Andreas J. RottendorfDas Werk
Andreas J. RottendorfDas Werk

Andreas Rottendorf hat zwischen 1956 und 1967 elf Bücher und zwei Broschüren veröffentlicht, drei davon auf Plattdeutsch: Düörgemeus (1956), Ick sinn de Fink, ick sing (1966) und Hakäsen (1967). Diese Werke stehen im Zentrum seiner literarischen Arbeit. In ihnen kommt Rottendorfs Wertschätzung seiner „Muttersprache“ am spürbarsten zum Ausdruck. Auch Rottendorfs Wahrnehmung durch die Literaturwelt beruht maßgeblich auf seinen niederdeutschen Texten.

Die nachfolgende Auswahl stellt die genannten Gedichtbände vor. Zum besseren Verständnis wurden hochdeutsche Übersetzung beigegeben. Ergänzt wird die Auswahl durch ein Andreas-Rottendorf-Lesebuch, das Heinrich Schürmann vornehmlich aus Nachlasstexten Rottendorfs zusammenstellte.

Eine weitere Ergänzung stellen Rottendorfs hochdeutsche Texte dar. Sie stammen aus seinen Veröffentlichungen Am Rande (1959), Bittere Pillen (1962), De Dag vergonk (1962), Arabesken (1964), Wegemarken (1966) und Bagatellen (1967). Rottendorf bediente sich hier sowohl der Lyrik (mit einer Vorliebe für epigrammatische Kürze) als auch der Prosa. Im Vordergrund steht hier wie da unverblümte Zeit- und Gesellschaftskritik, die reflektierte Betrachtung und das besinnliche Memento mori.

Düörgemeus (1956)

De Här, dat is de Angel,
Üm de sick alles draiht,
Wenn auk so arme Mensken
So faken harre schrait:
Wi sind jä sölwest Götter,
Sit’t hauge uppen Throun,
Un wat so laige Spötter,
Nao süss so seggt met Houhn.
Wi häw’t jä söwst beliäwt,
Wo dat henn feuhen mott,
Wi häw’t jä söwst beliäwt
De Tëiden aohne Gott.
Wi häw’t nou wëiher Ordnung,
Naoug to iätten,
Satt wät wi baide,
Ick un Dou:
Häw wi dat all vergiätten,
Aes’t anners was äs nou?

Der Herr, das ist die Angel / das Scharnier
um das sich alles dreht,
wenn auch so arme Menschen
so oft laut schreien:
Wir sind ja selber Götter,
sitzen hoch auf unserem Thron,
und was so schlimme Spötter
noch sonst so sagen mit Hohn.
Wir haben ja selbst erlebt,
wohin das führen muss,
wir haben ja selbst erlebt
die Zeiten ohne Gott.
Wir haben nun wieder Ordnung,
genug zu essen,
satt werden wir beide,
ich und du:
Haben wir das schon vergessen,
als es anders war als jetzt?

Ti Jaohr gonk use laiwe Här
Äs Biädelmann un nich bekannt
To Faout düör’t satte döütske Land.
He klopper an so mann’ge Diiör,
Dao satt un bläiw de Grändel vüör,
He klopper an so mannig Hiät,
Dat süss to Ämm so gähn har biät.
He klopper bi de Bouhern an:
„Wi häwt nicks fö Di, Biädelmann!“
He klopper in dat Gasthous an:
„Kinn Behr is frei fön Biädelmann!“
He klopper bi den Doctor an:
„Gaoht nao’n Pastaouher, Biädelmann!“
He klopper bin Pastaouher an:
„Du häös jä nich mein Kiäspel an,
Wat wuss Du frümde Biädelmann!“
Dao fonk de Här to grëinen an.
Nou kwamm de Här nao’n Küötterhous,
De Frau was ahm äss ’ne Kiäkenmous,
Graut was de Naut,
De Mann was daut,
Drai Jungs de wörn iähr fallen.
Dat Hüttken aolt, kinn Fenster dicht,
Män propper was dat grëise Wicht
Un fröndlick lacher iähr Gesicht:
„Kuhmt naiger, Här,
Ick hahl Jou Miälk un brenk den Stouten,
Doch met Verleif, blëiwt laiwer bouten,
Int Stüöwken is’t wahn eng.“
He siänger’t Kümpken, Wëiw un Stouten
De Sunne brack sick in de Routen,
Dao löchter den Hän sëin hillig Gesicht.
De Här de att, de Här de drank
Un äs de Sunne güllen sank,
Dao stonn he up von sëine Bank
Un gonk gans still dat Pättken lank:
He wisker sëine Augen.
Schulte Rottrup sägg:
Ick sölwest driäp nao Dagesdag
De glëiken Löü von düssen Schlag.

Einst ging unser lieber Herr
als Bettelmann und nicht bekannt
zu Fuß durchs satte deutsche Land.
Er klopfte an manche Tür,
da saß und blieb der Riegel davor.
Er klopfte an so manches Herz,
das sonst zu Ihm so gern gebetet hatte.
Er klopfte bei den Bauern an:
„Wir haben nichts für dich, Bettelmann!“
Er klopfte beim Gasthaus an:
„Kein Bett ist frei für einen Bettelmann!“
Er klopfte bei dem Doktor an:
„Geh zum Pastor, Bettelmann!“
Er klopfte beim Pastor an:
„Du gehörst nicht meiner Gemeinde an,
was willst, du fremder Bettelmann!“
Da fing der Herr zu weinen an.
Jetzt kam der Herr zu einem Kötterhaus,
die Frau war arm wie eine Kirchenmaus,
groß war die Not,
der Mann war tot,
drei Söhne waren ihr gefallen.
Das Häuschen alt, kein Fenster dicht,
aber adrett war das greise Mädchen
und freundlich lachte ihr Gesicht:
„Kommt näher, Herr,
ich hol’ Euch Milch und bringe den Stuten,
doch mit Verlaub, bleibt lieber draußen,
im Stübchen ist es schrecklich eng.“
Er segnete Schale, Weib und Stuten,
die Sonne brach sich in der Scheibe,
da leuchtete das heilige Gesicht des Herrn.
Der Herr der aß, der Herr der trank,
und als die Sonne golden sank,
da stand er auf von seiner Bank
und ging ganz still den Pfad entlang:
Er wischte seine Augen.
Schulte Rottrup sagt:
Ich selber treffe noch Tag für Tag
die gleichen Leute von diesem Schlag.

Ick biär to Dëi, Du laiwe Här,
Äs’t mi de Maouder lähren där
Un feul, dat Du mi gutt verstaihs
Un mi bi Naut tor Sëite gaihs.
Dütt, wat ick glaoww un daohn,
Dat laot doch, Här, bestaohn.

Ich bete zu dir, du lieber Herr,
wie’s mich die Mutter lehrte
und fühle, dass du mich gut verstehst
und bei Not an meiner Seite gehst.
Dieses, was ich glaubte und getan habe,
das lass doch, Herr, bestehen.

Ick schrëiwe
äs de Bouher schriww,
Weck alltëid,
wat he is, auk bliww.
Ick köüher
äs de Bouher spräck,
Ick hasse,
wat viäl Wesens mäck.
Daut gaoh ick
äs wi Bouhern stiäwt:
Wi glaiwet,
dat wi iäwig liäwt.
Veluon
Tüsken Ihms un Lippe
Dao stonn äin grautet Hous
So gans fö sick alläin,
Weit löchtern Dack un Stäin,
Dat was mëin Vaderhous.
Dat Hous is lang verschwunen,
Auk Schöüern, Baim un Ställ´,
De Stiär häw’k nich mähr funnen,
Wo Maouder lacher so hell.
Bloss an de Poht to bouten
Ligg nao de Kieselink,
Ick kann den Krink nich schiouten,
Tobruoken is Hiät un Rink.

Ich schreibe,
wie der Bauer schreibt,
der immer,
was er ist, auch bleibt.
Ich spreche,
wie der Bauer spricht,
ich hasse, was viel Wesens macht.
Sterben will ich,
wie wir Bauern sterben:
Wir glauben,
dass wir ewig leben.
Verloren
zwischen Ems und Lippe
da stand ein großes Haus
so ganz für sich allein,
weit leuchteten Dach und Stein,
das war mein Vaterhaus.
Das Haus ist lange verschwunden,
auch Scheunen, Bäume und Ställe,
den Ort habe ich nicht mehr gefunden,
wo Mutter so hell lachte.
Nur an der Pforte da draußen
liegt noch der Findling,
ich kann den Kreis nicht schließen,
zerbrochen sind Herz und Ring.

Ick gonk alläin
Düör Busk un Kamp
Un üöwer mëi
Was’t Himmelstelt.
Von weiten saoh ick
Duop un Damp,
In sick ’ne rächte,
Klaine Welt:
Dat was mëin Ellernhaoff.
Nou briäkt se Stäine,
Makt viel Staoff
Un kimmensk denkt mähr dran,
Wu’t Hiät mi bleuhen kann.
Schiäpelt män Geld,
Makt Widder Staoff
Out hillge Aer
Vonnen Ellernhaoff.
De Är, de blött,
Mein Hiät blött auk
Bis alls is wohn
To Schall un Rauk.
Nao hunnert Jaohr
Wäss alls wëiher taou,
Wo’t Hiät mi bleuher
Grast ne Kaouh,
De denkt an Gräss,
An Kalw un Ossen,
An den grauten Wesskiäksken,
Den Vossen.
Wu siälig is de Mensk manks dran,
Weck äs de Kaouh bloss denken kann.

Ich ging allein
durch Busch und Kamp
und über mir
war das Himmelszelt.
von weitem sah ich
Dorf und Dampf,
in sich eine rechte
kleine Welt:
Das war mein Elternhof.
Nun brechen sie Steine,
machen viel Staub
und keiner denkt mehr dran,
wie das Herz mir bluten kann.
Scheffelt nur Geld,
macht weiter Staub
aus heiliger Erde
vom Elternhof.
Die Erde, die blutet,
mein Herz blutet auch
bis alles geworden
zu Schall und Rauch.
Nach hundert Jahren
wächst alles wieder zu,
wo das Herz mir blutete
grast eine Kuh,
die denkt an Gras,
an Kalb und Ochsen,
an den großen aus Westkirchen,
den Roten.
Wie selig ist der Mensch manchmal dran,
der nur wie die Kuh denken kann.

Hiäm Rimbiäcks, Heinrich Dahlhoffs,
Wonnemann, Strauhbühker, Mense,
Rottrup.
Wenn wi äs daut sind, dou un ick,
Dann driäpt wi us fön kuoten Blick,
Wi driäpt us uppen Biäge*).
Wi driäpt us so ümt Döüsterwähn,
Äs dat de junge Dähn hat gähn,
Doch denkt wi nich ant friggen,
Dat deut weit trügge liggen.
Wi këikt, wu’t use Naohbers gait
Un aow de wittdaöhn Hucht nao blait,
Wo sick de Dauden resset**).
Wenn wi dao alls gewahr wohn sind
Und alls gait rächt to Wiäge,
Dann drägg us wäg de rugge Wind,
De us auk brengen där äs Kind:
Us Aollen vonnen Biäge.

*) Tüsken Iängerlauh un Wesskiäken.
**) Ässem glöww, sind dao Suldaoten begrawen.

Hermann Rimecks, Heinrich Dahlhoffs,
Wonnemann, Strohbühker, Mense,
Rottrup.
Wenn wir mal tot sind, du und ich,
dann treffen wir uns für einen kurzen Blick,
wir treffen uns auf dem Berge*.
Wir treffen uns so zur Dämmerung,
wie es die jungen Mädchen mögen,
aber wir denken nicht ans Freien,
das liegt weit zurück.
Wir schauen, wie es unseren Nachbarn geht
und ob der Weißdornhain noch blüht,
wo die Toten ruhen**.
Wenn wir dort alles gesehen haben
und alles mit rechten Dingen zugeht,
dann trägt uns fort der raue Wind,
der uns auch brachte als Kinder:
uns Alten vom Berge.

* zwischen Ennigerloh und Westkirchen
** Wie man glaubt, sind dort Soldaten begraben.

De Maon was fahl un de Nihwel waor dicht,
Wat ick saoh, dat was dat Jünkste Gericht,
Man mähr draww’k der nich üöwer seggen.
De Wëiske was greun un ick käik so wëit,
Wat ick saoh, dat was de vergaohne Tëid
Met all iähre laiwen Dauden.
De Schnai lagg daip un de Är was witt,
Wat ick saoh, dat gonk dao in Schritt un Tritt,
Dat wörn de fall’nen Suldaoten.
De Wolke was swatt un trock üöwer’t Land,
Wat ick saoh, dat was äin Föüher un Brand
Von äinen End ton annern.
De Schnai was witt un dat Föüher is raut,
De Mensken sind alltëid in Naut
Un alltëid broukt se Hölpe.
De Nihwel was grëis un fahl schinnt de Maon,
Wat kuhmen is, mott auk vergaohn,
Mott gaohn in de Iäwigkait.

Der Mond war fahl und der Nebel war dicht,
was ich sah, das war das Jüngste Gericht,
aber mehr darf ich darüber nicht sagen.
Die Wiese war grün und ich schaute so weit,
was ich sah, das war die vergangene Zeit
mit all ihren lieben Toten.
Der Schnee war/lag tief und das Land war weiß,
was ich sah, das ging da in Schritt und Tritt,
das waren die gefallenen Soldaten.
Die Wolke war schwarz und zog übers Land,
was ich sah war ein Feuer und Brand
von einem Ende zum andern.
Der Schnee war weiß und das Feuer ist rot,
die Menschen sind immer in Not
und immer brauchen sie Hilfe.
Der Nebel war grau und fahl scheint der Mond,
was gekommen ist, muss auch vergehen,
muss gehen in die Ewigkeit.

De Plaougschar fratt de Ahntwaihn,
De Pätte laupt so lëik,
De Wiäge sind so schmal wohn:
Glöwws Du, dat mäck Di rëik?
De Kouhlen wäht ahl taoufuort,
Bi Hous is nao äin Dëik,
De Biäcken sind „begradigt“:
Glöwws Du, dat mäck Di rëik?
De Hihgen sind mäist outtuot,
Ahl Rihgel säiht sick glëik,
De Büske krëicht de Schwinnsucht:
Glöwws Du, dat mäck Die rëik?

Hoalt is nou mett dütt Schrappen,
Dat segg’k Jou int Gesicht:
Nao usen lesten Happen
Dräpp us äin hatt Gericht.

Die Pflugschar fraß die Entenweiden,
die Pfade laufen so gerade,
die Wege sind so schmal geworden:
Glaubst du, das macht dich reich?
Die Kuhlen werden alle zugefahren (aufgefüllt),
am Haus ist noch ein Teich,
die Bäche sind „begradigt“:
Glaubst du, das macht dich reich?
Die Hecken sind meist ausgerissen,
alle Riegel sehen gleich aus,
die Büsche bekommen die Schwindsucht:
Glaubst du, das macht dich reich?

Halt ist jetzt mit diesem Raffen,
das sage ich euch ins Gesicht:
Nach unserem letzten Happen
trifft uns ein hartes Gericht.

– Philosophisk –

Ick luster nich up Luow un Schennen
Un kuhm to Faout so still fö mëi,
Mühgt auk de annern laupen, rennen,
Ick gaoh gans sacht an iähr — vöbei.
Mak’t jüssaou! Laot se ächter Dei.

– philosophisch –

Ich höre nicht auf Lob und Schimpfen
und komme zu Fuß so still für mich,
mögen auch die anderen laufen, rennen,
ich gehe ganz sacht an ihnen – vorbei.
Mach’s auch so! Lass sie hinter dir.

Nihmt doch de Mensken äs se sind,
Auk nao de Schaoulteid blëiwt se’n Kind,
Häwt se’ne Biär, willt se ’nen Appel,
Von Tëid to Tëid krëicht se ’nen Rappel:
De äine will soupen, de annere friggen,
Bi’n diätten sall’t an Pinksten schniggen
Ick glaiwe auk, dat deut so blëiwen,
Et sind jä Mensken un iähr Drëiwen.

Nehmt doch die Menschen, wie sie sind,
auch nach der Schulzeit bleiben sie Kind,
haben sie eine Birne, wollen sie ’nen Apfel,
von Zeit zu Zeit kriegen sie ’nen Rappel:
Der eine will saufen, der andere freien,
beim dritten soll’s an Pfingsten schneien,
ich glaube, das wird so bleiben,
es sind ja Menschen und ihr Treiben.

Längst wait 'k nich alls, doch wäit ick viel
Von Mensken, Dëihers, Planten.
Mëin ganzet Liäwen was kinn Spiel,
Gott Dank har’t hatte Kanten.
Baol këik 'k de Welt von buom mi an,
Säih Mensk un Dëiher laupen:
Män’t ganze Spielwiäk düch mi dann
Bloss ässen — Ampelhaupen.

Längst weiß ich nicht alles, doch weiß ich viel
von Menschen, Tieren, Pflanzen.
Mein ganzes Leben war kein Spiel,
Gott Dank hatte es Kanten.
Bald schau ich die Welt von oben mir an,
sehe Mensch und Tier laufen:
Aber das ganze Spielwerk scheint mir dann
nur wie ein – Ameisenhaufen.

Äs’k junk was, saoh’k de Löütens gähn:
De Blonden un de Swatten,
De Grauten un Alatten,
De Krousen un de Glatten,
De Brounen un de Vösskes
Un auk de ruggen Katten
Geföllen apatt mi gutt.
Äs’k öller wohr, har’k Blaoumen laiw:
Män ick lait alle staohn,
Konn still dertihgen gaohn.
Bekeik se mähr von wëiten,
Dao kann Di nicks nich bëiten;

Auk sass Du se nich briäken,
Dann daouhet se Di nich stiäken
Un könnt auk nich verwelken,
De Grauten un de Knelken.
Inn’n Grunne häw wi alle gähn
De Blaoumen un ’ne scheune Dähn,
Äs auk dat Waohre, Rächte,
Dat Gude un dat Echte,
Dat Blanke un dat Lechte:
Fö klaore Augen rächt in Toum
Vön Gott sien Kleid ein bittken Soum

Als ich jung war, sah ich die Mädchen gern:
Die Blonden und die Schwarzen,
die Großen und Kleinen,
die Krausen und die Glatten,
die Braunen und die Rothaarigen (Füchschen)
und auch die kratzigen Katzen
gefielen mir doch gut.
Als ich älter wurde, hatte ich Blumen lieb:
Aber ich ließ alle stehen,
konnte still daneben gehen.
Betrachtete sie mehr von weitem,
da kann dich gar nichts beißen;

Auch du sollst sie nicht brechen,
dann werden sie dich nicht stechen
und können auch nicht verwelken,
die Großen und die Hübschen.
Im Grunde mögen wir alle
die Blumen und ein schönes Mädchen,
wie auch das Wahre, Rechte,
das Gute und das Echte,
das Blanke und das Helle:
für klare Augen recht im Zaum
von Gottes Kleid ein wenig Saum.

Weck kinne äigne Mainung hätt,
Kann’t met kinnäin vediäwen
Un weck äs Ihsel buon wätt,
Mott mäist auk jüssaou stiäwen.
Män in de Tüskenteid apatt,
Dao friät sick ahl de Ihsel satt.

Wer keine eigene Meinung hat,
kann’s sich mit niemandem verderben
und wer als Esel geboren wird
muss meisten auch so sterben.
Aber in der Zwischenzeit jedoch,
da fressen sich alle die Esel satt.

Weck dagesdag verdraitlick is
Un mäck so den Schalouhen,
Den Mann den gao wi outen Wäg,
Den Kärl is nich to trouhen.
Weck schlëipstiätsk düör sein Liäwen gait,
Un aohlwäg is ant Louhern,
Un üöwer nicks nich mähr sick frait,
Dat Mensk is to bedouhern.
Weck üöwer söwst sick lustig mäck,
Sick an de äigne Niäse päck
Un nömmt sick söwst: Du Ihsel!
De Mann is wëise, glaiwt mi män
Up den schmëit’t jau kinnen Kiesel,
Spinnt he auk Flousen un Flax,
Äs manks uss' Naohber, de Max.

Wer jeden Tag verdrießlich ist
und macht den Eifersüchtigen,
dem Mann gehen wir aus dem Weg,
dem Kerl ist nicht zu trauen.
Wer heimtückisch durch sein Leben geht,
und immer auf der Lauer
und sich über nichts mehr freut,
der Mensch ist zu bedauern.
Wer über sich selbst lustig macht,
sich an die eigene Nase fasst
und nennt sich selbst: du Esel!,
der Mann ist weise, glaubt mir nur,
und werft ja keinen Kiesel,
spinnt er auch Flausen und Flax,
wie manchmal unser Nachbar, der Max.

De Träönen, weck' ne Maouder grinnt,
De Träönen wiägt schwaor äs Blëi
Se drückt äin Maouderhiät ratz aww,
Se wäht verguotten üm Dei

Die Tränen, die eine Mutter weint,
die Tränen wiegen schwerer als Blei,
sie schnüren ein Mutterherz gänzlich ein,
sie werden vergossen um dich.

Mëin gudet, laiwet Meuderken,
Wu faken denk’k an Dëi!
De Augen wäht mi alltëid fucht,
Wenn’k föül, Du bis bi mëi.
Ick weit wull, dat Du wäggaohn bis,
Wohenn wi alle gaoht;
Mä manksen düch mi, dat äs süss
Wi wëiher binäine staoht;
Unn segg´k Dei hiätlick gude Nacht,
Äs´k jeden Aobend dat daou,
Dann deckt mi Dëine laiwe Hand
Met Dëinen Siängen taou.

Mein gutes, liebes Mütterchen,
wie oft denk ich an dich!
Die Augen werden mir immer feucht,
wenn ich spüre, du bist bei mir.
Ich weiß schon, dass du gegangen bist,
wohin wir alle gehen;
doch manchmal scheint mir, dass wie sonst
wir wieder beieinanderstehen;
und sag ich dir herzlich gute Nacht,
wie ich das jeden Abend tu’,
dann deckt mich deine liebe Hand
mit deinem Segen zu.

Meuderken, mein Meuderken,
Nou sin ick so alläin,
Alltëid bis Du bi mi west
Tröü wöürst Du mi bis gans tolest,
Du unnern kaollen Stäin.

Meuderken, mëin Meuderken,
Mëin Hiät deut mi so wäih.
Alltëid hätt ett fö Di schlaon,
Daoch nou bliew et faken staon,
Datt’k Di nich mähr säih.

Meuderken, mëin Meuderken,
Du failst mi Dag un Nacht.
Wanners is’t auk Tëid fö mëi,
Praot staot de Briär äs fö Dëi,
Dann kuhm ick to Di sacht.

Mütterchen, mein Mütterchen,
nun bin ich so allein,
immer bist du bei mir gewesen
treu warst du mir bis ganz zuletzt,
du unterm kalten Stein,

Mütterchen, mein Mütterchen,
mein Herz tut mir so weh.
Immer hat es für dich geschlagen,
doch jetzt, da ich dich nicht mehr sehe,
bleibt es oft stehen.

Mütterchen, mein Mütterchen,
du fehlst mir Tag und Nacht.
Bald ist es auch Zeit für mich,
die Bretter stehen bereit wie für dich,
dann komm’ ich zu dir sacht.

De Mensk, de kümp,
De Mensk, de gait
Un fällt in de Vergiättenhait:
Drüm nimm Di nich so wichtig.
Dein Hiät, dat schlött,
Män et stait still,
Wenn dat de laiwe Här so will:
Drüm nimm Di nich so wichtig.

Us häört nicks taou,
Alls is jä lennt.
Von us gait jederäin in Kost:
Drüm daouhe, wat Du daouhen most
Betahl Dein Kostgeld richtig,
Doch nimm Di nich so wichtig.

Uss' Tëid is kuott.
De Daut ritt rask,
He pack Pastaouher un Köster,
Avkaot un Büögermester
Un stäck us ahl inne Task:
Dütt Liäwen is so flüchtig,
Hölpt Ju äinanner düftig,
Män makt Ju nich so wichtig.

Der Mensch, der kommt,
der Mensch, der geht
und fällt ins Vergessen:
Drum nimm dich nicht so wichtig.
Dein Herz, das schlägt,
doch es steht still,
wenn das der liebe Herr so will:
drum nimm dich nicht so wichtig.

Uns gehört nichts,
alles ist ja geliehen.
Von uns geht jeder in Kost:
drum tue, was du tun musst,
bezahl dein Kostgeld richtig,
doch nimm dich nicht so wichtig.

Unsere Zeit ist kurz.
Der Tod ist schnell,
er packt Pastor und Küster,
Rechtsanwalt und Bürgermeister
und steckt uns alle in die Tasche:
Dieses Leben ist so flüchtig,
helft euch einander tüchtig,
aber macht euch nicht so wichtig.

(Äine Parabel)

Wat is dat met dat Schäisken?
Et draihet sick un wegget sick,
Et spaigelt sick un regget sick
Un wör auk’t scheunste Wiär,
Et kümp nich von de Stiar,
Et mäk bloss Bum-Ta-Ta un driww Allotria.

Wat is dat met de Mensken?
Se draihet sick un wegget sick,
Se spaigelt sick un regget sick,
Wi ligget an de Kiär
Un kuhmt nich von de Stiär.
Wi makt bloß Bum-Ta-Ta un drëiwt Allotria.

(Eine Parabel)

Was ist das mit dem Karussell?
Es dreht und bewegt sich,
es spiegelt sich und reg sich
und wäre es auch schönstes Wetter,
es kommt nicht von der Stelle,
es macht nur Bum-Ta-Ta und treibt Allotria.

Was ist das mit den Menschen?
Sie drehen und bewegen sich,
sie spiegeln und sie regen sich,
wir liegen an der Kette
und kommen nicht von der Stelle.
Wir machen nur Bum-Ta-Ta und treiben Allotria.

Wenn Du auk tihgen Ihsel siss,
Segg Di kinnäin, dat he dat is
Un wenn he Di dat seggen där,
Dann wöhr’t fö Dëi ne hauge Ähr
Wëil, weck sick söwst äs Ihsel kennt,
Viel kleuker is ässem dat mennt:
He kennt sick, män Du kenns Di nie,
Wo auk de Ünnerschait drin ligg.
Wenn’n bittken bi Verstand Du bis,
Segg söwst, weck wull de Ihsel is.

Auch wenn du neben einem Esel sitzt,
sagt keiner dir, dass er es ist,
und wenn er dir das sagte,
dann wär’s für dich ’ne hohe Ehre,
weil, wer sich selbst als Esel kennt,
viel klüger ist als man meint:
Er kennt sich, doch du kennst dich nie,
worin der Unterschied liegt.
Wenn ein wenig bei Verstand du bist,
sag selbst, wer wohl der Esel ist.

Bi Rimbiäcks

Bi Rimbiäcks unnern Biärbaum
Dao satt ick süss so gähn
Un Buotter, Braut un Schinken
Brogg mi ne flotte Dähn.
Wi pössen gutt to Haup,
De Biärbaum, Hiäm un ick,
Wi köühern von aolle Tëiden,
Von Mensken un iähr Geschick.
De Biärbaum is ümstuott,
Hiäm Rimbiäcks lange daut,
Mëi deut de Sunn nao löchten
To’t leste Aobendraut.
An’t End von usen Laup
Driäpt wi us ahl to Haup.

Bei Rimbecks

Bei Rimbecks unterm Birnbaum
da saß ich sonst so gern
und Butter Brot und Schinken
brachte mir ein flottes Mädchen.
Wir passten gut zusammen,
der Birnbaum, Hermann und ich,
wir sprachen von alten Zeiten,
von Menschen und ihrem Schicksal.
Der Birnbaum ist gefallen,
Herm Rimbeck lange tot,
mir leuchtet noch die Sonne
zum letzten Abendrot.
Am Ende unseres Laufs
treffen wir uns alle.

Innen Busk dao will ick trecken,
Wo nao swatte Räihe staoht,
Gaitlinkssank de sall mi wecken,
Mensken will’k nich, kinne Straot.
Radio mäck kinn Spetakel,
Autos maket kinn Krijeul,
Män dat Scheunste, dat Mirakel
Is dat sihkere Gefeul:
Hëiher draff’k f ö m ë i äs liäwen,
Kinnäin frögg, wat’t Nëiës giww,
Wëil dat Mehrste von dat Nëië
Gar nich wäht is, dat et bliww.
Lecht naoug brenkt de laiwe Sunne,
Stärn un Maon gihwt Sülwer-Schëin
Un bi Kölle beut’k mi’n Föüher:
Segg! Wat könn nao scheuner sëin?

In den Wald, da will ich ziehen,
wo noch schwarze Rehe stehen,
Amselsingen soll mich wecken,
Menschen will ich nicht, keine Straße.
Radio macht kein Spektakel,
Autos machen kein Geschrei,
doch das Schönste, das Wunder,
ist das sichere Gefühl:
Hier darf ich für mich mal leben,
keiner fragt, was es Neues gibt,
weil das meiste von dem Neuen
gar nicht wert ist, dass es bleibt.
Licht genug bringt die liebe Sonne
Stern und Mond geben Silberschein
und bei Kälte zünd’ ich mir ein Feuer an:
Sag! Was könnt’ noch schöner sein?

10
Met taihn sin wi nao klain,
Met taihn sin wi nao minn,
Män wat kümp,
Dat stäck all daipe drin.

Mit zehn sind wir noch klein,
mit zehn sind wir noch unbedeutend,
aber was kommt,
das steckt schon tief drinnen.

20
De Paohl stait nao nich fast,
Wi häwt all manks so use Last
Mette Ahbait, mettet Lähn,
Mettet Geld un bi de Dähn.

Der Pfahl steht noch nicht fest,
wir haben schon manchmal unsere Probleme
mit der Arbeit, mit dem Lernen,
mit dem Geld und bei den Mädchen.

30
Diättig sind de besten Jaohr,
Nao nich gans klouk,
Nich mähr gans dumm,
Alls is so dankbar,
Alls is so gankbar,
O Tëid, kumm wëiher, kumm!
Se deut et aowwer nich.

