinen Stadt des Münsterlandes, in Vreden, der Heimatstadt des Autors. Noch genauer: es geht um ‚den Naoaber van teggenöwwer, den Naoberjungen ut use Straote‘. Das sonst eher abstrakt wahrgenommene Massenschicksal wird hier auf zwischenmenschliche Dimensionen reduziert, wird in dieser Reduktion aber nicht verkleinert, sondern in größerer Intensität nahegebracht. In diesem Zusammenhang spielt nun die heimatliche Mundart eine besondere Rolle. Als sprachliches Medium des Nahbereichs hat sie die besondere Möglichkeit, die örtliche Konkretisierung eines allgemeineren und weitreichenderen Problems unmittelbar einleuchtend zu vermitteln.“ (Norbert Johannimloh in seiner Laudatio anlässlich der Auszeichnung von Aloys Terbille mit dem Klaus-Groth-Preis)
Die plattdeutsche Sprache als kollektives Gedächtnis
„Verzahnungen und Verschränkungen zwischen dem Alten und dem Neuen werden durch seine ganz spezifische Art des Konstruierens, Montierens und Kollagierens von Elementen der Alltagssprache deutlich. Risse, Brüche und Schnitte erscheinen unvermittelt; an manchen Stellen zeigt sich verunsichernde Doppelbödigkeit. Darum sind Terbilles Gedichte direkt und provokativ. Sie setzen weniger auf das Feinsinnige, das zwischen den Zeilen zu Interpretierende. Sie klagen an, decken auf, was unter dem Mantel des Schweigens und der ‚guten Sitten‘ verborgen bleiben sollte.“ (Georg Bühren im Nachwort von Welldage)
Auch Terbilles zweiter Gedichtband Welldage wendet sich den Opfern, den Schwachen, den an den Rand Gedrückten und Sprachlosen zu. Erneut fungiert die plattdeutsche Sprache als kollektives Gedächtnis einer Landschaft und ihrer Menschen. „Lyrisch setzt Terbille seinen eingeschlagenen Weg fort; er ist und bleibt ein verzweifelter Moralist, empfindsam, verbittert und vereinzelt.“ (Stefan Grothues) Terbille ist auch in diesem Band ein „‚ungemütlicher Dichter‘, der nicht wegsieht und nicht weggeht, der das ‚Bleiben‘ – ein zentrales Thema der Poesie überhaupt – vieldeutig und widersprüchlich zur Sprache bringt, daher ‚Welldage, kinn’ Welldage / Dage, de raakt‘“. (Jürgen Hein)