Dreißig(er) sind die besten Jahre,
noch nicht ganz klug,
nicht mehr ganz dumm,
alles ist so dankbar,
alles ist so gangbar,
O Zeit, komm wieder, komm!
Sie tut es aber nicht.

40
Bi vättig fällt de erste Schnäi,
Du märks em nich,
He deut nich wäih,
Doch fallen deut he sihker.

Bei vierzig fällt der erste Schnee,
du spürst ihn nicht,
er tut nicht weh,
aber fallen tut er sicher.

50
Met fifftig sind de mehrsten düftig.
Doch wo fänkt an to pucken,
To mucken, jucken, tucken,
Villicht bit Hiät, villicht annen Magen?
Pass up!
Dao will Di äin annen Kragen.
Pass up!

Mit fünfzig sind die meisten tüchtig.
Doch wo fängt’s an zu klopfen,
zu mucken, jucken, zucken,
vielleicht beim Herz, vielleicht am Magen?
Pass auf!
Da will dir jemand an den Kragen.
Pass auf!

60
Sässtig. De Jaohre dräigt sick lästig.

Sechzig. Die Jahre tragen sich lästig.

70
Met sibbensig häbben nich mähr viele tihgen sick.

Mit siebzig hat man nicht mehr viele gegen sich.

80, 90,100
Bi achzig sitt’t nao faste Sprossen
Män nou kuhmt de lesten, de lossen.
O Här, nimm us bamhiättig up
Wi sind jä Dëin
Wi wocht nou drup.

Bei achtzig sitzen noch feste Sprossen,
doch nun kommen die letzten, die losen.
O Herr, nimm uns barmherzig auf.
Wir sind ja dein,
wir warten nun drauf.

Wuss Du nich met mi danzen gaohn,
Du laiwe, swatte Dähn?
Ick wëis Di blaohe Bleumkes auk,
Ick häw Di doch so gähn.
Dat Wicht gonk met ämm danzen,
De Maouder grëin to Hous,
Dat Löüt dat kräich de Bäckskes raut;
Doch annern Muon, dao was se daud.
Un Maouder grinnt to Hous.

Wuss Du nich äs Suldaoten spihlen,
Du laiwe, junge Bouher?
Ick giww Di buntet Töüch dann auk,
Nix fällt Di dann mähr souher.
De Bouher gonk met ämm spihlen,
De Maouder grëin to Hous.
Et is iähr alles nuhm
He is nich weiher kuhm,
Un Maouder grinnt to Hous.

So danzt de Daud viel dousent Jaohr,
Wo ümmers het iäms kann.
De Daud, dat is de starke Mann
Un fast is sëine Foust.
De Daud, dat is de graute Här,
De brengt us alle in de Är
Un jederäin kümp dran.

Willst du nicht mit mir tanzen gehen,
du liebes, schwarzes Mädchen?
Ich zeig dir blaue Blümchen auch,
ich hab’ dich doch so gern.
Das Mädchen ging mit ihm tanzen,
die Mutter weinte zu Hause,
das Mädchen bekam rote Wangen;
doch am anderen Morgen war es tot.
Und Mutter weint zu Hause.

Willst du nicht mal Soldat spielen,
du lieber junger Bauer?
Ich geb’ dir bunte Kleider dann auch,
nichts fällt dir dann mehr schwer.
Der Bauer ging mit ihm spielen,
die Mutter weinte zu Hause.
Alles ist ihr genommen,
er ist nicht wiedergekommen,
und Mutter weint zu Hause.

So tanzt der Tod viel tausend Jahr,
wo immer er’s eben kann.
Der Tod, das ist der starke Mann
und fest ist seine Faust.
Der Tod, das ist der große Herr,
der bringt uns alle unter die Erde
und jedermann kommt dran.

(Dubbelt un autobiografisk)

Bi Kölle kräik ’ne rauhe Niäs',
Wat was ick wahn, wat was ick twiäs,
Äs mi de Magister sägg,
Datt dat bloss an mein Soupen lägg;
Un spraiher’t Niäsken Funken,
Wahrhaftigen Guotts,
Ick har doch Miälk bloss drunken.
Ick dach:
De Mann is baise, is nich fëin,
He deut Di Unrächt, mäck Di Pëin,
Un dat will nao’n Magister sëin!
Dat Unrächt douher mi to lange,
He kräich äs Aollsk' ne Gaffeltange.
Hässlers to Uel sind gude Löü,
Dao fonk ick an;
Un wanners stonn ick mëinen Mann:
So tamper ick auk drank,
So pëiler waor mëin Gank,
So faster waor mëin Tritt
Un de Niäs', jä, de waor – witt.
De Gerächtigkeit mott sihgen:
Ick häw ne düft’ge Frau metkrihgen.

Drai Nutzanwännungen:
1.
De Niäse giww nich ümmer an,
Off äiner därwe soupen kann.
2.
Dat Söwtige bi’t Kümpeln
Lött Di so baol nich hümpeln.
3.
Will äin Di aislick pruhken.
Dann laot Di jau nich stuhken.

(doppelt autobiografisch)

Bei Kälte bekam ich eine rote Nase,
wie war ich verärgert, wie war ich quer,
als mir der Lehrer sagte,
das läge nur an meinem Saufen.
Und sprühte das Näschen Funken
wahrhaftiger Gott,
ich hatte doch nur Milch getrunken.
Ich dachte:
der Mann ist böse, ist nicht fein,
er tut dir unrecht, macht dir Pein,
und der will auch noch Lehrer sein!
Das Unrecht dauerte mir zu lange,
er bekam als Ehefrau eine zänkische.
Hesslers zu Oelde sind gute Leute,
da fing ich an;
und bald stand ich meinen Mann:
so heftig ich auch trank,
so aufrechter war mein Gang,
so sicherer war mein Tritt,
und die Nase, ja, die war weiß.
Die Gerechtigkeit muss siegen,
ich habe eine tüchtige Frau bekommen.

Drei Nutzanwendungen:
1.
Die Nase zeigt nicht immer an,
ob einer kräftig/derbe saufen kann.
2.
Desgleichen gilt beim Abkanzeln,
es lässt dich nicht sofort humpeln.
3.
Will einer dich gemein ärgern,
dann lass dich ja nicht stauchen.

Wenn äin son lück wat wohen is,
– Mëinthalben datte Minister bis –
So blëiw rächt fröndlick, ahdig, nett,
Du wäiss: Minister Diener hett;
Un daoför krich he haugen Louhn
Un ahl so baol de graut' Pensioun:
O Här, wat sin wi rëiwe!

Wenn einer so ein bisschen was geworden ist
– meinetwegen, dass du Minister bist –
so bleib recht freundlich, artig, nett,
du weißt: Minister heißt Diener,
und dafür bekommt er hohen Lohn
und alsbald die große Pension;
o Herr, wie sind wir verschwenderisch!

De Klöüherklaos mäck
Äin seutlick Gesicht
He köühert viel,
He köühert ficks,
An de Sake söwst,
Dao ännert sick nicks.
Dat Moul is graut,
Innen Kopp is wennig
Un de Bäbbel flügg jä
Viel to hännig.
Dat is jä iäms äin Köüherklaos,
Weck widders nicks kann äs köühern bloss.

Nutzanwännung
Wät sücke Kläöse aowwer graut,
Gerött dat ganze Volk in Naut;
Wenn naidig, stoppt iähr’t Moul un läht
Dat wi nich wëiher kahlschuon wäht.
Aes ick saon lück to bouten stonn,
Dao frogg mi äin nao’n Wägg nao — Bonn.

* wörtlich: Redeklaus = Schwafler, Schwurbler …

Der Laberhans macht
ein süßliches Gesicht,
er redet viel,
er redet schnell,
an der Sache selbst,
da ändert sich nichts.
Das Maul ist groß,
im Kopf ist wenig,
und das Mundwerk geht ja
viel zu schnell.
Das ist ja eben ein Laberhans,
der weiter nichts als nur reden kann.

Nutzanwendung
Werden solche Hänse aber groß,
gerät das ganze Volk in Not;
wenn nötig, stopft ihnen das Maul und lernt,
dass wir nicht wieder kahlgeschoren werden.
Als ich ein Weilchen draußen stand,
da fragte mich (so) einer nach dem Weg – nach Bonn.

De Bröüm:
Wat krëik fön stäödig Wëiw!
Broutschatt stëiw,
Pötkes so glatt,
Aeöwerhaupt so allatt:
Ick wett mëinen Hals,
Bi iähr häw’k Alls.

De Annern:
Wat hett Broutschatt stëiw?
He hänk iähr annen Lëiw.
De Pötkes, de prallen,
Hät wahn scharpe Krallen.
Aeine von de Sihgen,
Weck grast an alle Hihgen.

De Brout:
Wu scheun is doch mëin Franz!
Biätter äs Jans,
Stärker äs Fritz,
Dat har’k wanners spitz:
Barbarsk is sëine Kraft,
Wat he söüht,
Is faots schafft.

De Annern:
Struwälsk, fräch, foul,
Schuften deut he —
Bloss mettet Moul.

Nutzanwännung
Verlaiwte këikt sick anners an,
Äs Du un ick se säihen kann.
De Krankheitstëid is outtoriäken:
Kuräihert sind se in twiälw Wiäken.

Der Bräutigam:
Was bekomme ich für eine stattliche Frau!
Die Aussteuer steif,
die Händchen so glatt,
überhaupt alles passend.
ich wette meinen Hals,
mit ihr habe ich alles.

Die anderen:
Was heißt steife Aussteuer?
Die hängt ihr am Leib.
Die Pfötchen, die prallen,
haben sehr scharfe Krallen.
Eine von den Ziegen,
die an den Hecken grasen.

Die Braut:
Wie schön ist doch mein Franz,
besser als Hans,
stärker als Fritz,
das hatte ich schnell raus,
barbarisch ist seine Kraft,
was er sieht,
ist sofort geschafft.

Die anderen:
Unordentlich, frech und faul,
schuften tut er –
mit dem Mund.

Nutzanwendung:
Verliebte schaue sich anders an,
als du und ich es sehen können.
Die Krankenzeit ist auszurechnen:
Kuriert sind sie in zwölf Wochen.

Nich alls wattem föllt,
is dat, wattem mennt,
segg de Schulte, dao draimer he von sëine Frau.
He was aowwer uppen
Miegampel-Haupen inschlaopen.

Nicht alles, was man fühlt,
ist das, was man meint,
sagte der Schulte, da träumte er von seiner Frau.
Er war aber auf dem
Ameisenhaufen eingeschlafen.

To Waohssel wast bi Söbken,
Dao frigger se nao Jöbken.
Dao was se gar nich trourig
Un häi was auk nich lourig;
Se saoh auk nich mähr wittkaist out,
Se was jä nou ne junge Brout.
To Waohssel nao dat Rëiderfest,
Dao rihden se in’t wahme Nest.
Dat Friggen fonk bi Söbken an,
De Hochteid was bi Köppelmann.
Se köffen sick en Kinnerwagen,
Nou häwt s' all' lang dat Hous vull Blagen.

Zu Wadersloh war’s, bei Söbken
da freite sie um Josef,
da war sie gar nicht traurig,
und er war auch nicht zögerlich.
Sie sah auch nicht mehr käseweiß aus,
sie war ja nun eine junge Braut.
Zu Wadersloh nach dem Reiterfest,
da ritten sie ins warme Nest.
Das Freien fing bei Söbken an,
die Hochzeit war bei Köppelmann.
Sie kauften sich ’nen Kinderwagen,
nun haben sie schon lange das Haus voll Blagen.

– Strombiäg –

Wat blaihet scheun de Niägelkes
So violett, so witt,
Dao stait auk nao de aolle Bank
Wo ick so gähn drup sitt.
De Bank wëit viel von Laiwe,
De Bank haor viel von Tröü
Un de sick dat dao schwuon
Sind lang ahl aolle Löü.
Nou sitt’t de Kinneskinner
Wull up de söwt’ge Bank,
Se köühert von Laiw un Tröühe,
Se treckt an den söwtigen Strank.
Wenn düsse Bank dao bliww,
Gait dat alltëid so widder,
Solang et Mensken giww.

– Stromberg –

Wie blüht der Flieder schön,
so violett und weiß,
da steht auch noch die alte Bank,
worauf ich so gern sitze.
Die Bank weiß viel über Liebe,
die Bank hörte viel von Treue
und die sich die dort schworen,
sind lang schon alte Leute.
Nun sitzen die Kindeskinder
wohl auf derselben Bank,
sie sprechen von Liebe und Treue,
sie ziehen am selben Strang.
Wenn diese Bank da bleibt,
geht das immer so weiter,
solang es Menschen gibt.

De Knäppen liegt bi Uele
Nich wëit von Kraomers Mühle,
Dao häw ick manks ’ne halwe Nacht
Alläine met mëin Hiät verbracht.
Män ämmaol gihgen Muon,
Dao har’k mëin Hiät verluon.
Ick sogg et lange Stunnen
Ick häw’t nich wëiher funnen.
Gaoh auk äs henn, män söüke nich,
Wo dao son klainet Hiätken ligg,
Nou will’t sick ressen drüwen.

Die Knäppen liegen bei Oelde
nicht weit von Kramers Mühle,
da habe ich manchmal ’ne halbe Nacht
allein mit meinem Herz verbracht.
Doch einmal gegen Morgen,
da hatte ich mein Herz verloren.
Ich suchte es lange Stunden,
ich hab’s nicht wiedergefunden.
Geh auch mal hin, doch suche nicht,
wo da so ein kleines Herzchen liegt,
nun will es sich ausruhen dürfen.

– Bi Laisbern –

Bi Laisbern an de Lippe
Dao satt äin blonnet Wicht,
Et spaigel sick in’t Water
Sein wunnerscheun Gesicht.
Ick stonn an’t annere Öüwer
Un käik iähr gähne taou,
Alltëid sao’k Löütens laiwer
Äs ’ne aolle, güste Kaou.
Ick schwamm nao iähr düör’t Water,
Dat was jä wahne keul,
Män de verlaiwte Kater
Hät daofö kinn Gefeul.
Ick stäig an’t rächte Öüwer,
Bloss Schoum saoh’k nao tolest.
Et dähr mi lëid; gans si

– bei Liesborn –

Bei Liesborn an der Lippe,
da saß ein blondes Mädchen,
es spiegelte sich im Wasser
sein wunderschönes Gesicht.
Ich stand am anderen Ufer
und sah ihm gerne zu,
immer sah ich Mädchen lieber
als eine alte, unfruchtbare Kuh.
Ich schwamm zu ihr durchs Wasser,
das war sehr kalt,
doch der verliebte Kater
hat dafür kein Gefühl.
Ich stieg ans rechte Ufer,
nur Schaum sah ich zuletzt.
Das tat mir leid, ganz sicher
ist das eine Nixe gewesen.

To Iängerlauh dao ligg de Döüwel upt Strauh.
Dat Strauh fonk an to brennen
Un de Döüwel an to rennen.
He rann nao Ossenfelle,
Dao wöhrn se ämm to helle.
De Gihgend bi Lurum ) lait he links liggen,
Dao wohr ämm bi Naut, wat moss he dao spiggen:
„To Hölpe, Mester Lucifär,
Ick sëih kinne Hand vö Augen mähr,
Wenn dat män kinn Lurumsken Anschlag där.
De makt out Stäine Staoff un Gold,
Veräöst us Kämpe, Hous un Holt
Un sind up dat Bespühtern stolt!“
Faots flaug he nou nao Aohlen,
Dao därn se ämm wat maolen.
He schottsker nao Wesskiäken,
Dao föngen de Wëiwer an to schniäken.
Fraulöü sind laiger äs saon Föiier,
De Wëiwer willt allteid an’t Stöüer.
He laip drüm bous nao Uele
Un bläiw inne unnerste Mühle.
De Möller har saon vossig Wicht
Mit saon raut Pläcksken in’t Gesicht:
Dat was ne rächte Häxe,
Se slaip bin Döüwel, sägg’se;
Un Jaohr fö Jaohr tor ruggen Nacht
Wätt iähr de Bässem öüwerbracht:
Daorup fleigt se nao Bailen,
Dao draff kinnäin nich failen,
Wëil datt de büöwste Döüwel dann
Sick’t Hexenregiment kick an.
* Ligg uppen Maon, äs mien Frönd Augustin Wibbelt mi faken schreiwen un seggen där. Bi us giww’t jä auk so wat nich un de Döüwel lügg – mehrstëid, Augustin Wibbelt aowwer nich.

Zu Ennigerloh, da liegt der Teufel auf dem Stroh.
Das Stroh fing an zu brennen
und der Teufel an zu rennen.
Er rannte nach Ostenfelde,
da waren sie ihm zu klug.
Die Gegend bei Lurum* ließ er links liegen,
da wurde ihm schlecht,
wie musste er dort speien.
„Zur Hilfe, Meister Luzifer,
ich seh’ die Hand vor Augen nicht mehr,
wenn das mal kein Lurumer Anschlag tat.
Die machen aus Steinen Staub und Gold,
verdrecken uns Kämpe, Haus und Holz
und sind auf das Bespucken stolz!“
Sofort flog er nun nach Ahlen,
da taten sie ihm was malen,
er schlurfte nach Westkirchen,
da begannen die Weiber sich herauszuputzen.
Frauen sind schlimmer als so ein Feuer,
die Weiber wollen immer ans Steuer.
Darum lief er nach Oelde
und blieb in der untersten Mühle.
Der Müller hatte so eine rothaarige Tochter
mit einem roten kleinen Fleck im Gesicht:
das war eine rechte Hexe,
sie wolle mit dem Teufel schlafen, sagte sie.
Und Jahr für Jahr zur rauen Nacht
wird ihr der Besen überbracht.
Darauf fliegt sie nach Belen,
da darf keine fehlen,
weil sich dann der oberste Teufel
das Hexenregiment anschaut.

* liegt auf dem Mond, wie mein Freund Augustin Wibbelt oft sagte und schrieb;
Bei uns gibt es sowas ja auch nicht, und der Teufel lügt – meistens, Augustin Wibbelt aber nicht.

Sisska hehr dat Löütken
Met dat Sucker-Schnöütken:
Jederäin, weck Sisska kann,
Holl üm iähre Hand faots an,
Dat mouk blohs dat Schnöütken
Von dat klaine Löütken.

Sisska hehr dat Löütken
Met dat Sucker-Schnöütken:
Sisska kwamm uppen grautet Wiäk,
Ne halwe Stunne vonne Kiäk,
Dat Beste stait to huoppen,
Se hätt et wahn gutt druoppen,
Dat mouk blohs dat Schnöütken
Von dat klaine Löütken.

Sisska hehr dat Löütken
Met dat Sucker-Schnöütken:
Nou is all de Naotucht dao,
Äs ick de düsse Dage saoh,
Hähren se ahl äin Schnöütken
Seut ässen Kiärmiss-Töütken.
Dat mouk alls dat Schnöütken
Von use klaine Löütken.

Sisska hieß das Mädchen
mit dem Zuckerschnäuzchen:
Jeder, der Sisska kannte
hielt um ihre Hand an.
Das lag nur am Schneuzchen
von dem kleinen Mädchen

Sisska hieß das Mädchen
mit dem Zuckerschnäuzchen
Sisska kam auf einen großen Hof,
eine halbe Stunde von der Kirche entfernt,
das Beste steht zu hoffen,
sie hat es sehr gut getroffen,
das lag nur an dem Schnütchen
von dem kleinen Mädchen.

Sisska hieß das Mädchen
mit dem Zuckerschnäuzchen:
Nun ist schon der Nachwuchs da,
als ich den neulich sah
hatten sie alle ein Schnütchen
süß wie ein Kirmes-Tütchen
das lag nur an dem Schnütchen
von dem kleinen Mädchen.

(Vita somnium breve)

Äs Junge satt’k vull Laighait,
Wat sinn ick Undühcht west!
Am laiwsten lagg’k äin Windai
All Dag' in’t frümde Nest.
De Nester daoto finnen
Dat foll gar nich schwaor
Mäist sitt’se jä nich hauge
De Vügel sind manks daor.
Dann kwamm dat hatte Liäwen
Schmäit mi dat Strick ümmen Hals
Doch lait ick mi nich hangen
Ick laot mi auk nich fangen
Ick wiär mi jedenfalls.
Gihgen’n Daut kanns Di nich wiärn
Wätt witt de Kopp un Baot
Un lössen Di auk schiärn
Baol fallt vonnen Baum de Biärn,
Haoll Di män sachte praot.
Kuhmt nou de scharpen Winne,
Dann krakt un stühnt de Baum,
Dann stüött de stärkste Linne
Un out is auk iähr Draum.

(Das Leben ist ein kurzer Traum)

Als Junge steckte ich voller Böswilligkeit,
was bin ich für ein Nichtsnutz gewesen!
Am liebsten legte ich ein Windei in die Nester.
Die Nester zu finden
war gar nicht schwer,
meist sitzen sie ja nicht hoch,
die Vögel sind manchmal dumm.
Dann kam das harte Leben
warf mir den Strick um den Hals.
Doch ließ ich mich nicht hängen,
ich ließ mich auch nicht fangen,
ich wehrte mich jedenfalls.
Gegen den Tod kannst du dich nicht wehren.
Werden Kopf und Bart weiß,
selbst wenn du ihn abrasieren lässt,
fallen bald die Birnen vom Baum.
Bereite dich mal langsam darauf vor,
kommen jetzt die scharfen Winde,
dann krakt und stöhnt der Baum,
dann stürzt die stärkste Linde
und aus ist auch ihr Traum.

Ick satt an’t Föüher,
In den Baousen stäig de aolle Tëid
Out de verbrannten Bousken.
Wat west was, lagg nich wëit.
Ick haor son äigen Rousken
Un äine Stemme ächter mi,
De sägg:
„Wi willt nick met Jou tousken,
Wat Jou bevüör stait,
Häw wi all lange daohn.
Auk us schäin Sunne,
Stärn' un Maon,
Nou sinn wi use
Aeignen Schatten wohn
Un Aske äs verbrannte Bousken.“

Ich saß am Feuer,
im Rauchfang stieg die alte Zeit auf
aus den verbrannten Ästen.
Was gewesen war, lag nicht weit.
Ich hörte so ein merkwürdiges Rauschen
und eine Stimme hinter mir,
die sagte:
„Wir wollen nicht mit dir tauschen,
was dir bevorsteht
haben wir längst getan,
auch uns schienen Sonne,
Sterne und Mond,
nun sind wir unsere
eigenen Schatten geworden
und Asche wie verbrannte Äste.“

Ick sinn de Fink, ick sing (1966)

Ick sinn de Fink.
Ick flaige up dat Baouch
Un sing
Jüst äs mi dat gefällt.
Un Baum un Nest
Un Strunk un Hucht
Bedütt fö mi de Welt.
Ick sinn de Fink.
Ick sing.

Un hähr dat Hiätt
Mi manks auk blott,
Ick singe,
Wëil ick singen mott.
Ick sinn de Fink.
Ick sing.

Ich bin der Fink.
Ich fliege auf den Busch
und singe
grad wie mir das gefällt.
Und Baum und Nest
und Strunk und Hain
bedeuten für mich die Welt.
Ich bin der Fink.
Ich singe.

Und hätte das Herz
mir auch manchmal geblutet,
ich singe,
weil ich singen muss.
Ich bin der Fink.
Ich singe.

– De Naoahper –

De Gaitlink was verdraitlick
Un met sick söwst verkatt,
He hahr vö louter Üöwerflaut
To nicks mähr Loune hatt:

Dat hätt he us affkihken.

– Der Nachäffer –

Die Amsel war verdrossen
und mit sich selbst im Zwist,
sie hatte vor lauter Überfluss
zu nichts mehr Lust:

Das hat sie uns abgeschaut.

– De Peripatetiker –

De Spraihe wäit, wat sick gehäöt,
Drüm deut se alls met Maot
Un gait bedächtig up un aff
In iähren stëiwen Staot.

– Der Peripatetiker* –

Der Star weiß, was sich gehört,
drum macht er alles in Maßen
und geht bedächtig auf und ab
in seinem steifen Staat.

*Schüler des Aristoteles, benannt nach der Wandelhalle, in der der Unterricht stattfand

Klenner äs de Kraihen,
Un so schwatt äs Kuaolen:
Dat sind Duaolen.
Se liäwt up hauge Täöne,
Wëit flaiget se in’t Land
Un sind bi Junk un Aolt
Fö’t Köühernlähn bekannt.

Jakob

Kleiner als die Krähen
und so schwarz wie Kohlen:
Das sind die Dohlen.

Sie leben auf hohen Türmen,
weit fliegen sie ins Land
und sind bei Jung und Alt
fürs Sprechenlernen bekannt.

Jakob

De mehrsten Löü,
De kennt mi nich
Äs alls,
Wat nich to bouten ligg.

Ick liäw ganz still fö mëi
Un günner dat auk dëi.

Die meisten Leute
kennen mich nicht
wie alles,
was nicht draußen liegt.

Ich lebe ganz still für mich
und gönne das auch dir.

Met mëinen spitzken Schnawel
Fank Pauen ick un Fiske:
An Dëik un Kouhl un Biäken
Sind deckt fö mëi de Diske.

Mit meinem spitzen Schnabel
fange ich Frösche und Fische:
An Teich und Kuhle und Bächen
sind gedeckt für mich die Tische.

Ick sinn de rächte Künink
In Hihgen un von’t Holt
Un auk up mëin Regäihen
Nich äs äin bittken stolt.

Ick schlao mi in de Büske.
Dat Nest, dat is mëin Thraoun,
Sit’t ann’re auk viel höchter,
Dann is mi dat äin daoun.

Ick blëiw so, äs ick was,
Un mak mi söwst den Spass.

Ich bin der rechte König
in Hecken und vom Holz
und auch auf mein Regieren
nicht mal ein bisschen stolz.

Ich schlag’ mich in die Büsche.
Das Nest, das ist mein Thron.
Sitzen andere auch viel höher,
dann ist mir das egal.

Ich bleib so, wie ich war,
und mache mir den Spaß selbst.

– Phönicurus phoenicurus –

An de Kiäl dat schwatte Pläcksken,
Un dat Stiätken raut äs Rost,
Hahr’k de Jungen graut jüst faouhert,
Häww’k all wëiher wäggaohn most.

– Phoenicurus phoenicurus –

An der Kehle das schwarze Fleckchen,
und das Schwänzchen rot wie Rost,
hatte ich die Junge gerade großgefüttert,
hab’ ich schon wieder weggemusst.

Ick häww se gähn
Un mag iähr lëihen,
Se sind alltëid gut trächt,
An’t Kwahtern auk un’t Köühern,
An’t Praohlen un Vertellen,
Se häwt jä nicks to wäihern,
Se sind an’t Schnabbeläihern.

Daoch kümp de Hiäwst
Met vulle Schöühern,
Dann gait’t iähr wanners schlächt.

De Jiäger schütt,
Dat Water flütt,
De Röühe deut iähr hahlen,
Män ämmaol mott jä
Jederäin
Sëin Liäwen
Met den Daut betahlen.

He mott!

Ich hab’ sie gern
und mag sie leiden,
sie sind immer gut zufrieden,
am Quatschen auch und Reden
am Prahlen und Erzählen
sie müssen sich ja nicht wehren
sie sind am Schnabulieren.

Doch kommt der Herbst
mit vollen Scheunen,
dann gehrt es ihnen bald schlecht.

Der Jäger schießt,
das Wasser fließt,
der Hund holt sie,
aber einmal muss ja
Jedermann
sein Leben
mit dem Tod bezahlen.

Er muss!

De Löünink segg:
„Ick sinn män minn
Un stell nicks vüör,
Daoch wäit ick, wat ick sinn,
Ick schlao mi alltëid
Sölwest düör,
Un dat mäck mi tofriär,
Tofriär!“

Der Sperling sagt:
„Ich bin nur klein
und stelle nichts dar,
doch weiß ich, was ich bin,
ich schlage mich immer
selber durch,
und das macht mich zufrieden,
zufrieden!“

Dat Haoun, dat draww bloß
Eier leggen,
Dao is kinn Hahn mähr bëi.
Süss hätt dat Haoun
Nicks mähr to seggen
Un krigg kinn Spëiher Greun,
Dat Ganze is nich scheun.
Drüm segg ick ümmer wëiher:
Du arme, arme Dëiher.

Dieses Huhn, das darf nur
Eier legen,
kein Hahn ist mehr dabei.
Sonst hat das Huhn
nichts mehr zu sagen
und bekommt auch keinen Grashalm,
das Ganze ist nicht schön.
Drum sage ich immer wieder:
Du armes, armes Tier.

Buom sin’k schwatt un unnen witt:
Kihiwitt!
Ick segge Ju dat Freujaohr an
Met Sunne, Greun un Riängen,
Un weck sick ährlick plaogt un kwiählt,
Den deut de Här auk siängen.

Oben bin ich schwarz und unten weiß:
Kihiwitt!
Ich sage euch das Frühjahr an
mit Sonne, Grün und Regen,
und wer sich ehrlich plagt und quält,
den segnet auch der Herr.

Ick plaouster mi
Un schlaoug äin Rad,
Dat mannichäin
Mëin Köppken un dat Kräönken
Out louter Blindhait ratz vergatt
Un saoh bloß meine Fiän.

Ich plusterte mich auf
und schlug ein Rad,
dass mancher
mein Köpfchen und mein Krönchen
aus lauter Blindheit vollkommen vergaß
und sah nur meine Federn.

Vö Mensken
Mak ick mi nich bange,
Wenn se nicks willt von mëi
Un kinne Flinten häwt.

Män kümp de Jäger,
Giww’t mehrstëid läger.
Drüm drück’k mi,
Wo’k’t män kann,
Süss kuhm’k in Pott un Pann,
Un dat stait mi nich an.

Vor Menschen
habe ich keine Angst,
wenn sie nichts von mir wollen
und keine Flinten haben.

Aber kommt der Jäger
gibt’s meistens Ärger.
Drum drück’ ich mich,
wo ich’s nur kann,
sonst komme ich in Topf und Pfanne,
und das steht mir nicht an.

Ick wäit et wull:
Ick säih gutt out,
Daoch mak ick mi nicks drout.

Seit dousend Jaohr un mähr
Liäwt de Familge all
In gude äs in laige Tëiden
An iähre söwtge Stiär
Äs de westfäölsken Bouhern,
Un dat sall wëider douhern.

Ich weiß es wohl:
Ich sehe gut aus,
doch mach’ ich mir nichts draus.

Seit tausend Jahren und mehr
lebt die Familie schon
in guten wie in schlechten Zeiten
an gleicher Stelle,
wie die westfälischen Bauern,
und das soll weiter dauern.

LAUDAT • ALAUDA • DEUM

Up un dahl
Un freuh un Iaht
Sinn’k an’t Trilliläihern
Un an’t Gnöcheln un an’t Singen,
Un mi düch,
Von äin to’n annern
Möss dat hiätlick wëider klingen.

Dann hähr de Mensk apatt
An mëi Plasäiher hatt.

ES LOBET DIE LERCHE GOTT

Auf und nieder
und früh und spät
bin ich am Tirilieren
und am Lächeln und am Singen
und mir scheint,
vom einen zum anderen
muss das herzlich weiter klingen.

Dann hätte der Mensch doch
an mir Freude gehabt.

Ick sinn bloß grëis
Un mak nicks out,
Män’t Faouher kann’k mi schnappen
Un seuk mi auk so aww un taou
Ganz gähn den besten Happen.

Ich bin nur grau
und mache nichts her,
aber das Futter kann ich mir schnappen
und suche mir auch so ab und zu
ganz gern den besten Happen.

Ick sinn ganz schwatt
Un segg bloß „kwahk“,
Un wat ick mak,
Is mëine Sahk.

Ick sinn ick,
Un Daou bliwws Daou,
Drüm laot mi daoch in Raouh.
Kwahk, kwahk, kwahk!

Ich bin ganz schwarz
und sage nur „kwahk“,
und was ich mache,
ist meine Sache.

Ich bin ich,
und du bleibst du,
drum lass mich doch in Ruh.
Kwahk, kwahk, kwahk!

De Schwälwkes häw’k von Hiätten gähn,
Se sind so fleidig un nich schöü,
So höüslick, liännig un krebänstig
Un tröüer nao äs manks de Löü.

De Schwalwen.

Die Schwälbchen hab’ ich von Herzen gern,
sie sind so fleißig und nicht scheu,
so häuslich, munter und geschäftig
und treuer noch als manchmal die Menschen.

Die Schwalben.

– De Egoist –

Ick liäwe flott,
Ick liäwe gutt
Un sinn to kleine Löü
So butt.
Ick driäg sao’n fëinet buntet Kläid,
Män wo ick frümde Nester wäit,
Dao nihm’ ick se faots out.

– Der Egoist –

Ich lebe flott,
ich lebe gut
und bin zu kleinen Leuten
so grob.
Ich trage so ein feines buntes Kleid,
aber wo ich fremde Nester weiß,
da nehme ich sie sofort aus.

He is propper un so flëidig,
So äinfach
Still un fëin,
Drüm könn he auk wull
Fö us ahl
Dat rächte Vüörbeld sëin.

Er ist so adrett und so fleißig,
so einfach
still und fein,
drum könnte er auch wohl
für uns alle
das rechte Vorbild sein.

Wenn de Kraonken
Äs ne Äin
Flaiget wäg von hëiher,
Kuhmpt de Nihwel,
Ëis un Schnai
Wanners nao us wëiher.

Wenn die Kraniche
wie eine Eins
von hier fortfliegen,
kommen Nebel,
Eis und Schnee
wieder bald zu uns.

Solank äs’k liäwe,
Legge ick
In frümde Nester
Mëine Eier –
Un dat is alls.
Ick suog auk nich
Fö mëine Blagen.
Ick draff dat daouhn,
Du aowwer nich –
Un dährs du’t daoch,
Dann gönk et di
All wanners an den Kragen.
Kuckuck!

Solang ich lebe
lege ich in fremde Nester
meine Eier –
und das ist alles.
Ich sorge auch nicht
für meine Kinder.
Ich darf das tun,
du aber nicht –
und tätest du es doch
dann ginge es dir
schon bald an den Kragen.
Kuckuck!

Vö mëin Fenster stait de Baum,
Dao sit’t de Douwen in.
Kruhk, kruck, kruck, kruhk.

Un häör ick iähr, dann frai ick mi,
Dat ick iähr Naohber sinn.
Kruhk, kruck, kruck, kruhk.

Vor meinem Fenster steht der Baum,
darin sitzen die Tauben.
Kruhk, kruck, kruck, kruhk.

Und hör’ ich sie, dann freu’ ich mich,
dass ich ihr Nachbar bin.
Kruhk, kruck, kruck, kruhk.

Dat Waterheunken,
Dat hahr brott,
Weil dat dat wull so sëien mott,
Un iähre diättain Jungen
Sind faots in’t Water sprungen.

Se schwömmen
Unnern Wëihenstrouk,
De Aollske käik iähr taou,
Un dat se ahl so ahdig wöhn,
Dat maouk de Maouder fraouh.

Das Wasserhühnchen,
das hatte gebrütet,
weil das ja wohl so sein muss,
und ihre dreizehn Jungen
sind sofort ins Wasser gesprungen.

Sie schwammen
unter den Weidenstrauch,
die Alte schaute ihnen zu
und dass sie alle so artig waren,
das machte die Mutter froh.

He schläött de Douwen un Kanëinkes,
De Haouner un de Hasen
Un flügg up Jagd.

He hätt so klaore Augen
Un auk so scharpe Krallen,
Un wat he päck, mott fallen
Un wätt faots von ämm kröppt.

Er schlägt die Tauben und Kaninchen,
die Hühner und die Hasen
und fliegt auf Jagd.

Er hat so klare Augen
und auch so scharfe Krallen,
und was er packt, muss fallen
und wird sofort von ihm gekröpft.

Ick glaiwe, dat ick fröndlick sinn,
tofriär un flott un flëidig,
Un wenn’k mi’t lätten seuken mott,
Dann häww’k’t auk manks wull ëilig:
Ick sinn de kleine Meise,
Kinnäin is met mi baise.

Ich glaube, dass ich freundlich bin,
zufrieden und flott und fleißig.
Und wenn ich mir das Essen suchen muss,
dann hab’ ich’s auch manchmal wohl eilig:
Ich bin die kleine Meise,
keiner ist mir böse.

Ick sinn an’t Schäddern
Alle Tëid
Un bau de besten Nester.

Bi’t Finnen un in’t Stiälen,
Dao sinn ick Här un Mester.

Ich bin am Schimpfen
immerzu
und bau’ die besten Nester.

Beim Finden und beim Stehlen,
da bin ich Herr und Meister.

Wenn ick ämm saoh
Un was verdraihtlich,
Dann flougen faots de Flousen wäg,
Weck manks de Mensk,
Wo’t gar nich naidig
Un dummerwiese,
Met sick drägg.

Wenn ich sie sah
und unleidlich war,
dann flogen sofort die Flausen weg,
die manchmal der Mensch,
wo es gar nicht nötig (ist)
und dummerweise
mit sich trägt.

Nachts sinn ick wach
Un schlaop bi Dag.
Dat daouhet ahl de Oulen
Un fankt sick Möüse uppen Haoff
Un Pauen bi de Kouhlen.

Män wätt et lecht,
Schläött iähr de Klock,
Un trügg möht säi
Düör’t Oulenlaock.

Nachts bin ich wach
und schlafe bei Tag.
Das tun all die Eulen
und fangen sich Mäuse auf dem Hof
und Frösche bei den Kuhlen.

Aber wird es hell,
schlägt ihnen die Glocke,
und zurück müssen sie
durchs Eulenloch.

Ick gell
Äs guden Möüsefänger
Un hahl nao annret Untöüch wäg,
Män wätt et kaolt,
De Nacht nao länger,
Kümp mi de Magen ratz to kuott:
Dann mott auk, wat sick krëigen läött,
Aohn Ünnerscheid
Düör meine Struott.

Ich gelte
als guter Mausefänger
und hole noch anderes Ungeziefer weg,
aber wird es kalt,
die Nacht noch länger,
kommt mir der Magen ganz zu kurz:
Dann muss auch, was sich kriegen lässt,
ohne Unterschied
durch meine Kehle.

– Phoenicurus ochruros –

Ick säih de Aigskes
Un dat raute Stiätken
Bi Winterdag auk, wenn et früss.
Un düt Plasäiher
Mäck us Mensken
Dat kleine Dëiher ganz ümsüss.

– Hausrotschwanz –

ich sehe die Augen
und das rote Schwänzchen
wintertags auch, wenn es friert.
Und diese Freude
macht uns Menschen
das kleine Tier ganz umsonst.

Ick sinn de rächte Timmermann,
Weck söwst sëin Wiäks wull richten kann,
Un sinn alltëid an’t Kloppen,
Ick bau mi Hous un Schoppen
Un sinn alltëid an’t Kloppen.

Ich bin der rechte Zimmermann,
der selbst sein Werk wohl richten kann,
und bin immerzu am Klopfen,
ich bau mir Haus und Schuppen
und bin immerzu am Klopfen.

Bi Summerdag,
Wenn’t döüster is,
Haor ick an stille Stiän
Von wëiten all
De Nachtigall
Ganz schmeu un sacht.

Dao gonk ick henn
Un bläiw dao staohn
De halwe Nacht.

Män wat ick foll un haor un dach,
Dat kann ick Di nich seggen,
Daoch düch mi,
Dat de laiwe Här
Gaww us sao’n bittken aww von buom
Von sëinen äignen Däil.

Sommertags,
wenn’s dunkel ist,
hörte ich an stillen Stellen
von weitem schon
die Nachtigall
ganz sanft und sacht.

Da ging ich hin
und blieb da stehen
die halbe Nacht.

Doch was ich fühlte und hörte und dachte,
das kann ich dir nicht sagen,
aber mir scheint,
der liebe Herr
gab uns ein wenig ab von oben,
von seinem eigenen Teil.

Hakäsen (1967)

De Rause
Rück un stäck,
Un weck Speränzkes mäck,
De sallt wull wanners miäken:
Dat Stiäken.

Män weck iähr rouken draff
Un bräck iähr nich äs aff,
De fraiet sick an’t Scheune
Von lässe, Spraok
Un’t Greune,
Dat allerwiägen wäss
Un wo du Spass an häss,
Löss du’t von söwst män wassen.

Die Rose
duftet und sticht,
und wer Sperenzchen macht,
der soll es wohl bald merken:
das Stechen.

Aber wer sie riechen darf
und bricht sie nicht einmal ab,
der freut sich an der Schönheit
von Art und Sprache
und dem Grünen,
das überall wächst,
und was dir Freude macht
lässt du (einfach) selbst wachsen.

Makt Ju daoch nich lächerlick
Met de Aperëi!
Köühert Jouhe Maouderspraok,
Wo’t auk alltëid sëi.
Äs de Schnawel wassen is,
Mott dat Woht auk klingen,
Wat de Spraihe flaiten deut,
Kann kinn Gaitlink singen.
Spraok un lässe
De haolt fast,
Blëiwt Ju sölwest tröü!
Plantet Aeiken, weck nao wasst
Äs de echten Löü:
Stämmig, stäödig, stark un stouher
Wahrt dat läwe up de Douher!

Macht euch doch nicht lächerlich
mit diesem Blödsinn!
Sprecht eure Muttersprache,
wo es auch immer sei,
wie der Schnabel gewachsen ist,
muss auch das Wort klingen.
Was der Star flötet
kann keine Amsel singen.
Haltet an Art und Sprache fest,
bleibt euch selber treu,
pflanzt Eichen, die noch wachsen
wie die echten Menschen,
stämmig, robust, stark und stur
bewahrt das Erbe dauerhaft.

De Koppruon
De stonn ganz fö sick.
Wat will
De Aolle äigentlick?
Hätt he us wat to seggen.

He söüt de Saot
Un’t rëipe Kaon,
De Saisse aouk
Un Sunn un Maon,
De Tëid
Un use Liäwen
Un rëigaswäg dat Stiäwen.

Et giff mähr Kaff
Äs Giäst un Wait.
He miäkt,
Dat alIs bloss kümp un gait Un wohr gewahr,
Dat nicks bestait,
Wat us bedrügg
Un lügg
Un sick so wichtig düch.

De Koppruon schwigg.
He köühert nich.
He stait bi Wind un Wiär
Fast an de söwtge Stiär.

Die Kopfweide,
die stand ganz für sich,
was will
die Alte eigentlich?
Hat sie uns was zu sagen?

Sie sieht die Saat
und das reife Korn,
die Sense auch
und Sonne und Mond,
die Zeit
und unser Leben
und der Reihe nach das Sterben.

Es gibt mehr Spreu
als Gerste und Weizen.
Sie merkt,
dass alles nur kommt und geht
und stellte fest
dass nichts besteht
was uns betrügt
und lügt
und sich so wichtig nimmt.

Die Kopfweide schweigt.
Sie redet nicht,
sie steht bei Wind und Wetter
fest an derselben Stelle.

Wo Vader alltëid gaohen is,
Kann’k mëine Feute nich mähr setten,
Dähr auk dat Hiät mi in de Buost
So gähn nao Hous henn wëiher letten.

Dat stait nich mähr,
Un alIs is weust,
Un mëi häört nicks mähr taou.

Ick was alläin
Un dach an ahl,
Weck’t jüsso gait äs mëi.
Ick satt mi dahl
Up frümde Är
Äs mannichäin
Un – gräin.

Wo Vater immer gegangen ist,
kann ich meine Füße nicht mehr setzen,
so gern das Herz mir in der Brust
mich auch nach Hause führte.

Das steht nicht mehr,
und alles ist verwüstet,
und mir gehört nichts mehr.

Ich war allein
und dachte an alle,
denen es grad so geht wie mir.
Ich setzte mich nieder
auf fremder Erde
wie so mancher
und – weinte.

Ick häww so gähne bi di sätten,
Wenn’t stille wohr in Busk un Kamp,
Un summerdags nao’t Aobendiätten
Wohr us de Teid nich ämmaol lank,
Wenn smeu un seut de Gaitlink sank
Fö use jungen Hiätten.

Dat is vöbëi un lang all henn,
Un ick trock sinnig an de Pëipe,
Män de was kaolt,
Et kwamm kinn Damp,
Ick satt alläine up de Bank
Un dach met Gnöcheln un met Dank
An Löüt un Gaitlink trügge.

Ich habe so gern bei dir gesessen,
wenn es still wurde in Busch und Wald.
Und sommertags nach dem Abendessen
wurde uns die Zeit nie lang.
Wenn sanft und süß die Amsel sang
für unsere jungen Herzen.

Das ist vorbei und lang schon her
und ich zog ruhig an der Pfeife.
Aber die war kalt,
es kam kein Dampf
ich saß alleine auf der Bank
und dachte lächelnd und mit Dank
an Braut und Amsel zurück.

Ick haoll mi fast
An Maouders Schüött,
Bis dat ick laupen konn
Un sihker wuss, datt ick nich stüött.
Män nou
Nao sässtig Jaohr
Äs aollen Kärl
Met kahlen Kopp
Un witte Haor
Denk ick an iähre Schüött
Un haoll mi fast,
Dat ick nich stüött.

Ich hielt mich fest
an Mutters Schürze,
bis ich laufen konnte
und sicher wusste, dass ich nicht stürzte.
Aber nun
nach sechzig Jahren
als alter Mann
mit kahlem Kopf
und weißem Haar
denk ich an ihre Schürze
und halte mich fest,
dass ich nicht stürze.

Mëin Hiät, dat deut mi alltëid wäih,
Wenn ick dat Laige kuhmen säih
Un kann kinn bittken helpen.

Ick wäit genau, wo’t naichstens brennt
Un wo de Braouher Daut henn rennt
Un schnappt den ersten besten.

Ick feul de Mensken iähre Naut:
Wi häwt vö Üöwerflaut kinn Braut
Fö Löü, weck baol verschmachtet.

De laiwe Här hätt viel Geduld,
Män kennt wi söwst de äigne Schuld?
Un denkt wi an’t Betahlen?

Mëin Hiät, dat deut mi alltëid wäih,
Wenn ick dat Laige kuhmen säih
Un kann kinn bittken helpen.

De Föüste sind mi bunnen,
Dat Moul, dat is verstoppt,
Män in de stillsten Stunnen
Hätt mi de Uoder roppt,
In dat, wat kümp, to këiken.

Wu’t taougait,
Waohr ick nich gewahr,
Un wüss ick’t auk,
Möss ick’t fö mëi behaollen
Un schwäig.

Ick knaier dahl
Un dähr de Hänne faollen
Un baiger mëinen aollen Kopp
Un meuk de Augen taou
Un schwäig.

Mein Herz, das tut mir immer weh,
wenn ich das Schlimme kommen seh
und kann kein bisschen helfen.

Ich weiß genau, wo’s demnächst brennt
und wo der Bruder Tod hinrennt
und schnappt den ersten besten.

Ich fühle der Menschen Not:
Wir haben vor Überfluss kein Brot
für Menschen, die bald verhungern.

Der liebe Herr hat viel Geduld
doch kennen wir selbst die eigene Schuld?
Und denken wir ans Bezahlen?

Mein Herz, das tut mir immer weh,
wenn ich das Schlimme kommen seh
und kann kein bisschen helfen.

Die Fäuste sind mir gebunden,
das Maul (der Mund) ist verstopft,
aber in den stillen Stunden
hat mich der Befehl gerufen,
in das, was kommt, zu schauen.

Wie’s abläuft
wurde ich nicht gewahr,
und wüste ich es auch,
müsst’ ich’s für mich behalten
und schwiege.

Ich würde niederknien,
die Hände falten
und meinen alten Kopf senken
und die Augen schließen
und schweigen.

Wi laot us nich betündeln
Von alIs, wat kümp un gait
Un wat up sëinen Standpunkt
Nich fast äs Mönster staiht.

Wi glaiwt an usen Härgott
Un usen laiwen Hän,
Un staot to use lässe,
Äs’t use Ellern dähn.

Wi laot us nich flattäihen,
Wi blëiwt gähn, äs wi sind,
Un mühgt am laiwsten lëihen,
Wat mähr is, äs et schinnt.

Wir lassen uns nicht betören
von allem, was kommt und geht
und was auf seinem Standpunkt
nicht so fest wie Münster steht.

Wir glauben an unseren Herrgott
und unseren lieben Herrn
und stehen zu unserer Art,
wie es unsere Eltern taten.

Wir lassen uns nicht flattieren (schmeicheln),
wir bleiben gern, wie wir sind
und mögen am meisten,
wenn etwas mehr ist als es scheint.

De Pättkes wäht viel wenniger,
De Autos feuhet hänniger,
De Mensk fölIt sick elenniger.

De Büske so kahl,
De Ahntwai so schmahl
De Hihgen so dünn:
Dat brenkt kinn Gewinn.

Alls gait nao’n Böül,
Nao Schema Aeff
Äs wenn’t nicks
Höchteret mähr gäff.

Ick gonk bi Sëit.
Ick socht Gemeut,
Et kwamm mi nich entihgen.

Die kleinen Wege (Pfade) werden weniger,
die Autos fahren schneller,
der Mensch fühlt sich elender.

Die Büsche so kahl,
die Entenwiese so schmal,
die Hecken so dünn:
das bringt keinen Gewinn.

Alles dreht sich um den Geldbeutel
nach Schema F,
als gäbe es nichts
Höheres mehr.

Ich ging zur Seite.
Ich suchte das Gemüt (das Empfinden).
Es ist mir nicht begegnet.

De Wuoddel sitt daip,
De Kraoune so haug
Un tüsken bai de Stamm,
De rugge Bast, dat hatte Holt
Un alls tohaup stait fast.

Män aohne Wuoddeln
Wäss nicks mähr.
Wat muok un saor is
Frättde Wuom,
Auk wenn de Kraoune nao so stolt
Un hauge sätt dao buom.

Die Wurzel sitzt tief,
die Krone so hoch
und zwischen beiden der Stamm,
die raue Rinde, das harte Holz
und alles zusammen
steht fest.

Aber ohne Wurzeln
wächst nichts mehr,
was mürbe und vertrocknet ist,
frisst der Wurm,
auch wenn die Krone noch so stolz
und hoch da oben säße.

Reklame deut bi us to Lann
Nich in de Gihgend passen.
Wo use aolle läss nao sitt,
Läött se met sick nich spassen:
Wi willt nich hassebassen.

Wu propper ligg so mannich Duop
In’t greune Mönsterland,
Un jederäin gaiht gähn daohenn,
Un alls is dao kuntant *).

Män weck üm Geld un Judaslaoun
Sick söwst will ratz kasträihen,
De set’t sick äinen Putk int Aohr
Un kann sick bloß blamäihen,
Un dat dähr us schenäihen.

*) kuntant hett tofriär un kümp out franzeuske (content).

Reklame passt hierzulande
nicht in unsere Gegend.
Wo es noch unsere alte Art gibt,
lässt sie nicht mit sich spaßen.

Wie adrett liegt so manches Dorf
im grünen Münsterland
und jeder geht dort gerne hin
und alles ist dort zur Zufriedenheit.

Aber wer um Geld und Judaslohn
sich selbst gänzlich kastrieren will,
der setzt sich einen Floh ins Ohr
und kann sich nur blamieren
und das tät uns genieren.
(das wäre uns peinlich)

Nao Üöwerflaut
failt faken Braut.
Dat sind de laigen Tëiden.
Un wat vandag
sick düch so graut,
Hätt muon manks
nicks to bëiten.

Drüm wahr di sölwest,
Wahr dëin Wiäk
Vö’t all to harre Wassen,
Wëil, wat to hännig hauge schütt,
Sitt baol vö lihge Kassen,
Un dat dähr us nich passen.

Nach Überfluss
fehlt oft Brot.
Das sind die schlechten Zeiten.
Und was sich heut
so groß vorkommt,
hat morgen manchmal
nichts zu beißen.

Drum schütze dich selbst,
bewahre dein Werk
vorm all zu schnellen Wachsen,
weil, was zu flott aufschießt,
sitzt bald vor leeren Kassen,
und das würde uns nicht passen.

To Enne gonk de weuste Strëit.
De Himmel was blao,
Un nao Hous was’t so wëit,
De Kost was so schrao,
Un alls lagg in Drëit.
Un alls satt in Naut,
Wat duch sick so graut,
Un alls lagg so flaut,
Un jeder lagg blaut,
Un mannichäin
Biättler vö Hunger nao Braut.

Häwt wi vergiätten
All Bomben un Daut?
Häwt wi vergiätten,
Dat Blout flütt so raut?
Häwt wi vergiätten,
Dat Biätterunk kwamm,
Äs us de Härgott
De Stricke awwnamm?
Häss Du’t vergiätten,
Un glöwws Du tolest,
Dat jeder von us
Wöhr unschüllig west?

Düch us de Tëid
Nou all so wëit,
Dat wi de wäihen Hiätten
Un bi dat gude lätten
Häwt Läid un Pëin vergiätten,
Weck lang häwt bi us siätten?

Zu Ende ging der wüste Streit.
Der Himmel war blau,
und nach Hause war es so weit,
das Essen so dürftig
und alles lag im Dreck.
Und alle litten Not,
die sich so groß geglaubt hatten
und alles lag flach
und jeder lag bloß
und manch einer bettelte
vor Hunger um Brot.

Haben wir vergessen
alle Bomben und Tod?
Haben wir vergessen,
dass Blut fließt so rot?
Haben wir vergessen
dass Besserung kam,
als uns der Herrgott
die Stricke abnahm?
Hast du es vergessen,
und glaubst du am Ende,
dass jeder von uns
unschuldig war?

Erscheint uns die Zeit
nun schon so weit,
dass wir die wunden Herzen
und beim guten Essen
Leid und Schmerz vergessen haben,
die lange unter uns weilten?

Spielt mi kinn Theater!
Makt nich soviel Wind,
Jeder wäit all lange,
Wat Ji wühglick sind.

Nihmt Ju nich so wichtig!
Wäht nich faots verkatt,
Dann häwt Ji von’t Liäwen
Un Ju söwst wat hat.

Dä!

Spielt mir kein Theater!
Macht nicht soviel Wind,
jeder weiß schon lange,
was ihr wirklich seid.

Nehmt euch nicht so wichtig,
werdet nicht sofort falsch,
dann habt ihr vom Leben
und von euch selbst etwas gehabt.

So!

Flütt so klaor.
Wi meuken’t äösig:
Nou is’t raor.

Gesundes Wasser
fließt so klar.
Wir haben’s verdreckt:
Nun ist es rar.

In mannich Kiäspel ligg mähr Staoff,
Äs’t met Verlaif dao gihwen droff.
Wo’t greun was,
Säih ick grëis,
Ick mak Ju nicks vöwëis:
Wi schlouket Qualm un Rauk
Un Gift un Gase auk.

Wat sinn wi Mensken daor!
Kinn Biäcksken flütt mähr klaor,
Kinn Fisk kann dao in liäwen,
Un Krihft un Hecht möht stiäwen
Un Mensken auk.
Wi häwt jä alls veräöst
Düör use äigne Drëite
Un regelrächte Sch …

Dat kann nich gutt gaohn
Up de Douher,
Dao ligg de Döüwel
Up de Louher:
He mäck out Schwatt gähn Witt,
Wenn he män söwst int Drüöge sitt
Up sëinen grauten Sack vull Geld,
De aolle Satan
Mammon.

In manchen Gegenden (Kirchspielen) liegt mehr Staub,
als es mit Verlaub da geben dürfte.
Wo es grün war,
sehe ich grau,
ich täusche euch nicht:
Wir schlucken Qualm und Rauch
und Gift und Gase auch.

Wie sind wir Menschen dumm!
Kein Bächlein fließt mehr klar,
kein Fisch kann darin leben
und Krebs und Hecht müssen sterben,
und Menschen auch.
Wir haben ja alles verschmutzt
durch unseren eigenen Dreck
und regelrechte Sch …

Das kann nicht gutgehen
auf die Dauer,
da liegt der Teufel auf der Lauer:
Er macht aus Schwarz gern Weiß
wenn er nur selbst im Trockenen sitzt
auf seinem großen Sack voll Geld,
der alte Satan
Mammon.

Dat Gude
Sass du stilIkes daoun,
Wenn dat kinnäin nich söüt
Un ahl de annern schlaopet
Äs in de Naoun bi Summerdag.
Süss
Kann’t de laiwe Här nich finnen,
Dährs du’t de Mensken auk so gähn
Un harre up de Niäsen binnen.

Das Gute
sollst du im Stillen tun,
wenn es keiner sieht
und alle anderen schlafen,
wie sommertags in der Mittagspause.
Sonst
kann’s der liebe Herr nicht finden,
auch wenn du es den Menschen so gern
und kräftig auf die Nasen binden würdest.

Weck üöwer sëine
Äigne Dummheit
So rächt von Hiätten
Lachen kann,
Fänk baol auk met de Biätterunk
Ganz sihker
Bi sick söwst erst an.

Män weck
Bloss frümde Splitter söüht
Un nich den äignen Balken,
De Kiärl kick schiäll
Un is gewiss
Ganz laige an’t –
Verkalken.

Wer über seine
eigene Dummheit
so recht von Herzen
lachen kann,
fängt bald auch mit der Besserung
ganz sicher
zuerst bei sich selber an.

Aber wer
nur fremde Splitter sieht
und nicht den eigenen Balken,
der Kerl schaut scheel
und ist gewiss
ganz schlimm am –
Verkalken

* aus dem Mittelniederdeutschen, eigentlich „schiefäugig“, auch „missgünstig“

De Mensken hisst se anäinanner,
Se stichelt gähn
Un stühkt us up
Un mäck out Laighait auk all wanner
In Strick un Räip
Den dicksten Knupp,
Dat jau sick alls verheddert.

Se gnäist,
Wenn sick de Löü manks kabbelt
Un sick de Naohbers nich verdriägt,
Se tänkstert, ränkstert,
Spigget, sabbelt,
Dat jau de äin den annern iägt
Un äs ne läkster schäddert.

Wi kennt wull use Pappenheimer,
Weck int Gesicht so fröndlich sind,
Män ächterhiär
Met Gift un Galle
An alls wat outtosetten finnt,
Dat sick de Döüwel fraiet,
Dat sein Geschäft so blaihet.

De Nutzanwännung :

Us düch,
Schlaoht därwe trügg
Up alls, wat lügg
Un us bedrügg
Aes laige Intriganten,
Auk wenn se sick so mousig makt
Äs aolle Kaffeetanten,
Weck söwst nicks doht
Un bloss an’t Kwahtern sind.

Die Menschen hetzt sie aufeinander
sie stichelt gern
und bringt uns auf
und macht aus Bosheit auch schon bald
in Strick und Seil
den dicksten Knoten
damit sich nur alles verheddert.

Sie grinst,
wenn sich die Leute manchmal kabbeln
und sich die Nachbarn nicht vertragen.
Sie stänkert, mosert
spuckt, sabbelt,
damit der eine bloß den andern ärgert
und wie eine Elster wettert.

Wir kennen wohl unsere Pappenheimer,
die mit freundlichem Gesicht
nachher mit Gift und Galle
an allem etwas auszusetzen finden,
dass sich der Teufel freut,
dass sein Geschäft so blüht.

Die Nutzanwendung:

Uns scheint,
schlagt kräftig zurück
auf alles, was lügt
und uns betrügt
wie böse Intriganten,
auch wenn sie sich so mausig machen
wie alte Kaffeetanten,
die selbst nichts tun
und immer nur plappern.

He wäit faots alls,
Un he kwahtert viel
Un mäck auk alls viel biätter.

In Wühglichkeit
Stait he nicks out,
He is jä bloss de Friätter.

He päck nicks an,
De Köüherklaos,
He läött de annern schuften.

Un kümpt drup an,
Dann deut he bloss
Ganz hännig sick — verduften.

Er weiß sofort alles,
und er redet viel
und macht auch alles viel besser.

In Wirklichkeit
leistet er nichts,
er ist ja nur der Fresser.

Er packt nichts an,
der Schwafler,
er lässt die anderen schuften.

Und kommt’s drauf an,
dann verduftet er sich schnell.

Weck Miäll un Mühl
Nich gähne hätt,
Deut gutt,
Wenn he kinn Möller wätt.

Un weck met Holt
Nich ümgaohn kann,
De düch auk nich
Aes Timmermann.

Män weck
Nich up den Broutschatt söüt,
Krigg faken noug
Dat beste Löüt.

Wer Mehl und Mühle
nicht mag,
tut gut daran,
nicht Müller zu werden.

Und wer nicht mit Holz
umgehen kann,
der taugt auch nicht
als Zimmermann.

Aber wer
nicht auf die Mitgift schaut
bekommt oft genug
das beste Mädchen.

De Küötter was ant Wëiske schnëihen,
Dao wull he nicks fö häbben,
Dat was den Schulten daoch towëihen,
De Wëisk lagg an de Knäppen,
Wo nao de Oulen flaigt
Un sick de Pappeln waigt.

De Schulte sägg*: „De Wëisk is dëin,
Fö dëi un dëine Kinner,
Un wëil dat Gräss so gaiwe stait,
Gihw ick di nao twäi Rinner.“

De Küötter fann dat rächte Woht,
De frëie Mann dat rächte Maot:
Dat iängerlaiske Schiäppel,
De Küötter, de hehr Wiäppel.

Fö ahl de Löü wäss noug to iätten,
Dat wätt so mannichmaol vergiätten,
Je mähr du häss, je mähr sass gihwen,
Mehrstëid is ümgekatt dat blihwen,
Un iängerlaiske Schiäppel
Sind raor äs güllne Liäppel.

* Oberliefert von meinem Ahnherrn Andreas Sch. zu Ennigerloh gt. Rottendorff.

Der Kötter mähte grad die Wiese,
dafür wollte er nichts haben (keinen Lohn).
Das passte aber dem Schulten nicht,
die Wiese lag an den Knäppen (Flurname)
wo noch die Eulen fliegen
und sich die Pappeln wiegen.

Der Schulte sagt: Die Wiese ist dein,
für dich und deine Kinder,
und weil das Gras so prächtig steht,
geb’ ich dir noch zwei Rinder.

Der Kötter fand das rechte Wort,
der freie Mann das rechte Maß
das Ennigerloher Scheffel
der Kötter, der hieß Weppel,

Für alle Menschen wächst genug zu essen,
das wird so oft vergessen,
je mehr du hast, desto mehr sollst du geben,
meistens ist das umgekehrt geblieben
und Ennigerloher Scheffel
sind rar wie goldene Löffel.

De Buddel mäck wull mannichäin
So stilIkes lihg fö sick alläin:
Dat deut de rächte Söüper.

Wi drinket bloss de halwe Pull,
Dann bliww se twäimaol länger vull
Un wi blëiwt alltëid nöchtern.

Män weck dao nich met ümgaohn kann,
De sall un mott von’t Döüwelstöüch
Auk sëine Finger laoten.

Die Flasche macht wohl mancher
still für sich alleine leer:
Das ist ein rechter Säufer.

Wir trinken nur die halbe Flasche,
dann bleibt sie zweimal länger voll
und wir bleiben immer nüchtern.

Aber wer damit nicht umgehen kann,
der soll und muss vom Teufelszeug
auch seine Finger lassen.

Weck dagesdag
Bloss schennt un gnaddert
Un wäit nich,
Dat de Sunne schinnt,
De Mensk is to bedouhern:
He söüt wull alls,
Man he is blind,
Wëil he
De Blaomen nich mähr finnt,
Weck allerwiägen wasset.

Wer Tag für Tag
nur schimpft und nörgelt
und weiß nicht,
dass die Sonne scheint,
der Mensch ist zu bedauern:
Er sieht zwar alles, aber er ist blind,
weil er
die Blumen nicht mehr findet,
die überall wachsen.

De Wind
De waihet, wo he will,
Un Blaoumen
Giff et allerwiägen,
Män däi,
Weck wi am laiwsten häwt,
De wasset bloss an stille Stiän
Gihn ächten in de Bouerschopp
Un blëiwt fö sick alläin.

Se kuhmt,
Wäht graut,
Un se vergaoht,
Ick miäk alltëid mi, wo se staoht,
Un do an iähr mi fraien
Auk winterdag,
Ick wuss jä, wo de Wuoddel lagg,
Weck Jaohr üm Jaohr to Maientëid
Alls greun wähn läött un blaihen.

Der Wind,
der weht, wo er will,
und Blumen
gibt es überall,
aber die,
die wir am liebsten haben,
die wachsen nur an stillen / geheimen Stellen
jenseits hinten in der Bauerschaft
und bleiben für / mit sich allein.

Sie kommen,
werden groß,
und sie vergehen,
ich merke mir immer, wo sie stehen
und freue mich an ihnen,
auch wintertags.
Ich wusste ja, wo die Wurzel lag
die Jahr um Jahr zur Maienzeit
alles grün werden lässt und blühen.

Allerwiägen blaihet Blaoumen,
Un de Hiätten wäht so wëit
In de greune,
In de scheune,
Viel to kuotte Freuhjaohrstëid.

Allerwiägen singt de Vügel,
Un se bauet sick iähr Nest,
Sind de Jungen
Graut un flügge,
Is’t all Hiäwst un nihwlich west.

Un dat Fluhkstern un dat Friggen
Is de Aollen ratz vergaohn,
Män dat Liäwen,
Dat gait widder:
Saot un Saisse, Arnt un Kaon.

Un dat bliww, dat aolle Lëiden,
Alls, wat blaihet,
Gait auk daut,
Un et stonn to alle Tëiden
Tihgen Üöwerflaut de Naut.

Überall blühen Blumen,
und die Herzen werden so weit
in der grünen,
in der schönen,
viel zu kurzen Frühjahrszeit.

Überall sind die Vögel
und sie bauen sich ihr Nest,
sind die Jungen
groß und flügge
ist’s schon Herbst und nebelig.

Und das Gurren und das Freien
ist den Alten gänzlich vergangen,
aber das Leben,
das geht weiter,
Saat und Sense, Ernte und Korn.

Und das bleibt, das alte Leiden,
alles, was blüht,
geht auch zugrunde / tot
Und es stand zu allen Zeiten
gegen / neben Überfluss die Not.

Hätt äin sao’n bittken mähr äs Dou,
Dann läött Di dat nich mähr in Rouh
Un pëinigt Di bi Dag un Nacht,
So lang de Döüwel in Di sitt
Un sick in’t Föüstken lacht.

Hat einer so’n bisschen mehr als du,
dann lässt dich das nicht mehr in Ruh
und quält dich Tag und Nacht.
So lang der Teufel in dir sitzt
und sich ins Fäustchen lacht.

Ick gao so gähn
De stillen Pättkes,
Weck düör de Bouerschopp
Sick treckt.

Dao driäp ick
Mëine aollen Frönde,
De Baime, Büske
Un de Hihgen,
Den Wall, den Hucht,
Den Dëik, den Kolk,
De Kämpe un de Wëisken,
De Biäcken un dat raue Dack,
Dat Küötterhous, den grauten Haoff,
Un drüöwer spannt sick
Haug de Himmel.

So häff ick’t alltëid kannt:
Dat gude, laiwe aolle,
Dat stille Bouhernland,
Wo ick so gähn in liäwe.

Ich gehe so gern
die stillen Pfade,
die durch die Bauerschaften
sich ziehen.

Da treffe ich
meine alten Freunde,
die Bäume, Büsche
und die Hecken,
den Wall, das Wäldchen,
den Teich, den Kolk,
die Kämpe* und die Wiesen,
die Bäche und das rote Dach,
das Kötterhaus, den großen Hof
und drüber spannt sich
hoch der Himmel.

So habe ich es immer gekannt:
das gute, liebe, alte
dass stille Bauernland,
worin ich so gerne lebe.

* abgegrenzte Felder, meist höher gelegen

Ick sinn so gähn fö mi alläin
Un sitt gähn in son Büsken,
Äs up de Baim de Sunne schäin
Un Blaoumen staot daotüsken.

Dat is fö mi de scheunste Tëid,
Se lött de Naut vergiätten,
De Düörn staot loss, dat Hiätt wätt wëit,
Wat kann sick daomet miätten?

De kleine Biäke flütt so klaor,
De Vügel sind ant Singen,
Kann von dat Scheune nich son lück
Out us manks wëiher klingen?

Ich bin so gern für mich allein
und sitze gern in so einem Wäldchen,
auf den Bäumen Sonnenschein
und Blumen stehen dazwischen.

Das ist für mich die schönste Zeit,
sie lässt die Not vergessen.
Die Türen stehen offen, das Herz wird weit,
was kann sich damit messen?

Das Bächlein fließt,
die Vögel singen,
kann von dem Schönen manchmal nicht
ein wenig aus uns widerklingen?

Ick was so meu.
Et wull baol döüster wähn,
Un bouten was’t so schmeu.
Wat was ick meu!

Ick kwamm in äinen Äikenbusk
Un gonk son lück dao sitten
Up’t Lauf un Maous
Fö fëiw Minouden bloss,
Ick moss mi ressen.

Man ick schlaip in,
Un ick wohr wach,
Äs Sunne up de Baime lagg,
Un ick hahr faster schlaopen
Äs in dat wäikste Behr
Met Sprunkfiän un Matratzen.

Un taoudeckt hahr mi bloss
De friske Luft,
Un in de Twëige
Was de Wind an’t Söüseln.

Ich war so müde.
Es wollte bald dunkel werden.
Und draußen war es so lieblich.
Wie war ich müde.

Ich kam in einen Eichenwald
und setzte mich da ein wenig
aufs Laub und Moos
für fünf Minuten nur,
ich musste mich ausruhen.

Aber ich schlief ein
und wurde wach,
als Sonne auf den Bäumen lag,
und ich hatte fester geschlafen
als in dem weichsten Bette
mit Sprungfedern und Matratzen.

Und zugedeckt hatte mich nur
die frische Luft,
und in den Zweigen
säuselte der Wind.

Wenn de hillge, daipe Stille
Üöwer Duop un Land sick legg,
Töüt auk Raouhe in die Siäle,
Weck so sachte to di segg:

Wanners kümp de leste Aobend,
Ämmaol is dëin Askedag,
Jüst äs Wäihern un Plasäiher
Tüsken Pëin un Arbeit lagg.

Luster bloss up dëin Gewihten,
Dat di düör dëin Liäwen draoug,
Un häss du auk Unrächt lihten,
Bläws du di män söwst genaoug.

Wenn die heilige, tiefe Stille
über Dorf und Land sich legt
zieht auch Ruhe in die Seele
die so sachte zu dir sagt:

Bald schon kommt der letzte Abend,
einmal kommt dein Aschetag,
so wie Unrast und Freude
zwischen Leid (Anstrengung) und Arbeit lag.

Höre nur auf dein Gewissen,
das dich durch dein Leben trug,
und hast Unrecht du erlitten,
bliebst du dir doch selbst genug.

Ji wiht’t jä nich,
Wu scheun de Welt is,
Wenn Ji Ju nich mähr fraien könnt
An äine Äike, äine Danne,
An Giäst un Hawer uppen Lanne,
An dat Vigeulken bi den Hucht
Un an den Liäwink in de Lucht
Un an de Stunn vö Oulenflucht,
Wenn sacht de Nacht kümp baol von buom
Un stille wät’t in Stall un Stuom
Bi Mensk un Väih.
Alls gait tor Rouh
Äs ick un Dou
Fö ümmer.

Ihr wisst ja nicht,
wie schön die Welt ist,
wenn ihr euch nicht mehr freuen könnt
an einer Eiche, einer Tanne,
an Gerste und Hafer auf dem Lande,
an das Vögelchen im Busch
und an der Lerche in der Luft
und an der Stunde vor Eulenflucht
wenn sacht die Nacht bald von oben kommt
und es still wird in Stall und Stube
bei Mensch und Vieh.
Alles geht zur Ruh’
wie ich und du
für immer.

Ick stonn ant Graff,
Wo use Maouder lagg.
Ick dach an iähr
Un ahl iähr Läid,
Ich saoh iähr faken grëinen,
Un äs ick dao an dach,
Dao kwämmen mi de Träönen.

Ick wisker iähr nich aff,
Se stüöden up dat Graff,
Wo use Maouder lagg.

Un lanksam gonk ick widder
Ant naichste Kröüs vöbëi
Un an de stille Stiär,
Weck praot makt wätt fö mëi
Un dei.

Ich stand am Grab,
wo unsere Mutter lag.
Ich dachte an sie
und all ihr Leid,
ich sah sie oftmals weinen,
und als ich daran dachte,
da kamen mir die Tränen.

Ich wischte sie nicht ab,
sie fielen auf das Grab,
in dem unsere Mutter lag.

Und langsam ging ich weiter
am nächsten Kreuz vorbei
und an der stillen Stelle,
die vorbereitet wird für mich
und dich.

Vergiw mi mëine Laighait,
Vergiw mi mëine Schuld
Un giw mi fö de Lëidenstëid
Dat rächte Maot Geduld.
Kuhmt äs de hatten Dage,
Dann stühn ick nich un klage,
Wenn Du mi stais tor Sëit.

Vergib mir meine Bosheit,
vergib mir meine Schuld
und gib mir für die Leidenszeit
das rechte Maß Geduld.
Kommen mal die harten Tage,
dann stöhn’ ich nicht und klage,
wenn du mir stehst zu Seite.

Blëiw bi mi, Här,
Wenn’t köller wätt
Un ick fank an to fraisen.

Blëiw bi mi, Här,
Wenn’k öller währ
Un in de Kindheit kwämm.

Blëiw bi mi, Här,
Wenn’t döüster is
Un ahl häwt mi verlaoten.

Blëiw bi mi, Här,
Wenn’k daut gaohn mott
Un lett mi sacht nao Hous.

Bleib bei mir, Herr
wenn’s kälter wird
und ich zu frieren beginne.

Bleib bei mir, Herr,
wenn ich älter werde
und (zurück) in die Kindheit kommen sollte.*

Bleib bei mir, Herr,
wenn’s dunkel ist
und alle mich verlassen haben.

Bleib bei mir, Herr,
wenn ich sterben muss
und geleite mich sacht nach Hause.

* in die Kindheit kommen im Sinne von Verwirrung, Demenz, Identitätsverlust im Alter

Aus dem Nachlass. Andreas-Rottendorf-Lesebuch, zusammengestellt von Heinrich Schürmann (2006)

Vorwort

Andreas Josef Rottendorf – er selbst nannte sich zuweilen Schulte Rottrup – wurde als einziger Sohn des Kötters Heinrich Stefan Schulze Rottendorf und seiner Ehefrau Josepha Antoinette, geb. Wilke, am
10. Oktober 1897 in Ennigerloh geboren. Er wuchs auf in der Tradition und dem Denken seiner berühmten Vorfahren aus dem 17. Jahrhundert, Bernhard sen. und jun. Rottendorf, die Leibärzte der Fürstbischöfe zu Münster und Stadtmedizi waren.
In seiner sorglosen, behüteten Kindheit durchstreifte er mit seiner jüngeren Schwester Wald und Flur und lernte so seine westfälische Heimat lieben, ein Thema, das später einen großen Raum in seinen Schriften einnehmen sollte.
Zeit seines Lebens war er jedoch eine gespaltene Persönlichkeit. Zum einen, nicht zuletzt durch seine vielen Auslandsreisen, sah er sich selbst als geschliffenen Weltbürger, zum anderen aber war und blieb er – schon durch seine äußere Erscheinung – ein der heimatlichen Scholle fest verhafteter Westfale, liebenswürdig aber mit groben Ecken und Kanten.
Er war, wie aus vielen seiner nachgelassenen Briefe hervorgeht, ein treusorgender und stets gehorsamer Sohn, hat seiner Mutter aber nie verziehen, daß sie als junge Witwe den Hof seiner Väter an die Zementindustrie verkaufte. Daher war es für ihn eine besondere Genugtuung, sein 1928 gegründetes pharmazeutisches Unternehmen nach 1949 in Ennigerloh auf dem Gelände einer Zementfabrik wieder aufbauen zu können.
Auch seine Frau Rose, geb. Nierenberger, fand er 1922 nicht unter den Schönen des Landes, sondern brachte sie aus dem fernen Elsaß nach Westfalen, das sie selbst erst im fortgeschrittenen Alter als Heimat akzeptierte.
Sein unternehmungshungriger Geist ließ Andeas J. Rottendorf nicht ruhen. Er, der passionierte Jäger und hochdekorierte Offizier beider Weltkriege, fand später Ruhe und Ausgleich in der Gelassenheit der westfälischen Landschaft, die er in Lyrik und Prosa beschrieb.
In diesem Tun kam auch seine kosmopolitische Denkweise zum Ausdruck, mit der er stets in kritischer Auseinandersetzung zeitgeschichtliche Ereignisse oder Missstände in Kommune und Land, in Politik und Wirtschaft aufzeigte und die er aufzudecken bzw. anzuprangern meinte berechtigt zu sein.
Die schriftliche Auseinandersetzung mit der Natur, dem alltäglichen Geschehen um ihn herum sowie mit dem Weltenlauf nimmt mit der Zeit immer größeren Raum in seinem Leben ein; 1968 erhält er als äußere Würdigung und Anerkennung seines schriftstellerischen Schaffens das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.
Alle seine Schriften veröffentlicht er im eigenen Verlag, den er – typisch für seinen Charakter – Contra torrentem, also »Gegen den Strom« nennt.
Gleichzeitig leitet er noch sein stark expandierendes Industrieunternehmen mit nahezu 100 Mitarbeitern, das sich über die Jahre einen hervorragenden Ruf in der europäischen Pharmaindustrie schaffen konnte.
Sein Führungs- und Lebensstil war von Pflichtbewusstsein, Fleiß, sozialer Verantwortung und Gottvertrauen geprägt und hatte seine Wurzeln nicht zuletzt in den persönlichkeitsprägenden jungen Lebensjahren beim Militär.
»Mehr sein als Scheinen« und »Ora et labora« sind für ihn kennzeichnende Lebensmaximen, die auch seinen persönlichen Lebensstil reflektieren.
Mit seiner gemeinnützigen Stiftung, die er konzipierte und die seine Frau nach seinem Tod am 19. November 1971 realisierte, sowie der Auslobung der Preise für niederdeutsche Sprache, Pharmazie und Pharmakologie im jährlichen Wechsel ist es Andreas J. Rottendorf gelungen, seine Anliegen als sozial engagierter Unternehmer mit dem ihm eigenen Hang zum Patriarchen und für sein geliebtes Niederdeutsch, für das er stets vehement eintrat, als sein Vermächtnis kommenden Generationen zu hinterlassen.

Claus Fernbach

Gedanken bi’t Ressen

Gedanken,
De bi’t Ressen kuhmt,
Sind faken naoug
De Besten.
De Mensken,
Weck bloss biässen könnt,
Wäht mäistendäils

De Lesten.

Laßt Euch doch nicht bange machen
Vom Kamel,

Das nichts versteht
Und nur lüstern
Mit den Nüstern
Schnuppernd nach dem Trog sich dreht,
Wie wir das ja täglich sehn,

Wenn wir nur mit offnen Augen
Wachsam durch die Wüste gehn.

De Ellern lennt an iähre Blagen
Manks viel t o lange Piäd un Wagen,
Dat se dat Trecken söwst verläht

Un teumig un kummaoudig wäht.

De äine süpp, de twedde schlöpp,
De annern schlaot sick an de Köpp,
Wenn’t Iäwe wanners is vertiärt,

Wëil sick kinnäin an’t Ahbain schiärt.

Nutzanwännung!
Weck sëine Kinner bloss verwühnt,
Draww sick nich wünnern,

Dat se stühnt,
Wenn se up äigne Feute staot
Un nich an Maouders Schüött mähr gaot
Un hatte Polster in dat Nest

Sind lang nao nich de laigsten west.

Et was äs Maoude
Wat to maolen,
Wat outsaoh
Aes ne Kläxerëi.
De laiwe Här was gnädig:
Dat gonk an us vöbëi.

Nou aowwer
Spihlt se met de Wöhde
Un haolt dat Stuhtern
Fön Gedicht
Un schmiärt met Quast un
Stift un Pinsel

Sick frümde Kleuher int Gesicht.
Dao willt wi nicks von wihten

Weck Iäss un Spraoke
ratz verräött
un gläöww,
he här de Trümpfe,
töüt Büxe, Rock
un Schauhe out
un läöpp
up blaute Strümpe.

Bist Du auf einem Hof geboren,
geht Dir die Heimat nie verloren.
Die Scholle bleibt und tat Dir treu,
in Wind verwehn kann nur die Spreu.

Wat awwmahkt is, dat sass Du haollen,
Auk wenn dao nicks von schrihwen stait,
Treck Schnout un Moul nich faots in Faollen,
Wenn’t äs nao Dëine Müsk nich gait.

Wiäg Woht ua Handschlag äs de Aollen,
Wat ünrächt is, nao’n Himmel schrait:
Westfäölsket Rächt wätt nich verdrait.

Ick sin wull tolerant
un auk daofö bekannt,
dat iok de Löü in Rouhe laot,
weck iähre äignen Wiäge gaot.
Män wo dat Untöüch kollersk is,
dao nützt kinnäin de Kompromiss.

Das Echte ist nicht mehr gefragt,
Man liebt die Surrogate.
Bei Schminke, Puder, Lippenstift
Steht die Vermassung Pate.

Aes Möller Bürgermester was,
Har manks dat ganze Duop nao Spass,
Wëil, wenn he an to soupen fonk,
He drai Dag nich nao Hous hen gonk
Un bläiw daoch nöchtern ässen Fisk,
Bläiw kiännig, liännig, frouh un frisk
Un lagg nich ämmaol unnern Disk.

Weck süpp un stait bliwww lang bekannt
Aes fasten Paohl int Mönsterland.

Un weck dütt wäit
un schrëiwen dähr,
De saup söwst gähn
Nao’n Stihwel mähr.

Kennst du die Pfade noch,
Die wir gemeinsam gingen,
Als zart die Blätter grünten
Und aller Orten
Blumen standen,
Die wir zu Kränzen wanden.
Weisst du es noch?

Die Kränze sind verdorrt,
Die Blumen
Längst gestorben,
Und doch war jede einst
Von Sehnsucht
Heiss umworben.
Wisst ihr es noch?

Ich weiss es noch.
Drum gönn’ ich jedem
Stillvergnügt
Das rechte Maß der Freuden,
Die selber ich genossen,
Bevor des Gartens Wächter mir
Das Paradies verschlossen.

Ich stand am Jagdschloss Grunewald
Der Stille gegenüber,
Und alles, was verflossen war,
Zog wie im Traum vorüber.

Ich litt die Qual
Ein zweites Mal,
Und auch die Lust
Ward mir bewusst
Und alles,
Was mein Herz erfreute.

So wurd’ aus gestern
Wieder heute.

Dann kam die Nacht
Ganz sacht.
Der Himmel war verhangen.
Und eh’ ich spürte, wie’s geschah,
Dass mir das Ferne kam so nah,
Da war ich selbst vergangen.

Erst dat Schwäiten,
Dann dat Fraisen,
Nao dat Finnen
Dat Verlaisen.
Alls wat kümp,
Lott wëiher gaohn:
Dat hätt alltëid
Wäih naoug daon.

O Här!
Wo sind de Tëiden blihwen
Von daomaols
Äs’k nao Schaoul hen gonk
Un wo an jeden Hucht un Strunk
Fö mëi de güllne Appel honk.

Män läter
Äs’k ämm plücken wull
Was Baouch un Baum all lihge,
Un wo’k nao’t Löütken frigget hahr
Drapp’k bloss ne aolle Sihge.

Wenn ick äs Plasäiher häww,
Söllt de Annern
Auk sick fraien,
Wëil, wenn ick int Schäisken sitt,
Deut dat jä
Fö ahl sick draihen.

Aowwer wenn ick grëinen mott,
Brouk bi mi
Kinnäin dat säihen.
Mëine Träönen flaitet still:
Se willt nich.
Lamentäihen.

– Die Vorfreude –

Et schnaier
Un schnigger
Un haor garnich up
Un wo all wat lagg,
Dao foll nao wat drup.

Fänkt Schmelten
Erst an,
Flüt’t haug in de Biäken.
Von Kölle un Eëis

Is nicks mähr to miäken.

De Sunne de stigg,
Vigeulkee de blaihet
Un ick hahr all lange
Up Austern

Mi fraiet.

Alls wat echt is

– To’t Naomaken –

Alls wat echt is,
Is auk stouher
Un dat häöllt sick
Up de Douher:

Wat pöük is
Un alatt,
Dat köühert
Alltëid platt.

– De Blaik-Kouhl –

Lang is de Tëid vergaon,
Aes spinnt un wiäwet wohr,
Wo nao to jeden Haoff
Fö’t Hamm de Blaik auk haor.

Un to de Blaik de Kouhl’,
Vull Water swatt un daip,
Wëil dao in düsset Laock
De baise Buck-Kärl schlaip.

Bi Stuorm häw’k ämm wull säihen,
He trock de Bless’ so krous:

Alls, wat in’t Water stuor,
Dat foll ämm jä in’t Hous.

De Blaike is verschwunnen,
Verfallen Kouhl’ un Hütt’,

De Döüwel bloss is blihwen:
He wuss den naichsten Pütt.

Reklame deut bi us to Lann
Nich in de Gihgend passen.
Wo use aolle Iärss nao sitt,
Läött se met sick nich spassen:
Wi willt nich hassebassen.

Wo propper ligg so mannich Duop
In’t greune Mönsterland,
Un jederäin gaiht gähn daohenn,
Un alls is dao kuntant.

Män weck üm Geld un Judaslaoun
Sick söwst will ratz kasträihen,
De set’t sick äinen Putk int Aohr
Un kann sick bloss blamäihen
Un dat dähr us schenäihen.

De Bouher schlaoug den Koppruon aff
Un Hucht un Hagen
Busk un Hihge
Un kahl was alls un lihge.

Kinn Bleumken deut mähr wassen,
Kinn Vugel brött dao mähr,
Weck süss, solang ick denken kann,
Nao jedes Jaohr dat dähr.

Ick sinn bedreuwt un schiäme mi
Säih ick
Vö louter Hassebassen
Nüöns mähr Vigeulkes wassen.

Män wo wi kuhmt
Un wo wi gaoht
Giww’t allerwiägen Stacheldraoht
Un muoke Rihgelpäöhle.

Weck deut,
Wat he nich draff
Un hauet Hihgen aff,
Wëil dat wat fö den Geldsack gaww,
De schaoufelt düör den Unverstand
Sick söwst dat äigne Graff.

Der erste baut das Haus,
Der zweite wohnt darin,
Der nächste hat’s geerbt,
Der vierte wird’s verkaufen,
Der eine stockt es auf,
Der andre bricht es ab
Und keiner wird’s behalten:
Man darf es nur verwalten.

In mannich Kiäspel ligg mähr Staoff
Aes’t met Verlaif dao gihwen droff.
Wo’t greun was,
Säih ick grëis,
Ich mak ju nicks vöwëis:
Wi schlouket Qualm un Rauk
Un Gift un Gase auk.

Wat sinn wi Mensken daor!
Kinn Biäcksken flütt mähr klaor,
Kin Fisk kann dao in liäwen
Un Krihft un Hecht möht stiäwen
Un Mensken auk.
Wi häwt ja alls veräöst
Düör use ëigne Drëite
un regelrächte Sch…
Dat kann nich gutt gaohn
Up de Douher,
Dao ligg de Döüwel
Up de Louher:

He mäck out Schwatt gähn Witt,
Wenn he män söwst int Dröüge sitt
Up sëinen grauten Sack vull Geld
De aolle Satan
Mammon.

De Küötter was ant Wëiske schnëihen,
Dao wull he nicks fö häbben,
Dat was den Schulten daoch towëihen,
De Wëisk lagg an de Knäppen,
Wo nao de Oulen flaigt
Un sick de Pappeln waigt.

De Schulte sägg*): »De Wëisk is Dëin,
Fö Dëi un Dëine Kinner,
Un wëil dat Gräss so gaiwe stait,
Gihw ick Di nao twäi Rinner.«

De Küötter fann dat rächte Woht,
De frëie Mann dat rächte Maot:
Dat Iängerlaiske Schiäppel,
De Küötter, de hehr Wiäppel.

Fö ahl de Löü wäss naug to iätten,
Dat wät so mannichmaol vergiätten.
Je mähr Du häss, je mähr sass gihwen,
Mehrstëid is ümgekatt dat blihwen,
Un Iängerlaiske Schiäppel
Sind raor äs güllne Liäppel.

*) Ueberliefert von meinem Ahnherrn Andreas zu Rottendorf – Ennigerloh (1754–1804).

De Koppruon
De stonn ganz fö sick.
Wat will
De Aolle äigentlick?
Hätt he us wat to seggen?

He söüt de Saot
Un’t rëipe Kaon,
De Saisse aouk
Un Sunn un Maon,
De Tëid
Un use Liäwen
Un rëigaswäg dat Stiärwen.

Et giff mähr Kaff
Aes Giäst un Wäit.
He miäkt,
Dat alls bloss kümp un gait
Un wohr gewahr
Dat nicks bestait,

Wat us bedrügg
Un lügg
Un sick so wichtig düch.

De Koppruon schwigg.
He köühert nich.
He stait bi Wind un Wiär
Fast an de söwtge Stiär.
Wi könnt
Viel von ämm lähn
un –
Kleuker wähn.

De Büsse knallt,
dat Bäiher flütt,
de Fiän de fallt,
de Junge schütt
un is up ämmaol Künink,
män he laip wäg.

He saoh
de lihge Stange
maouk sick vö Staot
un Titel bange
un alls
wat anners kwamm.

Weck dat wull süss nao dähr
up düse Är?

Waig un Graff

Waig un Graff,
Kaon un Kaff.

Alls wohr saiet,
Wat verblaihet,
Aehr äs’t met de Tëid
Verwaihet.

Kaon un Kaff,
Waig un Graff.

Die Zeit ist schnell vergangen,
das Bild schon längst verblasst,
das du in jungen Jahren
von dir gezeichnet hast.

Das Feuer ist erloschen,
die Flut schon längst verebbt,
wenn sich der müde Wandrer
am Strande heimwärts schleppt.

Fö R.L.

Seuk dat Gude, këik in’t Greune,
Rouk an Blaumen, weck no blaihet
Un bedank Di fö dat Scheune,
Wat so unverdaint us fraihet.

Lao dat Grëinen, laot dat Trouhern
Driäg de Last, weck Di nich päss,
Sëi tofriär un laot dat Gnouhern
Schnäit auk daip in’t Hiät dat Mäss,
Lange kann’t jä nich mähr douhern,
Dat Du kinne Pëin mähr häss.

Ich ritt auf edlen Pferden
am Morgen und zur Nacht
und hab’ die schönsten Stunden
im Sattel zugebracht.

Ich legte manchen Rothirsch
beim Pürschen auf die Decke
und bei dem letzten Halali
komm’ ich dann selbst zur Strecke.

An jedet Hous,
an jede Düör,
dao gait de Daut vöbëi!
Un is’t so wëit,
dann kloppt he an
un schnappt sick dëi un mëi.

Manks kümp he schmeu
un strëipt us sacht,
manks is he ratz to butt
un schläött,
wat achtzig Jaohr baol haoll,
up äinen Schlag kaputt.

Ich fühlte stets mich der Entsagung
Mehr als der Lüsternheit verwandt.
Ich gab der Einsamkeit und Stille
Den Vorzug gern vor Spiel und Tand.

Ich schaute an verborgnen Stellen
Auch Dinge, die nicht sichtbar sind.
Das Wasser trank ich aus den Quellen
Und blieb so gläubig wie ein Kind.

Die Tage gehen nun zur Neige.
Der Winter kommt, es naht die Nacht
Und auf den grünen Rasen fallen
Die weissen Flocken sanft und sacht.

Sässtig Jaohr sinn ick nou aolt,
Son rächten dröügen, taohen Hast.
Viel Iärger häw’k herunner spollt,
Von Tëid to Tëid auk Leiwe follt
Un gähn met scheune Löüdens spasst.
Is’t lang all henn un auk verblasst:
Dat Freuhjaohr häw ick nüöns verpasst.

Dat Gedaonhe is vobëi
Met de Engel aohne Flittken.
Wat nou kümp, is mi ganz nëi,
Wenn’t nao mëi gönk, wöhr’k so frëi,
Aehr äs’k in de Kouhle glëi
Un ick kuhm in’t höltern’ Kittken,
Dat ick waochter gähn nao’n bittken.

Was Dir gehört,
ist doch nicht Dein,
Der Nächste kommt, dann ist es sein.
Der Dritte lauert schon darauf.
Der Vierte bracht’ es ein durch Kauf.
Der Folgende war liederlich,
liess Haus und Hof und Weib im Stich.
Sein Sohn aß drum nur trocknes Brot
und ging in jungen Jahren tot.
Der Enkel war ein Bauersmann,
der Geld und Gut und Ruf gewann.
Der Achte, der dem Trunk verfiel,
verbracht’ die Nacht beim Kartenspiel.
Der Neunte quälte sich und starb,
bevor der Nachbar
den Besitz erwarb.
Der Zehnte hielt den Hof in Schuß,
dass man ihn dafür loben muss.
Der Elfte trat in Vaters Spur
und dachte an die Arbeit nur.
Der Zwölfte setzt das Streben fort
als Musterbauer in dem Ort.
Der Hof besteht,
der Mensch vergeht,
wie Ihr es an dem Beispiel seht.

Das Land gehört dem HERRN allein,
Du selbst darfst der Verwalter sein
und jäten, säen, ernten.

Mancher dünkt sich
hocherhaben
über den,
der wenig hat,
doch am Ende
unsrer Tage,
stellt der Tod
das Konto glatt.

Man marschiert
und kommt nicht weiter,
denn man trottet nur im Kreis,
weil man nichts
vom Gang der Dinge,
nichts von Ziel und Richtung weiss.

Darum wird auch
mancher Esel
schon auf halbem Wege lahm,
eh’ er
mit dem Sack voll Weizen
zu der nahen Mühle kam.

Wat deut dat Aohr
Mi klingen,
Kuhm ick
An äine Schaoul vöbëi
Un häöhr de Kinner singen.

De Stemmkes
Sind so hell un frisk
Un packt us an’t Gemeut
Aes dat de scheunste Symphonie
Un Schlager süss nich deut.

Ick währ ganz still
Un luster gähn,
Wenn ick auk nich verschwëige,
Dat’k dann
Nao minne Kinnertëid
Vandag nao Haimwäih krëige.

Kippen un Wippen

Kippen, Wippen un Bedraigen
Stait den rächten Kärl nich an,
Weck Behumpsen, Kwahtern, Laigen
Bi kinnäin nich lëihen kann.

Nimm in Acht Di vö den Kipper,
Wahr Di aok vö’n Wippermann,
Un legg Dummhait, Stolt un Boshait
Rëigaswäg in Kiär un Bann.

Douk den Stümper unner’t Water,
Stiäk den Praohlhans in den Pütt,
Dat iähr Moulwiäk un Gekwahter
Sick bi’t Schlouken sölwest schlütt.

Ahl dat Spühtern
Un dat Spiggen,
Ahl dat Stühnen
Ahl dat Stuhtern,
Ahl dat Kwahtern
Un dat Köühern
Gait mi wannern an de Nöühern:
Ich pack taou und ick schwëig still,
Wenn’k wat färrig brengen will.

Manches,
voller Lust betrieben,
wäre sicher
unterblieben,
hätte man sich
vorgenommen
ohne Ärger
auszukommen.
Doch das Unheil
ist schon da,
eh’ man merkt,
wie es geschah.

Wenn de graute Naut äs kwämm
Un et gönk an’t Leste,
Dann wöhr dat Beste,
Wat du hährs,
De äigne witte Weste.

Dem Hoch folgt stets ein Tief
Und wer’s nicht glaubt
Liegt schief,
Und wird
Wie wir ja wissen –
Für seine Dummheit
Büssen müssen.

Wer von der Sache
nichts versteht,
tut gut daran zu schweigen,
da er ja nicht verpflichtet ist,
das, was ihm fehlt, zu zeigen.

De Dag vergonk
Äs ahl de annern
Un was de Maih nich wäht,
Wenn wi nich miäkt,
Wenn wi nich läht,
Dat use Hiät so lihge bliww,
Wenn’t bouten nicks äs Luxus giww,
Wëil use Biässen
Un dat Jagen,
Dat Suogen bloss
Fö Struott un Magen,
Äs us de Augenschein verräött
Fö dat Gemeut
Nicks üöwer läött.

De Äinen gait et gutt,
de Annern feult sick schlächt.
De Ersten doht gähn schwäiten,
de Twedden is nix rächt.

De Äinen könnt nao lachen,
de Annern nix äs gnouhern
un doht bi Sunnenschëin
up laiget Wiär bloss louhern.

De Twedde mag den Ersten,
weck lachet, gar nich lëihen.
Män kick häi in den Spaigel,
is he sick söwst towëihen.

Natürlich weiss ich,
Was geschieht
und nicht passieren sollte,
Doch kam so Manches
Auch noch vor,
Wenn man es
Gar nicht wollte?

Viele,
die im Trüben fischen,
lassen sich
nicht leicht erwischen,
weil sie ihre Köder tarnen
und sich gegenseitig warnen,
bis der brave Bürger glaubt,
ihr Verhalten sei erlaubt.

Ich musste ständig kämpfen,
Bis dass der Tag sich neigte
Und mir am fernen Horizont
Den Abendfrieden zeigte.

Nun war er mir zum Greifen nah
Und ich war ihm ergeben,
Dann war er plötzlich nicht mehr da,
Wie es so geht im Leben,
Im Lieben wie im Streben:
Man tippt und tappt daneben.

Se kwittkert un kwattkert
Bis daip in de Nacht
Un kuhmt
Nich ämmaol to Staohle.

Se küöhert un kwahtert
Met wennig Bedacht
Aes kwämmen se
Jüst in de Schaoule.

Se feult bloss un fummelt,
Daoch packt se nix an
Un laohtet
De annern gähn driägen.

Iähr was jä alltëid
An Moulwiärk un Geld
Mähr äs
An Ahbait geliägen.

Nao buom henn flüggs du
Un du stüöss nao unnen.
Du hängs
Son bittken in de Luft.
Män währ nich bang!
Dat Räip häöllt fast
Un drägg den Kärl
Un drägg de Last,
Wenn Strick un Foust
Un Mauen
Gutt bi äinanner passt,
Un du nich schwëimlich wäss,
Wenn du’n lück Koppëin häss.

Sind die Felle fort

Sind dir
die Felle fortgeschwommen,
dann gräm’ dich nicht zu lange.

In Zukunft
fang sie lieber ein
mit einer langen Stange.

De Vugel singt, de Vugel frätt,
Män mehrstëid mott he flaigen,
De Baum, weck graut un lëik wähn will,
Mott sick bit Wassen baigen
Un sick, wenn’t stürmt, daip naigen.

De Wuotteln schlaot dann daip un fast
Un Nester drägg de bräide Ast.
Wi säiht de schwanken Tellgen an,
Aoww dao sitt wull ’ne Aeike dran.
Dao helpt kinn Iäwe, Böül oww Lähn,
De Böcke kann kinn Aeikbaum wähn.

De starke Baum stait gähn fö sick,
De Kraoun hätt dao den rächten Blick,
Un giww nicks mähr up Praohlen, Schennen,
Wat fast stait, will jä gar nich rennen.

– De Materialismus –

De Pättkes wäht viel wenniger,
De Autos feuhet hänniger.
De Mensk föllt sick elenniger.

De Büske so kahl,
De Ahntwai so schmahl
De Hihgen so dünn:
Dat brenkt kinn Gewinn.

Alls gait nao’n Böül,
 Nao’t Lineaol
Weck kennt bi’t Föüher
 Nao dat Haohl?

Ick gonk bi Sëit. Ick socht Gemeut,
Et kwamm mi nich mähr in de Meut.

Vont Raisen, Rennen Kinogaohn,
Is nao kinn Hiät tofriär von wohn.
De Kiäk bläiw lihg, segg de Pastaouher,
Meuk nich dat Biän den Mensk auk fraouher.

Dat Liäwen hätt mi bais begaohn,
Lait mi fö lihge Pötte staohn,
Traktaiher mi met Nuwwk un Staut,
Erst an har’k Töüch, dann lagg’k gans blaut,
To erst was’k buom un baol daip unnen,
Un daoch häw’k mëin Kabüwwken funnen,
O greun de Hucht vull Rausen stonn,
Wo ahl de schwaohn Gedanken
Von Mensk un Tëid versanken,
Aes letter mi ’ne laiwe Hand
In’t Land, dat us nao nich bekannt.

Män wo dat ligg, dat draww’k Di nich seggen,
Dat mott von söwst sick in Di reggen.
Laot üm Di erst gans still alls wähn:
Du moss, wenn’t still is, lustern lähn.

Ick fraie
An’t Kiännige.
Ick fraie mi
An’t Liännige.
Ick frai mi,
Wenn de Sunne schinnt.
Ick frai mi alltëid
Äs sao’n Kind,
Wat ümmers
An den Stuok nao gläöww,
Auk wenn he us
So faken öww.
Ick frai mi iäms.

Weck muons all faots ant Janken is,
Ant Jaoulen un ant Stühnen
De deut sick dat siliäwe Dag
Nich sölwest affgewühnen.

Alles, was organisch wächst,
Braucht künstlich nicht beschleunigt werden,
Uns scheint, es wird genug gehext
Mit Dingen, die die Welt gefährden
Und dementsprechend sich gebärden.

Man jagt und wagt,
 was man nicht wägt,
Dass manches,
 was sich überschlägt
Die Dekadenz als Stempel trägt.

De Ihsel, weck nich fleigen konn,
un glaoww, dat he dat gutt verstonn,
Foll baol, dat is kinn Wunner,
Von’t Postament herunner

– De Kritik –

Son ganz klain lück verstaoh’k von’t Dichten,
Un kann auk wull ëin Rëimken maken,
Män ick laot de annern richten,
Aoww iähr schmahkt auk mëine Saken.

Mannich äin wull söwst sick luowen,
Wëil’t de ann’re jä nich deut,
Daoch dat Aeigenluow is stuorwen:
Et kräich alltëid kaolle Feut.

Wenn’k biäss,
Sinn’k mehrstëid twiärs.
Wëil dat, wat mi vernëinig mäck,
In Feut un Foust un Moulwiärk stäck.

Män will de Kopp dat bloss verstaohn,
Där alls aohn’ Raosen biätter gaohn.

– Tertius gaudens –

Der eine ist des andren Neider
– Leider –
Und tut ihm Abbruch, wo er kann.
Der dritte ist der Gegner beider,
Der stets die Oberhand gewann
und mit Erfolg im Trüben fischt,
Wenn falsches Spiel die Karten mischt,
Wo Korpsgeist tät uns bitter not
Wie derbes, hartes Vollkornbrot.

Weck’t is, bliww mehrstëid drëist un daor,
Un stött sick an de äigne Baohr.
De Ihsel, weck bloss frätt un schlöpp,
Von Tëid to Tëid daoch I-A röpp,
Wo met he auk sick söwst verrött,
Wëil he de Dummhait jä nich lött.
Sei gnädig, Herr!

Ich mach mich
manchmal unbeliebt,
Weil ich
Die Wahrheit sage.

Ich werd’ es auch
Nicht lassen,
So dann und wann
Ein heißes Eisen
Anzufassen,
Auch wenn mich
Die Betroffenen
Aus tiefster Seele hassen.

Fallgrübchen

Ein Mädchen hat mich angelacht
Mit Grübchen in den Wangen
Und mich klamm-heimlich
Und ganz sacht
Fast über Nacht –
Mit ihren Reizen eingefangen.

Ich merkte gar nicht,
Wie das kam,
Was Vorsicht mir und Freiheit nahm:
Ich spürte Strick und Schlinge
Erst beim Verlobungsringe
Zu spät, zu spät, zu spät.

Bit Maihen
häw’k de Löüdens gähn,
weck rank un schwank
de Garwen binnt
un sick vö Disseln
un vö Däöhn nich bange makt,
wenn se de finnt,
weck taoupackt,
wo dat naidig is,
weck Wihsbaum nao
un Ringsen kennt
un us so sacht
vö’t Döüsterwähn
so’n bittken Sunnenschëin
nao lennt:
De Löüdens hahr ick gähn.

– Lyrisk –

An use Daipenbiäck
Kwamm mi dat Löüt entihgen,
Män äs ick naiger gonk,
Saoh ick bloss Busk un Hihgen.

Ick miäker mi de Fospeln
Un drapp iähr Jaohr üm Jaohr,
Wenn de Vigeulkes blaihet
Un ick den Gaitlink haor,

Gais du de stillen Pättkes,
Fölls du auk iähre Hand
Un baol bis du verlaiwt,
Verlaiwt in’t – Mönsterland.

Wo Hans
die Trude heimlich traf,
stand längst
ein Bock schon bei dem Schaf.

Im Frühjahr
traf ich einst ein Paar,
das schon im Herbst
geschieden war.

Die Kühle stört
in Liebesdingen,
wenn Fink und Zeisig
nicht mehr singen.

(To viel verlangt)

De Kauh sägg to den Ossen:
Du bis so schrao un swatt,
Ick will ’nen fetten, vossen,
Ick sin jä so verkatt,
Fö’t Auge häw’k nicks hatt,
Du fräss Di auk nich satt.

De Osse brüller saou:
Aehr ick mi fiärwen daou,
Dao fraog ick jede Kaouh,
Off ick nich sinn iähr Fall,
Ick häör to ahl innen Stall.
Uem Di alläine
To gefallen,
Kann’k mi met ahl
Doch nich verknallen.

– An der See –

Ein Elflein spielte an dem Strand
Ganz wie ein schönes Kind
Und malte Herzen in den Sand,
Die Ausdruck eines Sehnens sind.

Ich sah ihm zu,
Es war sehr nett,
Ich wollte ihm gern helfen,
Doch merkt’ ich bald:
Ich war zu alt
Zur Tändelei mit Elfen.

Wenn dat Hiät so harre schläött
Un Di kinne Rouh mähr läött,
Düch us, Löüt, Du bis verlaiwt,
Auk wenn’t ann’re Löü nich glaiwt.
Wëil, weck Di dat Üöwken bött,
Sick düör Kwalmen nich verrött,
Obschon viele, weck’t nich miäket,
Gähn de Niäs in’t Uomlock stiäket.
Wohenn jähr de Nëisgihr driww,
Weck naoug Staoff fö’t Moulwiärk giww.
Wëil dat aolle Kwahterlock
Nüöns ligg gähn up Trockendock.

Du bist verliebt, mein Kind,
Und siehst den Himmel offen.
Der Mann, der weisse Mäuse sieht,
Ist meistenteils –
Pardon – besoffen.

– Fabel un Parabel –

De Mutte un de Sugebär
De wöhrn tohaup ant Friätten.
Dao sägg de Bär:
»Wat fö ëin Schwëin
Könn sick met mëi wull miätten?
Ick sinn so graut,
So weust un dick
Un bleiw int Aoller nao up Schick
un währ alltëid hoffäihet.«

De Suge sägg:
»Du dumme Kärl!
Wat is met di passäihet,
Du bis jä ratz verwäihet,
Wäis du dann nich,
Weck Fiäcken krigg
Dou aodder ick
Bis sässtäin Stück?
Dat moss du aolle Sugebär
Di endlicks ämmaol miäken,
Süss will’k di dat wull dagesdag
Nao ächtern Spaigel stiäken!«

De Bär, de schwäig,
Aes he up’t Fell wat kräig.
Villicht hahr he’t wull auk verdennt,
Dat manks de Mutte schennt.

Maidag blaihet Blaoumen,
Maidag greunt dat Gräss,
Maidag schnitt in Böcken
Hiätten met dat Mäss.

Blaoumen wëiher blaihet
Naichst Jaohr tor Maientëid
De Laiwe is verwaihet,
Wat ligg se trüüg so wëit!

De Baime mette Hiätten
De sind nou aolt un graut,
De Hiätten söwst vergoätten
De Schrëiwer lange daut.

Baol kuhmet Baohr un Sage
Un schmëit den Baum auk üm
He stüött dann aohne Klage:
Us’ Tëid was jä herüm.

De Gaitlink sang, se stonn an’t Schemm,
Iähr Hiät dat waochter bloss up ämm
Un äs he kwamm den Patt entlank,
– So pëil un Stouer was sëin Gank –
Dao wuss iähr Hiät genau, wat kwamm
Un dat he bi de Hand iähr namm
Un iähr gans sachte an sick trock
Un smeu iähr üm de Talje pock.
Män dat Gefeul maok iähr vö wëis,
Auk Winterdag gäww’t gar kinn Ëis:
Plasäiher wesselt aw met Läid,
Auk wenn’t so’n Föllen nao nich wäit.

Ick wünske di,
Mëin Döchterken,
Dat gantze Hiät
Vull Sunneschëin,
Un wo du
In de Naigte bis
Sall’t lecht un wahm
Un propper sëin.

Dat stait di taou,
Dat günn ick dëi,
Du bis un bliwws
Aein Däil von mëi
Mëin Döchterken!

Blindlings

Mancher ging schon
in die Irre,
weil er Weg und Steg
nicht kannte,
wenn man ihn
auch allerorten
blindlings nur
»den Führer« nannte.

Maidag

To Enne gonk de weuste Strëit,
De Himmel was blao
Un nao Hous was’t so wëit,
De Kost was so schrao
Un alls lagg in Drëit.
Un alls satt in Naut,
Wat duch sick so graut
Un alls lagg so flaut
Un jeder lagg blaut
Un mannichäin
Biättler vö Hunger nao Braut.

Häwt wi vergiätten

All Bomben un Daut?

Häwt wi vergiätten,

Dat Blout flütt so raut?

Häwt wi vergiätten,

Dat Biätterunk kwamm,

Äs us de Härgott

De Stricke awwnamm?

Häss Du’t vergiätten

Un glöwws Du tolest,

Dat jeder von us

Wöhr dat Wunner söwst west?

Düch us de Tëid
Nou all so wëit,
Dat wi de wäihen Hiätten
Un bi dat gude Iätten
Häwt Läid un Pëin vergiätten,
Weck lang häwt bi us siätten?

Us düch :
Bi üöwerflaut giww’t Iägernis,
Wenn nicks mähr gutt naoug fö us is,
Wo Du ja sölwest Schuld an bis.

Auf einem Dorf
sass ein Despot,
dem niemand
mehr Paroli bot.

Der Ort verschwand
wie auch sein Name
als Folge
falscher Rücksichtnahme.

Weck denken deut,
häöllt gähn den Mund.
Wat döpper söüt,
kick up den Grund.

Schreckhaft
spür ich manches Kommen,
ehe es ein and’rer sah,
schien das Bild
zunächst verschwommen,
war es bald zum Greifen nah.

Nach der Stille
kam ein Tosen,
sanftem Säuseln folgt der Sturm
und im Feuer,
Blut und Elend
wand das Volk sich wie ein Wurm.

In der Brandung
schwankt die Barke
und zerschellte an dem Riff,
da der Mensch
von heutzutage
Wind und Wetter nicht begriff.

Wenn äiner in de Politik
So abslout anners denkt äs ick,
Dann kuhmt wi nich in’t Raine,
Wëil ick’t jä anners maine.

Daoch kwämm de annere in Naut
Un hät nicks mähr un wöhr gans blaut,
So dähr mi nicks nich hinnern,
Sëin Läid gans still to linnern.

In den ausgetret’nen Bahnen
läuft mehr weiter
als wir ahnen,
denn Reformen
finden wir
häufig nur
auf dem Papier.

– Die Fahne hoch! –

Sie tun, als wäre nichts gewesen,
Sie sind so unschuldsvoll und rein
Kein Kind, kein Engel ist so rein –
Und handeln doktrinäre Thesen
Beim nächsten Ablasskrämer ein.

Sie halten sich für unentbehrlich,
Sie sind gewitzt, gewandt und fit,
Doch ihr Verhalten ist nicht ehrlich,
Als Wechselfieber höchst gefährlich,
Drum impft zum Schutz Euch im Beritt,
Sonst trabt der alte braune Würger
Getarnt als braver Bundesbürger

als böser Geist
und reichlich dreist

In Euren Reihen mit.

Wohin wir blicken, sehen wir,
Dass alte Kämpfer sich
Schon wieder an die Spitze schieben.
Wo sind denn Reue, Vorsatz, Buße
Bei uns in Stadt und Land geblieben?
Wir schämen uns.

Wir schämen uns
Der vielen, faden Witze,
Die man in Bonn und anderswo
So ungeniert vom Stapel lässt,
Dass ich vor dem, was kommt,
Schon wieder Blut und Wasser schwitze.

Wir schämen uns,
Wir sind bedient
Von damals noch
Und doch –

Hat uns’re Rechnung wieder schon
Ein grosses Loch,
Das ich als Rune des Versagens
In unser eig’nes deutsches Kerbholz ritze,
Indes ich tafelnd gleich den And’ren auch
Am wohlgedeckten Tische sitze.

– Pfingstochsen –

Man hängt sich gern honoris causa
Die Orden und die Titel an,
Weil dann – – –
So mancher Ochs’ auf mancher Weide
Dem andren imponieren kann
Und nebenbei der Kuh,
Und was tust Du?

Mich bedrängen manche Dinge,
Die Sie auch bedrücken sollten,
Wenn Sie sich um Ihre Pflichten
Ein klein wenig kümmern wollten.

Man schimpft auf hohe Steuern,
Die drücken wie noch nie.
Doch wählt man selbst den Bundestag
Und der bewilligt sie.

Gönn’ der Masse ihre Schranzen,
Die sich gern so wichtig tun,
Die jedoch im großen ganzen
Stets mehr ernten als sie pflanzen
Und verstehn sich auszuruhn.

Er redet viel
und immer lauter,
bis er den Faden ganz verlor.
Er ist und bleibt
ein kleiner Krauter
und kommt sich selbst so wichtig vor.

Wer gern
im Mittelpunkte steht
und läßt sich dort hofieren,
wird, wenn das Blättchen
sich mal dreht,
die Stellung rasch verlieren.

Blëiw bi mi

Blëiw bi mi, Här,
Wenn’t köller wätt
Un ick fank an to fraisen.

Blëiw bi mi, Här,
Wenn’k öller währ
Un in de Kindheit kwämm.

Blëiw bi mi, Här,
Wenn’t döüster is
Un ahl häwt mi velaoten.

Blëiw bi mi, Här,
Wenn’k daut gaohn mott
Un lett mi sacht nao Hous.

Amen! Dat hett up Döütsk:
So sall dat sëin,
Un jüsso wull’k ’t wull häbben.

Dat mönsterlännske Credo

To alle Tëiden
Bliww de Här
De Anfank un dat Enne.

Ick glaiw an Aemm,
Ick huopp up Aemm,
Baig Kopp un Knaie
Bloss vö Aemm
Un faoll ganz still de Hänne.

Süss gaoh ick
Lëikout mëinen Wäg
Un laot mi nicks gefallen.
Saolang mi Patt un Brügge drägg,
Wenn’k auk von dat,
Wat gihnsëit ligg
Nicks säihe un nicks kenne,
Kann’k mi an Poht un Straoten
Bloss up den Hän verlaoten.

Sei gnädig, Herr,
Wenn mir die Stunde schlägt
Und schwer die Seele
An den Sünden trägt.
Sei gnädig, Herr!

Sei gnädig, Herr,
Wenn mir die Augen brechen
Und bleiche Lippen noch
das letzte Credo sprechen.
Sei gnädig, Herr!

Sei gnädig, Herr,
Wenn ich von hinnen gehe
Und schuldbeladen
Vor dem Richter stehe.
Sei gnädig, Herr!

In dem Sankt Laurenz
Einst geweihten Gotteshaus
Verstummte längst das Chorgebet
Zur Matutin und Terz, –

Doch träumt
In dem vergessnen Klostergarten
In jedem Frühjahr, wenn er grünt,
Ein alter Rosenstock
Noch immer
Von den weissen Mönchen,
Des sonntags,
Wenn mit Macht und Kraft
Das Credo zu ihm dringt
Vom hohen Amt.
Das gleiche Credo,
Das zur Liebe zwingt,
Zum Handeln und Bekennen,
Wie bei Laurentius,

Der stritt
Und litt
Und starb,
Damit er ewig lebe.

Wo’t denn kümp,
Wat ick spüör un feul,
Dat wäit ick mehrstëid sölwer nich.
Mi düch
Et flügg us so von wëiten an
Un stüött un stigg
Bis’t bliww
Un daip in Siäl un Hiät us ligg.

– Muorns –

De Dag fänk an,
De Sunne schinnt,
Un in de Waige
Ligg dat Kind.

Laot, Här, son bittken
Sunneschëin
Den ganzen Dag
Auk üm us sëin.
Amen.

Schlaop, Kindken, schlaop,
De Schaiper hött de Schaop
Un Vatter spielt den Daoudelsack,
De Ouher de mäck tick un tack,
Schlaop, Kindken, schlaop!

Schlaop, Kindken, schlaop
To bouten schinnt de Maon,
De Sunne is all unnergaohn
Un Mauder hätt de Ahbait daohn,
Schlaop, Kindken, schlaop!

Schlaop, Kindken, schlaop,
De Nacht is baol vöbëi,
De laiwe Här de siänge dëi
Un Hous un Hoff un alls un mëi,
Schlaop, Kindken, schlaop!

Den Urgrund allen Seins
kann man
dem Wesen nach erkennen,
wenn wir den Schöpfer Gott
auch unsern Vater nennen
und bleiben, was wir sind,
im wahrsten Sinn sein Kind.

Wenn Aousternmuon
de Sunn upgait,
kick se in’t lihge Graff
un ick
ick sinn von Hiätten fraou,
dat’k dao an glaiwen draff,
wëil dat de HÄR,
weck daut dao lagg,
stonn up
an düsen Paoskedag.

Wer Gott, den Herrn, verloren hat,
Wird flugs Sich einen Götzen suchen,
Um bald darauf mit Weh und Ach
Das Trugbild zu verfluchen.

Dat aolle Jaohr is rask vergaon
et was nao nich dat Laigste
un dährn wi ahl us gutt verstaon,
gerött us auk dat Naichste.

Glücksiälges Nëi Jaohr!

Kalendersprüche

De Gaus
Hahr all an’t Freujaohr dacht,
Martini kwamm,
Dao wohr se schlacht.

De Hahn, de menn,
Sëin harret Kraihen
Dähr auk de Konkurrenz
Wull fraien.

Dat Piäd
Dat hätt fö gude Kost
Nao alltëid
Därwe trecken most.

De Rüens blihkt,
Wenn wi iähr tiägt
Äs Naobers,
Weck sick nich vedriägt

Manches, was so bitter schmeckt,
Ist sicherlich vonnöten,
Sonst ging uns ja der Unterschied
Vom Süssen gänzlich flöten.

So mannich seute Kättken
dähr us wull gutt gefallen,
hährt an de Sammetpöhtkes
nich verdöüwelt scharpe Krallen.

– Le Gourmet –

Nur wer sich selbst beherrschen kann,
Bleibt seiner Sinne mächtig.
Wie köstlich schmeckt ein gutes Glas,
Geniest man es bedächtig.

Wir glauben alles, was wir lesen,
wir sind im Denken, ach, so schwach,
es ist schon immer so gewesen,
wer wenig denkt, liebt lauten Krach.

Er sieht in ihr die Helena
Und sie in ihm Apoll,
Das Trugbild narrt die Wirklichkeit,
Sie sind nur liebestoll.

Wer völlig aus dem Takte kommt,
weil ihn der Deubel ritt,
der stört die ganze Kompagnie
durch seinen falschen Tritt.

Bi’t Friggen
Saoh de junge Mann
De Däöhn (= die Dorne)
Fö äin Vigeulken an.

De Vugel,
De hahr Kuckuck seggt,
Dao was sëin Ei
All lange leggt.

Dat Löüt,
Dat gräin in stëiwen Staot,
Up iähren Bröüm
Was kinn Verlaot.

Dat junge Haouhn
Glaoww sick verraott,
Dao hahr et
Kleine Iänn outbrott.

Was in der Stille geschieht,
läßt sich vom Lauten nicht stören.
Wer in die Einsamkeit flieht,
lernt auf das Leise zu hören.

Der Anfang trägt die Last.
Was folgt hat den Gewinn.
Mir kommt bei jedem Werk
Der Gründer in den Sinn.

Was du im Kleinen nicht magst,
wird dir im großen mißlingen.
Immer und überall
Must du die Unmut bezwingen.

Wer nur noch kommandieren will
und denkt nicht an das Dienen,
der nehm’ zum Vorbild sich den Staat
von Ameisen und Bienen.

Manche Reden ziehen sich
ungebührlich in die Länge,
doch die Logik kommt dabei
unversehens in’s Gedränge.

Es sprach die Überheblichkeit
aus allen seinen Zügen:
Er war ein Meister in dem Fach
sich selber zu betrügen.

Wer eigne Wege geht
Und aus der Masse ragt,
Macht sich bald unbeliebt,
Weil er zu denken wagt.

Alle sind nun Demokraten,
Schwarz und rot und gold drapiert,
Und so manche braune Weste
Wird geschickt kaschierte

Mich erquickt die Poesie,
Die dich auch beglücken müßte,
Wenn Dich schon vor Sonnenaufgang
Einmal zart die Muse küßte.

In der Stille wandeln sich
Oftmals die Gedanken.
Wenn der Geist zur Ruhe kommt,
öffnen sich die Schranken.

Weck
Üöwer Schwäit un Schwiëlen stühnt,
Is mähr äs foul:
De is verwühnt.

Was man allzu lang bebrütet,
Ähnelt oft dem faulen Ei,
Das die Henne ängstlich hütet,
Bis es stinkend bricht entzwei.

Laß Dich in kein Schema pressen,
Bleib’, wer Du im Grunde bist,
Tue was Dir angemessen
Und was recht und nützlich ist.

Wenn’t Iärten anbrennt
In den Pott,
Dann hätt de Kuork
To harre bott.

Dat Freuhjaohr kümp,
De Welt is scheun,
Män Winterdags
Is nicks mähr greun.

Met Kwahkeln, Bousken,
Strauh un Brahken
Kanns du viel Qualm
Bi’t Föüer maken.

Weck Welt un Mensken
Richtig kennt,
Söüt auk den Qualm
Wo’t Föüer brennt.

Dat Foulwanss
Schlaip den häilen Dag
Un wohr
Tor Iärtenstëit bloss wach.

Wenn dat nich buottern will
Bi’t Friggen,
Sall’t wull
An alle baide liggen.

Weck upstait
Ähr de Arbeit röpp,
Wäit auk,
Dat he sick nich verschläöpp.

Se Söüper sägg:
„Ick sall di wull!“
Dao gaut he sick
De Struotte vull.

De Kaupmann
Fonk to riäcken an,
Et stimmer nich:
Dao gaff he’t dran.

Köüken, Kalwer,
Blagen, Föllen
Sind manks drëister
Äs se’t söllen.

De Motor,
Weck de Klocken lütt,
Wäit nicks daovon,
Wat dat bedütt.

Wo Giärst un Hawer
Wössig stonn,
Gafft äin,
Weck’t Koan auk säien konn.

De Mous
Versaup in’t Pihkelfatt,
Wat hätt se
Von dat Fläisk nou hatt?

Zeus schrie heftig nach der Hera,
Doch er wurde nicht erhört,
Weil das überlaute Werben
Jeden zarten Trieb zerstört.

De Fisk, de schwemmt,
De Vugel flügg,
Un alls, wat staohn bliff,
Gait baol trügg.

Dat Gräss is greun
Un Disseln stiäkt,
Manks ähr,
Äs dat’t de Mensken miärkt.

De Kutsker
Is to hännig fuott,
Drüm is he
Von den Buck auk stuott.

De Lucht
Is reine, Gott sëi Dank,
De Mensk alläin
Mäck den Gestank.

Gesunnet Water
Flütt so klaor.
Wi meuken’t äösig:
Nou is’t raor.

De Ihsel
De hahr I-A roppt
Un dao met bloss
Den Mensken foppt.

To’t Iätten was se us
To schad.
Dann wohr se muok,
Nou is’t to lat.

De Paohgelhahn
De schlaoug nao’n Ratt,
Ähr äs de Voss
Ämm pock un fratt.

Auk hatte Nühte
Sind to knacken,
Wäis du’t män
Richtig antopacken.

Der eine ist bescheiden,
Der andre macht viel Wind,
Und auf den fetten Weiden
Brüll’n Bulle, Kalb und Rind.

De Kugel rullt
Un gonk daotihgen
Un selten driäpt wi
Alle Nihgen.

Nachwort

Die Manuskripte, die im Kreismuseum Warendorf aufbewahrt werden, bilden die Grundlage dieses Lesebuches. Die Texte habe ich nach literarischen Kriterien ausgewählt.
Rottendorf war ein Vielschreiber – manchmal zu Lasten der Qualität – mit ausgeprägter pädagogischer Neigung. Der Doppelpunkt, der in mehreren Texten auftaucht, ist typisch für ihn: er möchte sich in einem Nachklapp vergewissern, dass der Leser sein Anliegen auch wirklich versteht.
Es wurde bewusst darauf verzichtet, eine hochdeutsche und eine plattdeutsche Abteilung zu bilden, da Rottendorf in beiden Sprachen zu Hause ist; er hatte zwei „Muttersprachen“ und äußert sich auch gleichzeitig in beiden.
Die plattdeutschen Texte haben ihre besondere Qualität darin, dass sie authentisch sind. Wenn Rottendorf konkrete Anlässe, Begebenheiten, Beobachtungen reflektiert, wenn er wirkliche Orte, Personen, Typen beschreibt und sich im ungekünstelten Niederdeutsch bewegt, zeigt er seine besonderen Originalitäten.
Beim Studium der Texte entstand im Laufe der Arbeit aus vielen Mosaiksteinchen das schillernde Bild einer – auch widersprüchlichen – Persönlichkeit, die man nicht in einem kurzen Satz beschreiben kann.
Verblüffend ist einerseits die klare Analyse der Realität, der Umwelt, des Gebarens seiner Mitmenschen – andererseits aber die Nähe zum Gefühlsbetonten, zum Heimat-Idyll, zur Schollen-Romantik; allerdings – wenn es allzu gefühlig wird, kontert er mit seiner lapidaren, lakonischen Art und versteckter Ironie.
Im Werk Rottendorfs gibt es eine besondere Spezialität, die Vierzeiler. Ich habe einige davon im Kapitel „52 Kalendersprüche“ gesammelt.
Die (Recht-)Schreibung der Texte ist unverändert übernommen; eine allgemeingültige Norm für Plattdeutsch, die allen Dialekten gerecht würde, gibt es ohnehin nicht.
Ich bedanke mich an dieser Stelle besonders bei Herrn Dr. Claus Fernbach – ehemaliger Geschäftsführer der Rottendorf Unternehmen – für seine Hinweise und Anregungen.

Heinrich Schürmann

Hochdeutsche Texte

Am Rande (1959)

Die bunten Bänder des Richtkranzes flatterten fröhlich im säuselnden Wind. Dann dauerte es aber noch eine ganze Weile, bis emsige und saubere Handwerker, die auch einige lässige und säumige Pfuscher mit durchschleppen mußten, ihre Arbeit beendet hatten und von resoluten, handfesten Scheuerfrauen abgelöst wurden. Schließlich und endlich war es soweit.
Stadtdirektor, Bürgermeister, Baurat und Schulleiter belobten sich gegenseitig, als man die Bildungsstätte ihrem Verwendungszweck übergab.
Bei den langatmigen, nichtssagenden, schablonenhaften Reden wurde
des Bürgermeisters siebenmal,
des Schulleiters sechsmal,
des Stadtdirektors fünf- und
des Baurates viermal
Erwähnung getan.
In weitem Abstand – ferner liefen – gedachte ein Schwätzer je einmal des katholischen und des evangelischen Pfarrers. Man konnte sie nicht gut ganz unter den Tisch fallen lassen, denn sie wurden für die Komplettierung des Zeremoniells benötigt.
Ein Rabbiner war nicht anwesend.
Es gab hier keinen mehr.
Alle Juden waren längst vergast.
Ich legte die Zeitung beiseite, in der die Ansprachen mit allem Drum und Dran breitgetreten wurden.
Ich hatte einen bitteren, adstringierenden Geschmack auf der Zunge.
Den Arbeitern, Bauern und Bürgern hatte kein Wort des Dankes und keine Silbe der Anerkennung gegolten. Warum denn auch?
Sie hatten ja nur mit der Entrichtung ihrer sauer verdienten Steuergroschen den Bau ermöglicht und alle Kosten und Lasten getragen.
Wie immer.
Und den schlechten Geschmack im Munde werde ich auch nicht los.

Leipzig 1952, nach dem zweiten Weltkrieg
„Wir sind ein Herz und eine Seele und ein typisches praktisches Beispiel echter, friedlicher Co-Existenz“, sprach die Riesenschlange zu ihren Mund und Nase aufsperrenden, hypnotisierten und willenlos gewordenen Zuschauern.
Das gefräßige, giftige Ungeheuer hatte sich nämlich gerade ein furchtsames Kaninchen einverleibt.
Die fortschrittliche Presse behauptet allerdings unisono steif und fest, das Karnickel hätte immer wieder inständigst darum gebeten, von der Kobra aufgefressen zu werden.

Im Geiste sehe ich dies Monument eines stillen Dulders immer wieder vor mir. Es verläßt mich nie. Im Laufe der Jahre ist es ein Teil meines Gewissens geworden.
Im bitterkalten Winter 1941/42 wurden die Kriegsgefangenen von der Krim über Simferopol – Sarabus – Kurman Kemeltschi – über die Landenge von Perekop – Armjansk in die Ukraine geschleust. Immer in Marschkolonnen zu 500 Mann. Immer mit einer Stunde, das heißt fünf Kilometer Abstand. Tag für Tag, Woche für Woche. Immer nordwärts, immer weiter in die Steppe. Bewachung: ein Unteroffizier und zwölf Mann. Dazu zwei landesübliche Fahrzeuge für Verpflegung und Marode. Und es gab viele Marode, abgekämpfte, zerlumpte, ausgehungerte und fast barfüßige Bilder des Jammers. Wer liegen bleibt, bleibt liegen; nur wenn er Glück hat, nimmt ihn der Marodenwagen mit, sonst – ja sonst mochte Gott seiner Seele gnädig sein.
Alexei Konstantinowitsch war so müde. Der starke, trockene Frost hatte ihn so schläfrig gemacht. Und bei der ersten Rast unweit von Sarabus setzte er sich mit zwei Kameraden auf ein steinernes Brückengeländer, verzehrte ein Stückchen hartes, schwarzes Brot und schlief ein. Zwei Kolkraben flogen vorbei, er sah sie nicht mehr. Er sah auch nicht mehr die weite, weite weiße Steppe, in die er marschieren sollte, und das Jaila-Gebirge, hinter dem das Schwarze Meer brandete. Das Jaila-Gebirge hatte er durchquert, und über das Meer war er auf die wundersame Insel gekommen. Er träumte von seiner lieben, guten Mutter in der Ferne und von der zarten, sanften Rajah, die er heiraten wollte. Als der Aufbruch begann, versuchten ihn die beiden Kameraden mit harten Püffen und durch lautes Schreien zu wecken. Vergebens. Die Wachtposten aber bemerkten ihn nicht, sie hatten kurz vor dem Abmarsch Feldpost bekommen, und der Inhalt der Briefe und der Liebesgabenpäckchen interessierte sie mehr als ein einzelner Kriegsgefangener.
So war es gekommen, daß Alexei Konstantinowitsch beim Aufbruch vergessen wurde und auf dem steinernen Geländer sitzen blieb, während die Kameraden weiterzogen in die Steppe nach Norden. Auch die folgenden Marschkolonnen beachteten ihn nicht, sie rasteten einige hundert Meter nordwärts, da den Wachtposten der alte Lagerplatz nicht sauber genug erschien.
Im übrigen hielten alle den unbeweglich dasitzenden Gefangenen für erfroren, für tot. Es lagen viele Tote am Marschwege, Soldaten und Frauen. Was interessierte das die Lebenden? In die erstarrte Erde konnten sie nicht gesenkt werden. Und tagsüber hielten die Krähen und Dohlen und Raben an ihnen ihr schauerliches, grausiges Mahl, und nachts zerrten die Füchse und Hunde an dem toten Gebein.
Alexei Konstantinowitsch war aber nicht tot. Er träumte von sommerlicher Wärme. Er träumte von großen, weiten Apfelgärten mit roten, blauen und grünen Früchten. Und ein Baum trug nur zwei Äpfel, und sie leuchteten silberfarben wie die Mondsichel über dem Tschatyr-Dag, dem Zeltberg. Und er fühlte das Bedürfnis, diese beiden Äpfel zu essen, er verzehrte sie, und ein nie gekanntes Gefühl des Glückes und des Sattseins kam über ihn. Das quälende Hungergefühl war von ihm gewichen. Sein ganzes Leben zog an ihm vorbei. Seine Jugend, seine Schulzeit, seine Freunde und Kameraden. Er sah sein Vaterhaus, die Kasernen, in denen er ausgebildet worden war, die Schützengräben, in denen er gelegen und alle Städte und Dörfer, durch die er marschiert war. Dann sah er, wie er eines Morgens im Tagesgrauen eine feindliche Patrouille so überlistete, daß er die drei Deutschen in Gefangenschaft abführen konnte, ohne daß ein Schuß gefallen war. Er fand Gefallen an sich selbst, so stark und stattlich erschien er sich. Bald danach geschah es, daß seine Kompanie in einen Hinterhalt geriet, es gab viele Tote und Verwundete, deren Stöhnen er jetzt deutlich wieder vernahm, und jeden Tag der Gefangenschaft erlebte er jetzt von neuem. –
Ein leichter Wind war aufgekommen, und die bleiche Mondsichel stand am Himmel. Alexei Konstantinowitsch erlebte seinen letzten Marsch, er verzehrte nochmals im Traum sein Stückchen hartes, schwarzes Brot, fühlte die Püffe der Kameraden und vernahm den Lärm des Aufbruchs. Ein leichtes Frösteln überkam ihn, und er hörte den Wind auf den Telegrafendrähten spielen. Und als er sich seinen Kameraden, die abzogen, anschließen wollte, da geschah es, daß der gütige Gott seine Seele in seine allmächtigen, ewigen Hände nahm.
Als der Morgen dämmerte, war Alexei Konstantinowitsch wirklich tot, erfroren. Der sanfte Schnee hatte graue Tupfen in seinen schwarzen Bart gezaubert und der säuselnde Wind eine Decke halbwegs über seine Füße gelegt. Aus Schnee. Als erste zog an ihm ein altes Mütterchen, eine Tartarin in wattierten, türkischen Hosen vorbei; sie erkannte ihren Sohn und ward von Trauer erfüllt. „Allah akbar,“ wisperten ihre Lippen, „sei mir gnädig am Tage des Gerichts.“ Ihr folgte eine armenische Frau in den besten Jahren, zwar abgehärmt, aber in ihren Filzstiefeln kräftig ausschreitend; sie erblickte in dem Toten ihren Mann, seufzte tief und bekreuzigte sich.
Ein kleiner Russe, keck seine viel zu weite Soldatenpelzmütze über seine Ohren gestülpt, zog seinen selbstgezimmerten Schlitten, mit Steppengras beladen, leichter Hand hinter sich her. Er erschrak, als er seines toten großen Bruders ansichtig wurde und beschleunigte seine Schritte.
Ein deutscher Hauptmann, der des Weges ritt, erschauerte, da er, den Erfrorenen betrachtend, das ganze tiefe, bittere, unmenschliche Leid erkannte und erlitt, das wir uns gegenseitig böswillig oder fahrlässig in Kriegs- und Friedenszeiten zufügen. Er stieg vom Pferde, schlang die Zügel um den rechten Arm, kniete in den weichen Schnee, faltete die Hände und betete vor dem erfrorenen Kameraden laut das Vater Unser als Abbitte für alle dem Heimgegangenen etwa von uns Deutschen zugefügte Unbill, auf daß seine Seele den Frieden und die Ruhe fände, die dem erkalteten Leibe versagt blieb.
Als der Frost nach Tagen und Wochen nachließ, senkten drei Männer den erstarrten Leichnam in die mütterliche Erde, und die ersten Strahlen der Morgensonne färbten den Schnee blutigrot.

Es ist schon ein halbes Menschenalter her, als bei mir in Berlin NW 87, Kaiserin-Augusta-Allee 4, nach ordnungsgemäßer Verabredung drei eidgenössische Industrielle erschienen. Ihre Wünsche und Absichten hatten sie in einem mustergültigen, formvollendeten Aide mémoire niedergelegt, das mir zu Beginn der Besprechung überreicht wurde. Die noblen Gesten, die Verbindlichkeit ihrer Sprache, die Klarheit und Zielstrebigkeit der Gedanken schufen in Verbindung mit einer inneren menschlichen Würde und Wärme und souveräner Gelassenheit eine Harmonie, die selbst diese zunächst rein merkantile Begegnung zu einem ästhetischen Genuß ausreifen ließen. Der jüngste meiner schweizerischen Gäste zählte neunundsiebzig Lenze. Wir beide wurden mit der Zeit so vertraut miteinander, daß ich freimütig die Gretchenfrage an ihn stellen durfte.
„Nein“, antwortete er mit männlichem Ernst, „ich glaube nicht, daß es einen persönlichen Gott gibt. Aber“, fügte er schmunzelnd hinzu, „mein Sohn ist als Theologe seit Jahren für die Baseler Mission in Afrika tätig.“

– Lukas 10, 30-37 –
Nur mühsam hielt sich der Gefangene noch auf den Beinen. Er kam nicht mehr mit. Er konnte nicht mehr. Er war völlig erschöpft. Leben oder Sterben berührten ihn kaum noch. Die Schwäche hatte ihn willenlos gemacht.
Der Wachmann stieß ihn mit dem Gewehrlauf leichthin ein paar Schritte von der staubigen Straße, daß der Gefangene stolperte und fiel. Er kam nicht mehr hoch. Er kniete auf dem braunen Lößboden und hob die ausgemergelten Arme zum Himmel, so etwa, wie es vom Alter gebeugte Mönche bei der Oration mit letzter Kraft zu tun pflegen.
Der erbarmungslose Rohling erhob sein Gewehr 98 und wollte den Wehrlosen ermorden – die Verblendung nannte es „umlegen“ –, als buchstäblich in letzter Minute ein Mann, der Macht hatte, im Pkw des Weges kommend, das beabsichtigte Verbrechen noch rechtzeitig bemerkte, das Letzte aus der klapprigen Karre herausholte und mit Stentorstimme schrie: „Sind Sie des Deubels geworden, Kerl!“
Dieser erschrak und ließ vom Opfer ab, das der Mann, der Macht hatte, mit weichen Händen auf die mütterliche Erde bettete und ihm aus der Feldflasche eine Art Kaffee einzuflößen versuchte. Dann postierte er sich am Wegesrande, schnappte sich einen landesüblichen Panjewagen und kurz darauf einen Feldgendarmen und befahl ihm: „1. Laden Sie den todkranken Gefangenen behutsam auf. 2. Bringen Sie ihn in möglichst stoßfreier Fahrt in das von hier nordwärts etwa zwei Kilometer gelegene Lazarett. 3. Melden Sie sich bei dem Stabsarzt Kaltenberg, den ich ersuchen lasse, alles Ärztlich- und Menschenmögliche zu tun, um unseren Pflegebefohlenen durchzubringen.“
Der Feldgendarm salutierte, wiederholte wortwörtlich seinen Auftrag und bekräftigte dessen sofortige Ausführung mit „Zu Befehl!“
In Wort und Haltung des Gendarmen aber lag die Sicherheit, daß die Wünsche des Mannes, der die Macht hatte, auch dem Geiste nach getreu und gewissenhaft befolgt würden.
Der Mann indessen, der so schneidend klare und scharfe Befehle formulierte und erteilte, wandte sich mit weichem, warmem Herzen wieder dem Gefangenen zu. Dieser hatte die Augen aufgeschlagen, und ein dankbares, fast überirdisches Leuchten strahlte zum Himmel und reflektierend seinem brüderlichen Retter entgegen, der sich über ihn beugte. Und die Nächstenliebe umfing den Geschundenen, der etwa 30 Jahre alt sein mochte und dessen feine Züge von so reiner Klarheit waren, daß sie zwingend an den Nazarener gemahnten, wie eine begnadete byzantinische Kunst die gottmenschliche Gestalt des Kyrios unseren Sinnen seit früher Zeit augenfällig zu machen versucht.
Als der Mann, der Macht hatte, drei Tage später seinem Schützling einen Besuch im Lazarett abstatten wollte, war er schon in Frieden heimgegangen. Das Leuchten seines Wesens jedoch hatte Ärzte und Sanitätsdienstgrade zu jener bemerkenswerten, tiefen Ehrfurcht erhoben, die als Vorstufe der Stille, der Sammlung und Besinnung und der Andacht gelten kann, die viele von denen so bitter nötig haben, die alltäglich mit Leib und Leben, Freud und Leid und mit Zeit und Ewigkeit handwerks- und berufsmäßig umgehen.
Der Mann, der Macht hatte, aber verhüllte sein Haupt, als er sah, daß Diener des Staates und der Kirche, des Geistes und des Wortes, die viel mehr Gewalt und Einfluß besaßen als er selbst, mit Räubern, Schindern und Mördern – wenngleich oft fahrlässig oder aus katastrophalem Differenzierungsunvermögen in unbegreiflicher Instinktlosigkeit – im Komplott waren, anstatt den Gebrechlichen und Bresthaften, den Belogenen und Betrogenen, den Überrollten und Gejagten wieder aufzuhelfen durch die alten, kraft- und saftvollen Kardinaltugenden der wehr- und standfesten Tapferkeit, der bedächtigen Klugheit, der unbestechlichen Gerechtigkeit und des weisen Maßhaltens.
Schaut den Renegaten und Pharisäern, den Volksverführern und falschen Propheten scharf auf die Finger, doch hütet Euch, ihresgleichen zu werden und um des Mammons oder der Karriere willen mit ihnen gemeinsame Sache zu machen! Vestigia terrent.

Auf einer der so rar gewordenen stillen Straßen, die den ursprünglichen Charakter der Villenkolonie Grunewald bis auf den heutigen Tag zu wahren versucht haben, traf ich auf seinem Bestellgang meinen Freund, den Briefträger Thaddäus Thymian. Postboten und Eisenbahner sind in der Regel sympathische Leute. Tagaus, tagein verrichten sie im Interesse der menschlichen Gesellschaft eine nutzbringende Tätigkeit, was von manchem anderen Beamten anzunehmen übertrieben oder gar vermessen wäre. Aber vielleicht kann das der beschränkte Untertanenverstand des Staatsbürgers gar nicht beurteilen. Wir schimpfen ja auch auf das Finanzamt, obwohl es nur die Steuern veranlagt und beitreibt, die durch das Parlament Gesetzeskraft erhielten, dessen Abgeordnete wir selbst gewählt haben.
An diesem paradiesischen Frühsommermorgen jedoch wäre es viel zu schade gewesen, über das massive Unrecht nachzudenken, dem wir so häufig hilf- und wehrlos von Kindesbeinen an samt und sonders zu meinem größten persönlichen Leidwesen ausgesetzt sind.
Gegen Morgen hatte es leicht geregnet. Die Luft war deswegen beinahe so rein und frisch wie am frühen Vormittag in einem abgelegenen märkischen Kiefernwald, dem industrielle Abgase und die mephitischen Düfte von Otto- und Dieselkraftstoff noch fremder geblieben waren als dem typischen deutschen Herrenmenschen die Fähigkeit, sich im Ausland durch konziliantes und reserviertes Benehmen beliebt zu machen.
An diesem heiteren Sommertag also traf ich Thaddäus Thymian.
„Guten Tag“, sagte ich, „guten Tag, Thaddäus!“
„Guten Tag, Popanz!“ antwortete er mit einem zwar beherrschten, aber immerhin noch verspürbaren leichten Anflug von Malaise. Auch sein Händedruck war nicht ganz so herzhaft und kräftig wie sonst. Vielleicht war ihm eine Laus über die Leber gekrochen. Vielleicht behagten ihm die ehelichen Freuden nicht mehr. Vielleicht hatte er sich auch nur die Blase erkältet. Möglicherweise gab es vielleicht aber auch gar keinen plausiblen Grund für die Störung seines Wohlbehagens. Die schlechte Laune war eben da, und manche Leute haben es durch mangelnde Selbstzucht, grobe Ungezogenheit, heuchlerisches Duckmäusertum und durch nicht überbietbaren Egoismus zu einer geradezu erstaunlichen Virtuosität gebracht, sich selbst und anderen die kurzen Tage dieses Daseins zum Fegefeuer zu machen. Zu dieser Sorte übler Zeitgenossen gehörte Thaddäus Thymian jedoch nicht. Nein, ganz im Gegenteil und auch durch die Tatsache, daß er sonst allenthalben eigentlich nach dem behelfsmäßigen Berliner Personalausweis auf den weniger klangvoll lautenden Namen Tübbicke, Friedrich Wilhelm Tübbicke, geboren am 14. November 1898 zu Wendisch-Kotzebandt in der Mark, hörte, erfuhr seine allgemeine Beliebtheit keinerlei Minderung.
Was mich betrifft, so gehöre ich vermutlich zu den skurrilen, knorrigen, abseitigen, obsoleten und im zwanzigsten Jahrhundert immer tiefer ins Hintertreffen geratenen Naturen, die Wichtigtuerei für lächerlich, Klassen- und Standesdünkel für kindisch und angeberischen Geltungsdrang für schizophren halten. In Schema und Schablone wittere ich Boten und Begleiter eines rapiden Abstiegs, während mir aus dem Urwüchsigen und Ursprünglichen das Lebfrische und Vitale rau und wurzelecht so gesund entgegenwehen, wie immer, wenn ich den Mann traf, der Zahlungsbefehle und Liebesbriefe, Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse, Geburts- und Todesanzeigen, viel zu hohe Rechnungen und raubrittermäßige Steuerveranlagungen, weitschweifige Gazetten und anderes gänzlich überflüssiges Gehabe mit Verlobungs- und Vermählungsanzeigen und ähnlichen wilden Bocksprüngen willkürlich durchsetzt, den oft bedauernswerten Empfängern mit stoischer Gelassenheit und klassischem Gleichmut zustellte.
„Das dürfte ihm auch nicht schwerfallen“, werden Sie möglicherweise einwerfen, „denn der Inhalt aller papierner Sendungen geht den Überbringer ja gar nichts an, da er ihn ja nicht betrifft, ja er darf ihn nicht einmal interessieren!“
Ich muß Ihnen natürlich Recht geben, aber es scheint, als wenn ein ziemlich hoher Prozentsatz der weiblichen und männlichen Repräsentanten jeden Alters und aller Stände und Berufe sich unbefugt aus purer Neugier, krankhafter Klatschsucht oder hundsgemeiner Bosheit lieber mit dem privaten Tun und Treiben seiner Mitmenschen befaßt als mit seinen eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten. Vielleicht beziehen jene, die es angeht, hohe Gehälter, und sie haben sonst und außerdem nichts oder fast gar nichts zu tun, vielleicht wissen sie auch mit sich selbst und mit ihrer reichlich bemessenen freien Zeit nichts Gescheites anzufangen. Hohlheit und Müßiggang führten immer noch auf verderbliche Abwege.
Dies vorausgeschickt und mehr oder weniger treffend bemerkt, konnte nach meiner Ansicht nur der Name Thaddäus Thymian dem wahren inneren Wert und dem wirklichen Wesen unseres Freundes einigermaßen gerecht werden. Jede Begegnung mit ihm stärkte in mir die Richtigkeit meiner Annahme, bis sie schließlich eine durch nichts mehr zu erschütternde Überzeugungskraft gewann. Natürlich war ich mir völlig klar darüber, daß die Masse, die alles nachzuäffen, nachzuplappern und zu profanieren pflegt, meinen Thaddäus Thymian verkannte und ihn mit einem anderen, vielleicht sogar fiktiven Namen apostrophierte. Aus einem Wasserstrahl wurde der Fabeldichter La Fontaine, aus Arouet Voltaire, Uljanow nannte sich Lenin, Dschugaschwili Stalin, Schicklgruber Hitler, und bis vor kurzem lebte auf der Rugge-Straße im westfälischen, vielleicht früher einmal etwas windigen Wiegbold Oelde, – sonst gleichermaßen ausgezeichnet durch die Schönheit seiner Lage, seiner lauschigen Stiegen, gepflegten Häuser und Gärten wie durch den Ordnungssinn und den Gewerbefleiß seiner Bürger – ein biederer Drechslermeister, Georg Eselgrimm benamset. Haben Sie schon einmal einen grimmigen Esel gesehen oder etwas Verläßliches von ihm gehört? Ich nicht und Sie auch nicht.
Der Mann und seine Sippe hießen aber auch gar nicht Eselgrimm, sondern hörten von Rechts wegen auf den ebenso einprägsamen wie wohlklingenden Namen Isegrim, was, wie Sie wissen, so viel wie Wolf bedeutet. Der beamtete Schreiber, der vor etlichen hundert Jahren das erste Namensmatrikel mehr schlecht als recht anlegte, kannte weder den Reineke Voss, noch hielt er es für nötig, dem Volke aufs Maul zu schauen, um mit Martin Luther zu sprechen, und wie es seine Amtspflicht gewesen wäre.
Auf jeden Fall tragen – seit einem halben Jahrtausend oder länger – Generationen von Eselgrimms zu Unrecht ihren durch besagten Federfuchser verschuldeten und verbalhornten falschen Namen, der aus dem Wolf einen Esel macht, und – bitte mit einer Atempause als gehörigem Flankierbaum zwischen zwei langohrigen Artgenossen – den letzten echten und rechten Schulten zu Ennigerloh nennen und kennen die Mehrsten nur unter dem Namen Rottendorf.
Wissen wir überhaupt, wer und was wir sind?
Wissen wir, ob wir den richtigen, angemessenen und zutreffenden Namen tragen?
Die dickliche Metzgersfrau und die ranke, bildhübsche Verkäuferin im Bäckerladen nebenan reden uns gleichermaßen mit „Herr“ an. Sind wir denn etwa wenigstens Herr über uns selbst? Wer kennt sich zudem – wenn auch nur ganz oberflächlich – in sich selbst hundertprozentig aus? Ich nicht, Sie etwa?
Mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit darf das wohl verneint werden, denn unsere Kritiklosigkeit den Menschen, den Dingen und uns selbst gegenüber läßt felsenfest zu stehen scheinen, was tatsächlich objektiv höchst fragwürdig und mürbe ist, während unsere Kurzsichtigkeit die klarsten und markantesten Konturen wenn überhaupt, so doch nur ganz verschwommen erkennen kann.
Nachdem mir Thaddäus Thymian an einem einzigen Tage dreimal über den Weg gelaufen war, nahm ich mir fest vor, bei nächster sich bietender Gelegenheit das längst fällige klärende Gespräch mit dem Stephansjünger zu führen. Es verlief wie folgt:
Ich, etwas zaghaft: „Guten Morgen! Verzeihen Sie bitte, sind Sie nicht Thaddäus Thymian?“
Er, schroff: „Nein!“
Ich: „Schade.“
Er: „Warum?“
Ich, beherzt: „Ich glaubte immer, daß Sie es wären. Wollen wir es nicht dabei belassen?“
Er: „Glänzend! Sie kommen meinen geheimsten Wünschen weit entgegen. Ich mußte mir nämlich immer schon auf die Zunge beißen, daß ich Sie nicht mit General titulierte, wenn ich Sie sah. Und das passierte häufiger, als es mir lieb war. Machen wir also ein Gegengeschäft. Sie nennen mich meinethalben Thaddäus Thymian und ich Sie General.“
Ich: „Aber entschuldigen Sie gütigst, das bin ich ja in meinem Leben nie gewesen.“
Er: „Stolpern wir nicht über derlei Zwirnsfäden! Sie ahnen ja gar nicht, wieviel Leute Rang und Titel tragen, die ihnen auch bei allem Wohlwollen und bei größter Nachsicht für Menschliches Allzumenschliches selbst dann nicht zukommen, wenn man in franziskanischer Bedürfnislosigkeit auf jeglichen Komfort verzichtet. Übrigens sehen Sie genau so aus, wie ich mir einen General immer vorgestellt habe.“
Ich: „So verkalkt?“
Er: „Nein, so vertrottelt.“
Ich: „Was im Grunde genommen ein und dasselbe ist.“
Er, leicht indigniert: „Das weiß ich auch, aber ich bediene mich dieser feinen Nuancen gewissermaßen als Ausgleich und Prellbock gegen die Brutalität der Vermassung, der wir täglich allerorts ausgesetzt sind.“
Ich, überspielt: „Sie sind scharfsinnig und offenherzig. Sie gefallen mir.“
Er, hintergründig und etwas zweideutig: „Sie mir auch.“
Wir schüttelten uns lachend die Hand, und das Gentleman’s Agreement war rechtskräftig geworden.
„Auf Wiedersehen, Thaddäus Thymian,“ sagte ich. „Waidmannsheil, General,“ antwortete er. (…)
Der ganze Kram unserer wetterwendischen Unlogik paßte mir eines Tages nicht mehr. Verzeihen Sie bitte, aber ich hatte den Kanal restlos voll und beschloß, mit Krieg und Kommiß, mit Raketen und Generalen endlich einmal definitiv Schluß zu machen und damit schlagartig und energiegeladen bei mir selbst sofort anzufangen.
Gesagt, getan.
Die grüne, etwas altersschwache und wackelige Bank, die im lauschigen, zeitweilig noch so angenehm stillen Hasensprung neben der Brücke steht, auf deren Brüstung sich zwei steinerne Mümmelmänner im flotten Tempo begegnen, denen die rüdige Hand böser Buben die in der Natur so possierlich wirkende, neckische Blume arg gestutzt hat, diese besagte grüne, etwas wackelige Bank wurde nach dem üblichen „How do You do?“ Zeugin des hier wiedergegebenen Zwiegesprächs.
Ich, etwas abrupt: „Das mit dem General paßt mir nicht mehr, denn
1. bin ich nur kümmerlicher Stabsoffizier gewesen, und
2. ist mir jeder Titel überhaupt und in der Seele zuwider.“
3. Thaddäus Thymian ungehalten: „Mir ist mitunter das ganze Dasein contre coeur, aber abgemacht ist abgemacht, und außerdem haben Sie an einem einzigen Wochentag im Kriege mit mehr Generalen zu tun gehabt als ich in meinem ganzen Leben mit Lavendel, Myrth’ und Thymian. Trotzdem bin ich weiterhin mit Thaddäus Thymian einverstanden. Ich hätte auch nichts gegen meinethalben Tobias Tatzelwurm einzuwenden, wenn Sie mich damals darum gebeten hätten.“
Ich, einlenkend: „Ich habe viele Fehler. Einer von ihnen ist meine übergroße Gewissenhaftigkeit. Selbstverständlich kann unsere Absprache, wenn überhaupt, dann nur im beiderseitigen Einvernehmen eine zeitgemäße Anpassung an die geänderten Verhältnisse erfahren. Eine etwaige Abwandlung dürfte jedoch keinesfalls gegen Sinn und Absicht unserer ursprünglichen Abmachung verstoßen.“
Thaddäus Thymian, schon freundlicher: „Ich freue mich, daß Sie nicht wie der Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg einen Vertrag für einen Fetzen Papier halten.“
Ich: „Wie wollen wir verbleiben?“
Thaddäus Thymian: „Von mir aus überhaupt nicht. Der General gefällt und genügt mir vollauf, und wenn Sie mir den Spaß nicht ganz verderben wollen, müssen Sie schon etwas Besseres und Prägnanteres mit zwei, höchstens drei Silben vorschlagen. Dann werden wir sehen, was sich tun läßt.“
Ich: „Wollen Sie mir bei der Suche nicht helfen?“
Thaddäus Thymian: „Das nennt man dreist und gottesfürchtig. Ich will mir die Sache durch den Kopf gehen lassen.“
Ich: „Vielen, vielen Dank! Wann darf ich Sie wiedersehen?“ Thaddäus Thymian: „In drei Tagen, zur gleichen Zeit hier im Hasensprung.“
„D’accord“ sagte ich, „O. K.“ bekräftigte Thaddäus Thymian, und beschlossen wurde unser Treffen mit einem vernehmlichen „Charascho“, denn schließlich ist ja Berlin kein verträumtes und verwunschenes Bierdorf, sondern eine Viersektorenstadt, geplagt, ausgeblutet und zerschunden, jedoch voll freiheitlichen Selbstbehauptungswillens.
Nach drei Tagen auf derselben grünen, etwas wackeligen Bank neben der Hasensprungbrücke:
Thaddäus Thymian: „Mir ist noch nichts Gescheites eingefallen.“
Ich: „Das geht mir schon seit langen Jahren so. Das fällt heutzutage niemandem mehr auf.“
Thaddäus Thymian, das Gesagte überhörend: „Zuerst dachte ich, Gefreiter, dreisilbig, wäre vielleicht ganz passend, aber dann sah ich plötzlich alles braun in braun, und mir wurde speiübel. Dann schoß mir Stabschef mit zwei Silben durch mein überstrapaziertes Gehirn, jedoch wegen Röhm und allen – gelinde gesagt – Unziemlichkeiten drum und dran kam auch dieser Geistesblitz bei mir nicht zum Zuge.“
Ich: „Das ist mir auch viel lieber. Wir wollen überhaupt das anständige alte Kommiß und erst recht die sehr unterschiedlich zu beurteilenden braunen und schwarzen halbmilitärischen Verbände aus dem Spiel lassen.“
Thaddäus Thymian: „Daher hatte ich auch schon den allerdings wieder dreisilbigen Minister in Betracht gezogen. Einige Bedenken hätte ich vielleicht überwunden, wenngleich manchem Minister völlig entfallen zu sein scheint – oder hat er es nie gewußt? –, daß Minister die lateinische Übersetzung des gutdeutschen Wortes Diener ist. Bismarck nannte sich noch mit Stolz den Diener seines Herrn. Das ist etwa siebzig Jahre her, und heute sind die freien Männer Domestiken eines überdimensional aufgeblähten Staatsapparates geworden, der von der Ministerialbürokratie beherrscht wird. Und da man mit dem Pfunde nicht mehr wucherte und das Scherflein der Witwe mit vollen Händen bedenkenlos vertat, behaftete die rächende Nemesis alle jene vom Volke beauftragten rechtskundigen und -unkundigen Stadt- und Staatsschreiber, die träge und selbstsüchtig vergaßen, daß sie zum sparsamen, bescheidenen und uneigennützigen Dienste am Ganzen engagiert sind, mit einer typischen Berufskrankheit: Sie bekommen den Star.“
Ich: „Einen Vogel?“
Thaddäus Thymian: „Das wäre nichts Besonderes, nichts ausgesprochen Ministerhaftes, denn einen Vogel haben wir doch mehr oder weniger alle als untrügliches Symptom der Entartung einer dekadenten Zivilisation. Nein, nein, das ist es nicht, es ist viel, viel schlimmer, wenn zum Beispiel schon der Leiter der Verwaltung einer in jeder Beziehung unbedeutenden Kleinstadt, der sich hoffärtig und stolz Stadtdirektor nennt, mit fast völliger Blindheit geschlagen wird, daß seine Augen jegliche Akkomodationsfähigkeit verlieren.“
Ich: „Wie äußert sich dieser krankhafte Zustand denn?“
Thaddäus Thymian: „Die Infizierten sehen sich selbst in doppelter Überlebensgröße, halten schematischen Bürokram für hohe staatsmännische Kunst und schauen auf ihre nähere und weitere Umgebung mit Nonchalance oder gar Mißachtung herab.“
Ich: „Fällt das denn niemandem mehr auf?“
Thaddäus Thymian: „Schau tiefer, sagt Gautama Buddha! Der billige Jakob berufsmäßiger Meinungsmacherei pflegt unsere sündhafte Gleichgültigkeit gegen himmelschreiendes Unrecht, gegen Raub, Mord, Diebstahl, Plünderung und Totschlag als von der Vorsehung zugelassen oder gar von Gott gewollt zu bezeichnen, wenn die Verbrechen von Amts wegen befohlen werden. Wir dulden sie, wir wehren uns nicht und brüsten uns im gleichen Atemzuge unseres freien Willens und unseres technischen Fortschritts. Dabei denke ich nicht einmal an die verkommenen Subjekte, asozialen Elemente und Gewaltverbrecher, die Beispiel und Vorbild einer unsittlichen Regierung oder Behörde – auf Rotwelsch gesagt – als treffliche Annonce ansehen.“
Ich: „Was Sie hier ausführen, klingt mir zu pessimistisch.“ Thaddäus Thymian: „Ich wollte und wünschte, Sie hätten Recht. Aber bedenken Sie bitte, daß Deutschland es fertiggebracht hat, in einer einzigen Generation, nämlich innerhalb von dreißig Jahren, zwei Weltkriege zu verlieren, den ersten mit Pauken und Trompeten und den zweiten mit Eichenlaub und Schwertern und zu Pferde. Glauben Sie vielleicht, ich hätte Lust, in einen dritten hineinzuschliddern?“
Ich: „Mir – und ich glaube auch vielen anderen – wäre es erwünscht, wenn die auswärtige Politik bald von einem Vereinten Europa gemacht und gesteuert würde. Seit Bismarcks Zeiten haben wir einen échec nach dem anderen erlitten.“
Thaddäus Thymian: „Sie kennen doch das kleine Malheurchen aus der Wilhelmstraße?“
Ich: „Nein!“
Thaddäus Thymian: „Ein Fräulein vom Auswärtigen Amt hatte ein Kind bekommen. Das ist bis heute das Einzige, was dort Hand und Fuß hatte und innerhalb von neun Monaten fertig wurde.“
Ich: „Nur in der Wilhelmstraße oder vielleicht auch in Bonn?“
Thaddäus Thymian: „Denken Sie an Jagow: Ich warne Neugierige!“
Ich: „Haben Sie Angst?“
Thaddäus Thymian: „Nein, ich handle ja in Wahrnehmung berechtigter Interessen, denn für das Versagen der Regierung mußte immer das Volk geradestehen, und daß ich zum Volk gehöre, wird von niemandem ernstlich bestritten werden können.“
Ich, ganz aufgeregt herausplatzend: „Ich hab’s: – Popanz – zwei Silben – keine Widerrede!“
Thaddäus Thymian, freudig erregt und hell begeistert: „Bravo, General Popanz!“
Ich: „Keine Anzüglichkeiten bitte.“
Thaddäus Thymian: „Dann Doktor Popanz.“
Ich: „Lassen wir das, es wäre ebenso ungehörig wie unpassend. Der Doktor ist bei dem zweibeinigen (Human-) und beim vierbeinigen (Vet.-) Mediziner zur Berufsbezeichnung geworden, gleichgültig, ob er promoviert hat oder nicht. Die ehrenwerten Vertreter aller anderen Fakultäten sollten jedoch aus Takt und Anstand ihren etwaigen akademischen Grad, wenn überhaupt, dann hinter ihren Familiennamen setzen, wie dies die konservativen Angelsachsen auch heute noch tun und wie es im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation Jahrhunderte hindurch zum selbstverständlichen guten Ton gehörte.
Ein Angehöriger meines Hauses, der Kaiserliche Pfalzgraf Bernhard Rottendorff[1], besaß Brief und Siegel für das jus promotionis. Rottendorff war ein gesuchter Modearzt seiner Zeit und mit dem Nuntius Fabio Chigi, dem späteren Papste Alexander VII., eng befreundet, der dem angeblich berühmten und gelehrten freien Mann ein neckisches Gedicht widmete, worin er ihn nach Strich und Faden anpflaumt. Kurzum, was besagter Rottendorff von seiner eigenen Doktormacherei hielt, gab seine gequälte Seele in einem lateinischen Gedicht Luft, dessen Überschrift lautet: QUISQUE ANUS DOCTORANDUS.
Leider ist das Poem am 1. März 1943 in Berlin-Schmargendorf bei dem bis dahin schwersten Bombenangriff auf die Reichshauptstadt verbrannt, doch besitze ich noch eine niederdeutsche Übersetzung, die in unmißverständlicher Deutlichkeit und mit anatomischer Gründlichkeit die menschliche Eitelkeit, Prahlsucht und Torheit in Ursache und Wirkung zerlegt.“ Thaddäus Thymian: „Ein langer Sermon. Was ist Ihre Meinung?“
Ich: „Ich bin viel toleranter. Ich lasse jeden nach seiner eigenen Façon selig werden, die er nötig zu haben glaubt oder die ihm Spaß macht. Das Hobby darf jedoch nie so weit gehen, daß ein Doktorhütlein auf dem Kopf seines Trägers, auch wenn er nur andeutungsweise vorhanden sein sollte, jenen chronischen Dachschaden bewirkt, den das klassische Hellas als pathologische Hybris bezeichnet.
Ein Epitheton erfüllt überdies seinen Zweck nur bei einem kräftigen Substantiv, sonst steht es bemitleidenswert unselbständig und absolut bedeutungslos in der trübseligen Enge des Raumes, in der irgendwelche nennenswerte Substanz nicht mehr erkennbar ist.
Was soll man schließlich und endlich noch dazu sagen, wenn irgendein Baccalaureus oder Magister oder Lizentiat oder Doktor eine x-beliebige andere Mittelmäßigkeit mit Herr Baccalareus oder Herr Magister oder Herr Lizentiat oder Herr Doktor anredet? Das Analoge tun ja selbst in Deutschland nicht einmal die hochgelahrten Professoren, obwohl sie sonst hierzulande gern allerlei Ungereimtheiten mitmachen. Ich würde es unglaublich verbogen finden, wenn ein Kompanieoffizier den anderen in und außer Dienst mit „Herr Leutnant“ apostrophieren würde, obzwar dieser Dienstgrad beim Kaiserlichen Hofe den gleichen Rang wie den des Rates vierter Güte einnahm, während der nackte Doktor nicht mal unter „ferner liefen“ zu finden war und daher ausnahmsweise in diesem Brevier menschlicher Eitelkeiten übergangen wurde. So können – objektiv betrachtet und positiv bewertet – Hofmarschallämter und Insinuationen recht nützliche Hinweise und ungewollt effektive Vorleistungen liefern, denn wo echte menschliche Würde – die heilige Humanitas – sich selbst in der Waage und alles im Lot hält, entkleidet sich die Persönlichkeit ganz von selbst des überflüssigen Beiwerks.
Granit und Marmor brauchen keinen Anstrich. Und keinen Firnis.“
Mit „Sie Popanz!“ beendete Thaddäus Thymian kurz und bündig unsere heutige Arbeitssitzung. Wir erhoben uns von der grünen, etwas wackeligen Bank und besiegelten unsere im beiderseitigen Einvernehmen erzielte Abänderung einer bereits bestehenden Abmachung mit einem kräftigen Handschlag, der unter freien Männern einer vernünftigen Übereinkunft mehr Rechtskraft und Weihe verleiht, als jemals in den von ausgekochten Paragraphenreitern raffiniert ausgeklügelten Kontrakten und Staatsverträgen, auch unter Zuhilfenahme beliebter Vergrößerungsgläser, aufgefunden werden kann.
Um Störungen in unserem seelischen und körperlichen Wohlbefinden beseitigen zu können, muß man zunächst einmal eine richtige Diagnose zu stellen imstande sein, um dann – rerum cognoscere causas – nach Ermittlung und sicherer Erkenntnis der Ursachen die Axt an die Wurzel des Übels zu legen. Die intensive Beschäftigung mit dem scheinbar Neben-sächlichen weist oft auf die richtige Fährte und ermöglicht und schärft darüber hinaus den Blick für größere Zusammenhänge, und diese Einsicht führt todsicher zum happy end unseres Lebens, wenn wir uns ehrlich und unbefangen die ernste Frage beantworten, die ich als sechsjähriges i-Männchen im Kleinen Katechismus als erste las und die so einfach klingt und doch so vielen von uns zeitlebens Kopfschmerzen macht. Die Frage aber lautet:
WOZU SIND WIR AUF ERDEN?
Wir haben, wenn wir uns recht erinnern, keineswegs verschwiegen, daß sich bei Thaddäus Thymian anfänglich bedenkliche Symptome eines Anfluges leichter Malaise deutlich abzeichneten und für das Erregen von Mißvergnügen unter anderem ein keifendes Weib, Störungen im Urogenitaltraktus und das heute fast allgemein allerorts üblich gewordene Sich-gehen-lassen in Betracht gezogen. Zu Unrecht, denn obwohl oder vielleicht gerade deswegen, weil uns Freud und van de Velde allzeit böhmische Dörfer blieben, wurden wir sehr bald gewahr, wo der Hase im Pfeffer lag. Kerle nämlich, die wie Thaddäus Thymian noch natürlich empfinden und klar denken, meistern souverän oft die schwierigsten Situationen und machen niemandem gegenüber ein Hehl daraus, was ihnen zusagt, gleichgültig bleibt oder mißfällt, während die Verbildeten, die sich selbst so gern für die Erfinder besserer Pulversorten halten, nur widerwillig Farbe bekennen, Angst vor der eigenen Courage haben, am liebsten auch dann im breiten Strom schwimmen, selbst wenn das schon aus hygienischen Gründen völlig indiskutabel ist und, sollten sie sich einmal und ausnahmsweise zu einem Entschluß aufraffen, aus angeborener Ungeschicklichkeit oder anerzogener Instinktlosigkeit mit nachtwandlerischer Sicherheit auf das falsche Pferd setzen.
Für Thaddäus Thymian jedoch wurde ein Namensschild aus blankgeputztem, gelb glänzenden Messing zum Blech des Anstoßes. Es war mit vier massiven Haltestiften in die rechte Sandsteinsäule des hochherrschaftlichen Hausportals so fest, haltbar und akkurat eingedübelt, wie es eben bei den alten, echten Handwerksmeistern ganz selbstver-ständlich war. Die empire-ähnliche Säule, die das schmiedeeiserne, etwas knarrende Tor trug, war zum Abschluß mit einer Sphinx verunziert, deren Brustwarzen lockere Galgenvögel von Zeit zu Zeit mit einer knallroten Farbe von dem grauen Sandstein zu kontrastieren, als entspannendes Hobby ansahen. Das Messingschild aber sah so aus:

Dr. Habakuk Müller-Quasebarth
o. Professor

Thaddäus Thymian, indigniert: „Bei Null Null weiß jedes Kind, um was es sich handelt. Mit Null Punkt Professor[2] kann ich aber beim besten Willen nichts anfangen. Was bedeutet hier die Null?“
Ich, betont verbindlich: „Verzeihen Sie bitte, die Null gilt hier als ein o, o wie ordentlicher Professor.“
Thaddäus Thymian: „Wie merkwürdig, daß ich einen ordentlichen Professor für eine Null halten konnte!“
Ich: „Das ist gar nicht so absonderlich. Das tun andere kritisch denkende Leute auch. Da befinden Sie sich in guter Gesellschaft.“
Thaddäus Thymian: „Daraus mache ich mir gar nichts. Die Erfahrung lehrt, wie vorteilhaft es ist, auf jeden engeren Kontakt mit der sogenannten Hautevolee grundsätzlich zu verzichten. Sie ist verstaubt und klatschsüchtig, fade und so langweilig, daß selbst ihre chronique scandaleuse auch als Manifestation gegen die innere Unwahrhaftigkeit einer Kaste und als Protest gegen überholte, dünkelhafte Begriffe und hoffärtige Anschauungen jeglichen Reiz verloren hat.“
Ich: „Urteilen Sie nicht zu aggressiv?“
Thaddäus Thymian: „Sie halten nach den Geschehnissen der letzten fünfzig Jahre noch für angriffslüstern, was mir aus Selbsterhaltungstrieb als notwendige Skepsis erscheint. Übrigens möchte ich im Augenblick viel lieber von Ihnen wissen, aus welchem Grunde dieser Habakuk ausdrücklich hervorzuheben beliebt, daß er ein ordentlicher Professor ist. Gibt es denn so viele unordentliche Lehrer an Deutschlands hohen Schulen?“
Ich: „Das mag in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, denn in diesem speziellen Falle will sich der Messing-Blech-Schild-Besitzer nur von seinen außerordentlichen Kollegen distanzieren.“
Thaddäus Thymian: „Das ist lobenswert, weil es bescheiden ist, denn bei uns Menschen rangiert das Ungewöhnliche und das Außerordentliche vor dem Braven und Biederen und vor dem Alltäglichen und Ordentlichen.“
Ich: „Bei den Professoren gilt aber, wenn ich mich nicht irre, die umgekehrte Kleiderordnung.“
Thaddäus Thymian: „Genug davon, sonst bleibt mir noch die Spucke weg, und ich werde managerkrank. Wechseln wir das Thema!“
Ich: „Was halten Sie sonst von Quasebarth?“
Thaddäus Thymian: „Jurist ist er nicht. Der des Rechts vermeintlich Kundige hält sich wie Josef in Ägypten für mehr als seine Brüder. Das jur. hinter seinem Dr. blickt etwas snobistisch auf die cetera misera plebs academica herab. Der echte deutsche Paragraphen- und Pandektenreiter ist daran unzweifelhaft erkennbar, daß er lieber auf alle erlaubten Freuden des Lebens verzichtet, als den hohen Stand seiner Einbildung nicht vor aller Welt kündbar werden zu lassen. Vielleicht ist Habakuk ein Schmalspur-Akademiker. Die rer. pol. und ähnliche Leute machen mit Recht und wohlweislich von der Qualität ihrer Graduierung keinerlei Aufhebens.“
Ich: „Der ansprechende Vorname Habakuk verleiht auch einem nicht ganz ungewöhnlichen Familiennamen eine gewisse Eigenständigkeit.“
Thaddäus Thymian: „Zumal der Müller schon durch den Quasebarth aus der Anonymität der Masse emporgehoben würde.
A propos, wie deuten Sie den Namen Quasebarth?“
Ich: „Ganz einfach: Quasselbarth.“
Thaddäus Thymian: „Das klingt plausibel, gibt es ähnliche Beispiele?“
Ich: „Mehr als der Laie vermutet. Der primitiv undiplomatische NS-Außenminister Ribbentrop pumpte sich von einer Tante die drei kleinen Buchstaben von und gab sie als eigene Crescenz aus. Für einen Sektreisenden mag der adoptierte niedere Adel vielleicht nützlich sein, dem Mangel an Klugheit und Weitsicht eines Mannes, der die auswärtige Politik eines mittleren Staates steuern soll, hilft er nicht auf, ebenso wenig, wie auf die geistige Unabhängigkeit und Unbestechlichkeit der Parlamentsabgeordneten die Höhe der Diäten von Einfluß sein kann, auch wenn dies fälschlich behauptet wird.“
Thaddäus Thymian: „Einverstanden, aber Ribbentrop hat was dazugemogelt. Führen Sie nun noch bitte ein einprägsames Beispiel für die Weglassung von Buchstaben an, und dann machen wir für heute Schluß. Wir geraten ja sonst mit Recht in den Verdacht, selbst Quasselbärthe zu sein.“
Ich: „Mein Freund Augustin Wibbelt[3] berichtet von einem römisch-katholischen Pfarrer, der des besseren Klanges halber auf den letzten Buchstaben seines Namens, auf ein kleines, unscheinbares s wie Siegfried, verzichtete.“
Ich zückte mein Notizbuch, schrieb etwas hinein, riß das Blatt heraus, faltete es zusammen und reichte es Thaddäus Thymian. Bevor er es lesen konnte, hatte ich mich überraschend formlos und schnell von ihm verabschiedet und spornstreichs das Weite gesucht. Ich hörte nur noch ein schallendes Gelächter. Der Pfarrer hieß nämlich: – sit venia verbo[4], aber ich kann’s beim besten Willen nicht ändern – F u r t h s.

Finis coronat opus, wird der Leser denken, wenn er mich verstanden hat und ihm die Humaniora nicht fehlen.

[1] Bernhard Rottendorff (1595-1671) war Arzt in Münster, veröffentlichte verschiedene Abhandlungen über Botanik, Medizin und Geschichte; unter anderem schrieb er die Einleitung zu den Monumenta Paderbornensia Ferdinands von Fürstenberg, verfaßte auch Gedichte, war eifriger Sammler seltener Handschriften und besaß reiche Kenntnisse in der Literatur des Altertums. Mit vielen einflußreichen Männern seiner Zeit stand er in vertrautem Verkehr und war Leibarzt des Fürstbischofs Bernhard von Galen und vieler anderer regierender Fürsten.
Vgl. Driver, Frdr. Mathias, Bibliotheca Monasteriensis. Monasterii 1799, S. 125.
Lehmann, P., Aus dem Leben, dem Briefwechsel und der Büchersammlung eines Helfers der Philologen; im: Archiv für Kulturgeschichte. Band 28. (1938) S. 163-190. Geisberg, Max, Quellen zur Kunstgeschichte der Lambertikirche in Münster, Münster 1942, S. 46 und ders. Die Stadt Münster VI. S. 112. Müller, Eugen, Die Begräbnisstätten der Stadt Münster, Münster 1928, S. 23 ff. – Westfälische Zeitschrift X. S. 80; XIII. S. 291; XIV. S. 263. XXX. S. 73 u. a. Das Gedicht befindet sich unter Nummer 89 in der Antwerpener und in der Pariser Ausgabe; unter Nummer 88 in der Amsterdamer Ausgabe. (Aus: Westfälische Zeitschrift – Zeitschrift für Vaterländische Geschichte und Altertumskunde – 108. Band, 1958)

[2] Unser Zeitgenosse Habakuk Müller-Quasebarth ist ein Geschöpf der Phantasie. Eine etwaige Ähnlichkeit in bezug auf seinen Namen, seinen Charakter oder seine Eigenart ist daher rein zufällig und völlig unbeabsichtigt.

[3] Augustin Wibbelt „Der versunkene Garten“.

[4] Verzeihen Sie bitte!

– Confessio generalis –

Meine Grundhaltung ist menschlich und das ehrwürdige, urwüchsige Niederdeutsch meine Muttersprache.
Meine stille Liebe gehört den heimatlichen Wäldern, den umwallten Weiden, der blumenreichen Wiese mit ihrem quicklebendigen, glucksenden Bächlein und der braunen, unscheinbaren Ackerkrume, aus der die grüne Saat sprießt und die den sich hochreckenden, naseweisen, hohlen Halm trägt und ernährt, bis die reife, körnerreiche, fruchtschwere Ähre sich zur Erde neigend Mahd und Sense erwartet, auf daß die blinkende Pflugschar die Scholle breche und bereitmache zu neuer Saat, zu neuer Ernte, Jahr um Jahr, in ständigem Fluß und stetem Wechsel.
Ich sehne mich nach der ewigen Ruhe, und ein unstillbares Verlangen nach vollendeter Harmonie, nach weiten Horizonten und nach hohen Himmeln ist in mir von Jugend an. Geborgen fühlte ich mich auch in den Rauhen Nächten am häuslichen Herde, wo die rote Flamme loht und ihr heißer Hauch das Holz zu Asche verwandelt, ja, zu der gleichen Asche, mit der der Priester nach jeder Fastnacht den Gläubigen das Kreuz der Vergänglichkeit auf die Stirne zeichnet:
Memento homo quia pulvis es et in pulverem reverteris.
Ich aber glaube an die Auferstehung und das Leben. Vielleicht erwache ich, wenn ich sterbe. Vielleicht bin ich schon längst tot, wenn ich das Leben in vollen Zügen zu genießen vermeine.
Die Pfarrerstochter Luise Hensel, die uns das zarte „Müde bin ich, geh’ zur Ruh’“ schenkte, stammt aus Linum. Wir besuchten Luch und Dorf, Pastor und Kirche, und in der Erinnerung blieben uns haften:
Ein geschmackloses Kriegerdenkmal,
ein bordeauxrot-samtener Klingelbeutel mit
einem feinen, hellen, silbrigen Glöckchen,
das solide, wohlabgewogene Fachwerk des Dorfkruges,
und vom ältesten Kirchenbuch die erste handschriftliche
Eintragung.
Diese aber lautet:
„Nasci aegrotare est,
vivere saepe mori“,
und vorgelesen hat sie mir Carl Sonnenschein.
Ave, pia anima!

– Ein Selbstporträt –

Ich stand im Licht
und sah mich nicht,
erst gegen Abend ward mir klar,
was scheinbar
und was wirklich war.
Ein Schemen nur
glitt ohne Spur
entschwindend jäh vorbei,
und daraus macht die Eitelkeit
viel Wesens und Geschrei.
Dein Leben, Freund,
geht schnell dahin
des Wegs,
den ich gezogen bin.
Und was bleibt von uns übrig?
Ein Kind?
Ein Buch?
Ein Unternehmen?
Die Zeiten wechseln wie die Themen,
die sich der Mensch begierig stellt
auf dem Gebiet,
das er für wichtig hält.
Phantome werden zu Problemen,
doch gleicht der Schatten
schon dem Schemen,
längst eh’ der Vorhang fällt
im tragischen Theater
der leiderfüllten Welt.

Bittere Pillen (1962)

Ich sage meine Meinung,
Ob es auch deine sei,
Das mußt du frank und frei
Allein und selbst entscheiden.

Es bleibt sich einerlei,
Wer Recht hat von uns beiden,
Wenn jeder wägt und jeder wagt,
Was ihm Verstand und Wille sagt.

Ein eng begrenzter Horizont
Sich gern im Glanz des Titels sonnt;
Verlör der Mann
Indes den Titel,
Dann ständ er
Gänzlich ohne Mittel
Vor uns
In jämmerlicher Pose:
Gleichsam
In seiner – Unterhose.

Wie peinlich wär es und prekär,
Wenn hier von dir die Rede wär,
Denn störend wirken Nuditäten
Selbst bei Regierungsräten.

– Nec timide, nec temere –

Ich fürchte Knute nicht und Zar,
Und nie bin ich zu Kreuz gekrochen
Vor einem Mann,
Der mächtig war,
Auch nicht im Reich der tausend Wochen.

Doch seh ich viele krumme Rücken
Aus freien Stücken
Vor der Erbärmlichkeit sich bücken:
Dann ist die Freiheit in Gefahr,
Wenngleich manch Rindvieh
Schätzt die Nullen
Und den – Gemeindebullen.

Den echten, freien Mann
Der klar und einfach denkt
Und der nur Gott gehorsam ist
Und dem Gewissen,
Wird man
In absehbarer Zeit
In Stadt und Land und allerorts
Sehr schmerzlich oft vermissen,
Wenn weiter wir
Im Alltagsleben
Um des Profites willen
Der eignen Meinung
Keinen Ausdruck geben
Und stoßen in das gleiche Horn
Wie es die Mehrheit tut,
Die immer mit den Wölfen heult.

– Die Verantwortungslosigkeit –

Kein Mensch will mehr in unsren Tagen
– Gott sei’s geklagt –
Die Wahrheit sagen.
Man scheut sich obendrein,
Mit seinem Gegner sich zu schlagen
Bei offenem Visier
Auf Hieb und Stich
Mit blanken Waffen.

Doch es gibt viele Affen,
Sie lausen uns und gaffen
Voll Ehrfurcht auf ein Ungetüm,
Das anonym
Als Vampyr und als Würger
Stets malträtiert den Bürger,
Weil niemand gern das Dunkel lüftet,
In dem das Untier sich verklüftet
Zu Flensburg an der Förde,
In Soest und seiner Börde,
Bei jeglicher Behörde.

– Gustave le Bon –

Im Denken ist der Mensch stets frei,
Er tut’s nur nicht,
Er ist zu faul,
Drum schaut er auch dem Scharlatan,
Hypnotisiert vom Massenwahn,
Begeistert auf das Lügenmaul
Und wiehert wie ein Karrengaul
Trotz Sielen, Kumt und Peitsche.

Der Wiedehopf beschmutzt sein Nest
Und hält auch an dem Brauchtum fest,
Wenn einer,
Der noch Unrat sieht,
Die Nase rümpft, wenn es geschieht.

Doch wenn der Staat
Ein gleiches tut
Wie dieser bunte Vogel,
Zieht prompt der Bürger seinen Hut
Und salutiert
Ganz ungeniert,
Weil warmer Mief im eignen Nest
– Und duftet er auch wie die Pest –
Ihn den Gestank nicht merken läßt,
Den alle andren riechen.

Man gibt sich demokratisch,
Doch das ist nur
– Echt herostratisch – Verwaltungsdiktatur,
Die immer noch
Dem freien Mann
Gern an den Wagen fuhr.
Die Freiheit liegt in Ehren
Im Wehren.

Man strahlt, man prahlt,
Man protzt und prunkt
Gern mit profundem Wissen,
Indes der Neider spöttisch unkt:
Der Kerl Ist von der Kuh gebissen,
Denn ihn beherrschten lebenslang
Nur Größenwahn und Geltungsdrang
Im Denken und im Handeln.

Ja, es ist jammerschade,
Kein Mensch steht heut mehr grade
Für alles, was er tut.

Man drückt sich hier,
Man deckt sich dort
In einem fort.
Man windet sich,
Man stellt sich quer,
Man schickt die Akten
Hin und her,
Und alles stimmt nur ungefähr,
Denn nichts ist mehr exakt,
Wir sind total versackt,
Und niemand ist zu fassen,
Der uns im Wahn
Den Tort hat angetan.

Verruchte Tat! Ich bitte sehr,
Gibt es denn keine Kerle mehr,
Die auch in unsren Tagen
Verantwortung noch tragen
Und grüßen nie den Gesslerhut
Und wagen,
Mit Mumm und Mut
Und heißem Blut
Die Fehde anzusagen
Auch der massiven roten Flut,
Um sich mit ihr zu schlagen?

Ja, es ist jammerschade,
Wir sind zu schlapp,
Zu fade
Und stehen nicht mehr grade
Vor unsren eignen Augen.

Kann da die Zeit viel taugen?

Wir haben die Juden erschlagen,
Wir haben sie massakriert,
Doch sind wir in unseren Tagen
Noch längst nicht vom Ungeist kuriert.

Wir machen die besten Geschäfte,
Na, wenn schon,
Was ist denn passiert?
Das Stöhnen und Ächzen der Opfer
Hat niemals den Mörder geniert.

Ich höre das Schluchzen der Frauen,
Im Blute liegt mancher Soldat,
Ich sehe das Kreuz und das Grauen
Am Wege von Stalingrad.

Was weiß der Satte
Von Ödemen,
Da er den Hunger gar nicht kennt,
Was wissen wir
Von Schuld und Sühne,
Wenn uns die Scham
Nicht auf der Stirne brennt,
Da wir
– Es ist ja kaum zu fassen –
Den Terror und den Meuchelmord
Aus Feigheit
Haben zugelassen.

Wir alle haben zuviel Angst
Vor einer hohen Obrigkeit,
Die stets gern dem Gewissenszwang
Den Knüppel und den Büttel leiht,
Obwohl der ganze Laden
Lebt von des Volkes Gnaden.
Man dreht den Spieß oft um;
Bleibst du dann stumm,
So ist dein Schweigen feige
Und ausgesprochen – dumm.

Man möchte stets
Die erste Geige spielen
Im Dorf, im Kreis,
Im Land und in der Stadt
Und drängt sich in den Vordergrund
Mit lautem Mund,
Bis daß man auf dem Podium
Den besten Platz ergattert hat.

Nun legt man los,
Es fehlen bloß
Die Ehre und die Treue,
Doch wer hält heut
Im Publikum
Dies Manko
Für ein Odium
Und eine deutsche Schande?

– Der Zauberlehrling –

Sie wissen nicht mehr, was sie wollen,
Sie jagen den Phantomen nach,
Sie wirtschaften stets aus dem vollen,
Und niemand hält sie mehr in Schach,
Denn das Budget
Tut nur dem Steuerzahler weh,
Und dieser bleibt dem Haushaltsplan Gehorsam stets und untertan,
Er haftet ja mit seiner Habe
Für ihn als braver Prügelknabe,
Anstatt vor allen Dingen
Die Schröpfer zur Räson zu bringen.

Ein Rennpferd, das nur Hafer frißt
Und will nicht galoppieren,
Wird bald schon seinen guten Ruf
Und auch sein Brot verlieren.
Doch mancher Esel hierzuland’,
Der grau und groß geworden,
Erhielt für seinen Unverstand
Als Dank noch einen Orden.

– Der Goldfasan –

Er war dem Namen nach ein Christ
Und zahlte Kirchensteuer.
Dann kam das braune Ungeheuer
Und schlug ihn in den Bann.
Flugs nahm er Hitlers Glauben an,
Trat rasch aus seiner Kirche aus
Und ward ein großer Mann
Im Dritten Reich.
Und dann?
Dann ward er klein
Und trat – vielleicht zum Schein –
Flugs wieder in die Kirche ein.
Das war nach fünfundvierzig. –
Nun zahlt er brav die Kirchensteuer
Und ist dem Namen nach ein Christ.
Ob er wohl weiß,
Daß er ein Schweinhund ist?

Man muß auch mal der Klerisei
– Wie Sanct Hieronymus
Dies wünscht
Als Kirchenvater und als Mönch –
Ganz unverblümt die Meinung sagen,
Wenn ihre Selbstgefälligkeit
Die Gläubigen läßt schier verzagen.

Ich mein hier nicht
Den großen Magen,
Von dem Herr Goethe spricht,
Ich denk nur an die Christenpflicht,
Die gern das Gute tut,
Was nicht ins Auge sticht
Und gnadenhaft im Werk und Wirken
Im Dunkeln leuchtet
Als ein Licht.

Ein überreich gedeckter Tisch
Kann auf die Dauer nie bekommen,
Und mancher müde Mann blieb frisch,
Hätt an Verstand er zugenommen
Anstatt nur an Gewicht.

Lang ist’s nicht her.
Weißt du nicht mehr,
Daß noch vor zwanzig Jahren
Soldaten bluteten
Und Juden starben,
Nur weil ein irrer Dilettant
Den Krieg vom Zaune brach
Und in sadistischer Verblendung
Kaltblütig und summarisch
Den Kindern Israels
Das Todesurteil sprach?

Weißt du es noch,
Wie es nach Schutt und Asche
In den zerbombten Städten roch?
Das ist nicht lange her,
Drum frag ich dich,
Was tust du selbst dagegen,
Wenn heut sich wieder mancherorts
Die Kräfte der Zerstörung regen?

Bruderzwist und Massenwahn,
Heuchelei und Neid und Mißgunst,
Standesdünkel, Bildungsstolz,
Titelsucht und Geltungsdrang,
Und was alles dem entsprang,
Wachsen, blühen und gedeihen
Weiterhin in unserm Land.

Wird dir, Freund, nicht angst und bang,
Wenn man fast ein Leben lang
Kämpfte mit dem Ungeheuer?
Und das Kind, das schwer gebrannt,
Das so lieb uns ist und teuer,
Scheut nicht Flamme, Gift und Feuer,
Wenn es damit spielen kann.

Es ist fast nicht zu glauben,
Was mancherorts passiert,
Nur weil der brave Bürger
Nicht aufmuckt und – pariert.

Es fehlt ihm stets die Traute,
Den Widerspruch zu wagen
Und dem, der ihn beklaute,
Das ins Gesicht zu sagen.

Man wurstelt lustig weiter
In dulci jubilo,
Die Welt wird nie gescheiter,
Doch tut sie gern stets so.

– Diktatorische Bürokratie –

Ich mach mir nichts
Aus sogenannten großen Tieren.
Ich meide sie,
Wo immer ich nur kann,
Doch kommen sie mir in die Quere,
Dann stoßen sie
Ganz unverhofft
Auf einen freien Mann,
Der sie durchschaut
Und tiefer blickt
Und jäh erschrickt
Ob der totalen Leere
In Germany.

Ich mach mir nichts
– Wie schon gesagt –
Aus sogenannten großen Tieren
Sie wirken häufig wie ein Störenfried.
Sie kosten Geld
Und fallen lästig obendrein
Und sind in Wirklichkeit ganz klein.
Was wundert’s Euch,
Daß sie sich nicht genieren,
Wie Diktatoren zu regieren,
Obwohl es diese Spezies
Angeblich nicht mehr gibt
In Germany.

Wir wissen nicht mehr,
Was wir wollen,
Wir sind zu träge und zu satt
Und schöpfen nur noch
Aus dem Vollen,
Auch wenn der andre gar nichts hat.

Wir sind so schwach, so faul, so matt
Und können uns schon lange nicht
Zum Kampfe mehr erheben,
Wir vegetieren nur
Und glauben,
Daß wir – leben.

Wir haben Gott den Herrn verleugnet,
Auch wenn wir in die Kirche gehn,
Und lassen bitterböses Unrecht
Mit Achselzucken glatt geschehn
Beim Nebenmann,
Der sich nicht wehren kann,
Und bieten
– wie als Entschuldigung
für das Versagen –
Dem Klingelbeutel
abgegriffne Münzen an.

Tam – tam und viel Trara
Mit Kränzen und mit Fahnen,
Und was dabei geschah
Verlief in ausgetretnen Bahnen,
Wie ich es häufig sah:
Von echter Trauer keine Spur,
Der Aufzug war ein Schaustück nur
Und die Statisten lachten,
Da sie nur an den Totenschmaus
Und das Gelage dachten
Und kaum noch an den Freund.

Der Nimbus ist ein Titel,
Der Nimbus ist das Geld,
Der Nimbus ist ein Mittel,
Das uns auf dieser Welt
In dunklen Banden hält.

Der eine will’s,
Weil es der andre hat:
Bekommt man diesen Schwindel
Nicht endlich einmal satt?

Man lobt sich gegenseitig
Und hüllt fast unvermeidlich
In schleimige Tiraden
Und dichte Weihrauchschwaden
Den Jubilar,
Weil er so manches Jahr
So hemmungslos und fleißig,
So aalglatt und was weiß ich
In unsrer Mitte war.

Ich kann den Kerl nicht leiden
Und muß den Umgang meiden,
Weil er an jede Angel ging,
An der ein fetter Köder hing,
Nach dem er gierig schnappte.

Es klappte.

Die Unrast rennt,
Die Zündschnur brennt,
Spürst du die öde Hetze?
Du zappelst schon in ihrem Netze
Und weißt nicht hin,
Du willst nicht her,
Dein Dasein ist so grau und leer,
Denn irgend etwas stimmt nicht mehr
In deinem Soll und Haben.

Wenn alle Ratsherren ständig nicken
Und ängstlich auf das Mienenspiel
Des Bürgermeisters blicken,
Dann trägt der brave Untertan
Selbst Schuld an dessen Größenwahn
Und muß die Folgen tragen.

Kennst du die Pfade noch,
Die wir gemeinsam gingen,
Als zart die Blätter grünten
Und aller Orten
Blumen standen,
Dir wir zu Kränzen wanden.
Weißt du es noch?

Die Kränze sind verdorrt,
Die Blumen
Längst gestorben,
Und doch war jede einst
Von Sehnsucht
Heiß umworben
Wißt ihr es noch?

Ich weiß es noch.
Drum gönn ich jedem stillvergnügt
Das rechte Maß der Freuden,
Die selber ich genossen,
Bevor des Gartens Wächter mir
Das Paradies verschlossen.

Du fühlst,
Was ich im Herzen denke,
Und was mich rührt
Und tief bewegt,
Wenn ich den Hut
Zum Abschied schwenke
Und ruf dir zu:
„Auf Wiedersehn!“

Ich hab dein Bild
Vor meinen Augen
Und spür die Tränen,
Die du weinst.
Zeitlebens
Bleib ich dir verbunden

Und hab dich gern
Wie einst.

Das Schöne,
Das ich sah,
Blieb manchem Auge
Ganz verborgen.
Ich freute mich
Am Heute stets
Und dacht an einem Sonnentag,
Wenn Friede auf den Fluren lag,
Trotz Kreuz und Pein und Sorgen
Nie an die Welt von morgen
Mit ihrem Zank und Lärm und Streit
Und meinem eignen Herzeleid,
Das unabwendbar ist.

– Saisonbedingt –

Von allem,
Was mir einst gehörte,
Verblieb mir nichts –
Und alles,
Was mich einst betörte,
Verfiel zu nichts,
Doch wenn der Schnee schmilzt
Um die Frühjahrszeit
Erzählt mir jeder
Sonst so stille Bach
Von Liebeslust und -leid,
Die immer wiederkehrt
Und scheinbar unvermeidlich ist,
Wenn an der Sonnenseite
An dem Hag
Die ersten Veilchen grünen.

Du mußt dich stets von allem trennen
Und einsam deines Weges gehn,
Auch wenn die Wunden
Schwärend brennen
Und Tränen dir im Auge stehn.
Die Härte wandelt sich zur Milde,
Wenn sich der Tag dem Abend neigt
Und bleich dem stygischen Gefilde
Ein Schatten nebelhaft entsteigt
Und schweigt
Im Angesicht der Ewigkeit.

Die Stille gibt dir ihr Geleit.
Bist du bereit?

Die Hülle ist verblichen,
Es schloß sich Grab und Gruft
Für jene,
Die uns glichen,
Doch unbezwingbar
Bleibt die Kluft,
Die uns von ihnen trennt,
Bis wir den gleichen Weg
Gegangen sind
Wie sie
Durch dieses dunkle Tor,
Das ich so weit
Geöffnet sah
Für uns.

Die Uhr läuft ab,
Still steht der Perpendikel,
In der die Unrast der Sekunde schwingt,
Und das Gewicht aus Blei und Messing
Berührt den Boden fast
Mit seiner Last.

Die Uhr steht still,
Die Unrast ist gewichen.
Und ein Gehäus
Aus totem Holz
Umschließt auch uns.

Ich fühlte stets mich der Entsagung
Mehr als der Lüsternheit verwandt.
Ich gab der Einsamkeit und Stille
Den Vorzug gern vor Spiel und Tand.

Ich schaute an verborgnen Stellen
Auch Dinge, die nicht sichtbar sind.
Das Wasser trank ich aus den Quellen
Und blieb so gläubig wie ein Kind.

Die Tage gehen nun zur Neige.
Der Winter kommt, es naht die Nacht,
Und auf den grünen Rasen fallen
Die weißen Flocken sanft und sacht.

De Dag vergonk (1962)

Ein nicht gerade sehr freundliches und warmherziges Geschick hat es mit sich gebracht, daß ich in meinem bewegten Leben Jahre hindurch tagtäglich mit Kommandierenden Generalen und Wehrmachtsbefehlshabern, mit Bischöfen, Prälaten, Professoren und Archimandriten, mit Ministern und anderen Zeitgenossen zu tun hatte, die glaubten, sie trügen einen bunten Rock und dünkten sich mehr als ihre Brüder. (Moses, 37,3).
Menschen derlei Schlages habe ich immer grundsätzlich und bewußt die kalte Schulter gezeigt, schon damit ich nie in den Verdacht käme, nach ihrer Gunst zu haschen. Das wäre mir als einem von Hause aus freien Niederdeutschen von Jugend auf zuwider gewesen und absurd erschienen.
Der Professor Dr. Hovestadt vom Städtischen Gymnasium in Münster pflegte seinen Primanern ihre Vergeßlichkeit mit den Worten zu illustrieren: „Sie haben auch schon bei Ihrer Geburt die Hauptrolle gespielt. Trotzdem bin ich sicher, daß Sie das ganze Drum und Dran dieses Vorganges gänzlich vergessen haben, wie Ihnen auch die einfachsten Begriffe der sphärischen Trigonometrie zeitlebens fremd geblieben sind.“
In der Tat ist auch das Erinnerungsvermögen der Menschen recht unterschiedlich und manches erscheint verschwommen, was uns einmal wichtig dünkte, vieles wird total vergessen und manches Erlebnis schmückt die Erinnerung mit einer Farbenpracht aus, die von der Koloratur des wirklichen Geschehens erheblich abweicht.
Als ich mein 65. Lebensjahr vollendete, erhob ich mich nach einem gesunden Schlaf von meiner Lagerstatt und sah die Sonne im Osten über der Bauernschaft Hoest aufgehen. Es war eine freundliche, milde Herbtsonne, wie sie uns mit fast konstanter Regelmäßigkeit in den Tagen zwischen den beiden jüdischen Hochfesten, dem Versöhnungsfest und dem Laubhüttenfest, scheint und erfreut. Vielleicht ist ein gläubiger Israelit der Unterstaatssekretär des lieben Gottes und sein Laubfrosch für die Wettermacherei seit Abrahams Zeiten.
Ich fuhr mit dem Fahrrad durch den stillen Frieden des Münsterlandes, besuchte das Grab meiner Eltern und sah die bereits umgebrochenen Äcker und die noch abzuerntenden Rüben- und Kartoffelfelder, ein Bild des Herbstes und Gleichnis zugleich für Werden und Vergehen.
Und zu genau der gleichen Stunde, in der ich vor 65 Jahren auf die Welt gekommen bin, stand ich an diesem frühen und fröhlichen Morgen an eben dieser alten Sohlstätte und gedachte der Vergänglichkeit der Menschen und der Zeiten. Da lag noch der alte Kieselstein in seiner ganzen Schwere und seiner ganzen Wucht und in seiner ganzen Ruhe und Härte des Inneren und Äußeren. Das Laub saß noch auf der alten Eiche, unter der ich schon als kleiner Knabe lag und träumte. Ihre Rinde war narbig. Ich streichelte sie, wie ich jedesmal tue, wenn ich sie treffe. Ich streichelte auch den Findling und die weit auseinanderstehenden Torpfeiler. Ich schloß die Augen, und es erstand vor mir das, was gewesen war und was entschwand. Ich sah meine Jugend, meine Eltern und meine Schwester, die Knechte und die Mägde, die Pferde, die Kühe, die Schafe und das zahlreiche Federvieh, das hoch aufstrebende, aus einem Wald von schweren Eichbäumen gefügte und dabei doch so feingegliederte Niedersachsenhaus in einer Länge und Behäbigkeit, in einer Stärke und Geschlossenheit, die ich anderswo vergeblich suchte. Ich sah das Backhaus und das Brauhaus, das zweigeschossige Flucht- und Vorratshaus, kurz Speicher genannt, die Scheune und den Schafstall, das Holzhaus und die Wagenremisen, den beweglichen zweirädrigen Schäferkarren als den Vorläufer der heutigen Wohnwagen und ganz hinten bei der Bleichkuhle das Immenhäuschen. Ich las vor dem Vüörschöpsel den alten Spruch, den der Erbauer in den Eichbalken schreiben ließ:
Alle Gaben, die wir haben, stammen, Gott, aus Deiner Hand, sei uns gnädig und bewahre Haus und Hof vor Pest und Brand.
Ich ging über die gewaltige Tenne und betrat die Halle, in der zur Erntezeit zwei voll beladene Fuder Platz hatten, wenn man sie von der Deichsel befreite. Ich sah den alten Herd und seine rote Flamme lodern, und sie beleuchtete die eiserne Platte, auf der von der Erschaffung der ersten Menschen an die Geschichte der Erlösung der Sterblichen dargestellt wurde. In großen Ziffern stand auf ihr die Jahreszahl: 1599.
Ich ging an der alten Wanduhr vorbei, die zu soviel freud- und leidvollen Geschehnissen die Stunde geschlagen hatte, stieg die Upkammer hinauf und sah die alten gotischen Schränke wieder, ich sah das Sattelzeug an der Wand und die Pistolen und die Feuerwaffen in fast musealer Folge seit der Erfindung des Schießpulvers aufgehängt, und ich öffnete den flachen Deckel einer langen Truhe und erblickte in ihr das Beiderhandschwert. Ich sah durch die bleiverglasten Fenster auf den alten Fliederbaum, in dem ich als Junge meine ersten Kletterübungen versucht hatte.
Ich ging zurück durch die Halle und trat nach draußen durch die Tür, in deren Supraporta zwei gekreuzte Schwerter von Ähren umkränzt wurden. Unter ihnen aber stand in gotischen Majuskeln:
VIVIS ET MORTUIS,
das heißt auf deutsch: Dieses Haus gehört den Gegenwärtigen und den Vergangenen, den Lebenden und den Toten.
Dann aber wandte ich mich ab.
Es ist nicht gut, am frühen Morgen schon so weich zu werden, wenn ein Tag vor uns steht, an dem weitere Erschütterungen einem sensiblen Gemüt, einem empfindsamen Herzen und einer aufnahmebereiten Seele nicht erspart bleiben könnten. (…)
Mir fiel es nicht schwer, den Bogen zu schlagen von der Wiege, in der ich lag vor 65 Jahren, zu dem Sarg, in dem ich ruhen werde, heute schon, oder morgen, oder vielleicht erst übermorgen, wie Gott es will.

De dag vergonk
Äs ahl de annern.
Bi’t Diäsken giww et
Kaon
Un Kaff.
So sall dat auk wull
Widdergaohn,
Bis wi us resst
Tolest
Int Graff.

Arabesken (1964)

Ich habe manche Schönheit verehrt, aber ich liebe nur drei Städte:
Straßburg, weil sich dort weitherzige Menschlichkeit mit echter Toleranz und alter Kultur verbindet, die sich mehr als anderswo erfolgreich davor schützt und hütet, in alberne Humanitätsduselei, zeitgemäße Vermassung und ordinäre Zivilisation nach Schema F abzugleiten.
In Budapest imponierte die selbstverständliche chevalereske Noblesse, die uns immer und überall bei Kellnern und Kammerzofen, bei Generalen und Kutschern, bei Fabrikar-beitern und Ministern, bei Grafen, Lakaien, Büchsenspannern und Zigeunern so ange-nehm auffiel. Sie konnte nicht angelernt und anerzogen, nein, diese Art mußte wegen ihrer unverfälschten Natürlichkeit und Ursprünglichkeit schon angeboren und darum so beständig sein.
Auf dem kargen Boden der Mark Brandenburg, der Streusandbüchse des heiligen Römi-schen Reiches deutscher Nation, wuchs Berlin zur Weltstadt heran. Fleiß und Gewis-senhaftigkeit, Hilfsbereitschaft und Schlagfertigkeit zeichnen ihre Bewohner aus.
Spree und Havel, der Grunewald und die Tegeler Heide, die Rehberge und der Tiergarten gehörten und gehören ebenso zum Bild dieser Metropole wie der Kurfürstendamm, der Wedding und die Ackerstraße.
Die stillen Seen bannte Leistikows Talent ebenso stimmungsvoll auf die Leinwand, wie er den zauberhaften Reiz der märkischen Kiefern einzufangen wußte.
Wie liebe ich diese Landschaft am Teufelssee und am Fenn, den Königs- und den Diana-see, den Hasensprung und die Hundekehle!
Hier saß ich des öfteren und gern im Freien, wenn ich nach Umrundung des Grunewald-sees Hunger und Durst verspürte. Die Speisekarte wies nur wenige Gerichte auf, aber sie waren schmackhaft zubereitet, das Bier schien gut gepflegt zu sein, und der Kellner be-nahm sich auch nicht mürrischer und unaufmerksamer als anderswo.
Etwa eine halbe Stunde hatte ich mich von der milden Herbstsonne bescheinen und er-wärmen lassen.
Im Gatter jenseits der Ausfallstraße nach Potsdam begann das Mutterwild brunftig und die Geweihten kampfeslustig zu werden.
Mir indessen knurrte der Magen, und ich versuchte, des Kellners innerhalb und außer-halb des Ausflugslokales habhaft zu werden. Ich fand ihn nicht, wohl aber las ich unter Glas und Rahmen eine Notiz für die Gäste.
Hier ist sie:
„An meine verehrten Gäste!
Bitte, regen Sie sich nicht auf, wenn Sie auf die Bedienung längere Zeit warten müssen. Es ist mir lieber, einen Gast als einen Kellner zu verlieren. Der Wirt.“
Die Berliner sind bekanntlich sehr helle.
Kein Gast hat sich mehr beschwert.
Der Wirt hatte auch keinen Ärger mehr mit seinem Personal.
Er machte nämlich pleite.

Eine große deutsche Tageszeitung brachte schwarzumrandete Todesanzeigen in mehreren aufeinanderfolgenden Ausgaben und in großer Aufmachung.
Es starb ein Mann den Herztod, der zweifelsohne in seinem Leben viel geleistet und es ebenso sicher auch weit gebracht hatte. Er war Generaldirektor eines weltbekannten Unternehmens, ein halb Dutzend mal Ehrendoktor, zwei Dutzend mal Aufsichtsrat großer Aktiengesellschaften, und was weiß ich sonst noch.
Natürlich spielte er auch in Verbänden eine große Rolle, denn er wußte sich durchzusetzen und hielt viel von public- und human-relations . . .
Auf seinem letzten Wege begleiteten ihn viele Zeitgenossen von Rang und Namen. Von den ihm nahestehenden Gesellschaften standen noch Nachrufe in den Tageszeitungen, als er schon längst begraben war.
Zweifellos ging eine markante Persönlichkeit in die Ewigkeit ein. Wenn jedoch ein industrieller Verband in einer Superlativen Traueranzeige betont, daß der Verblichene „für immer seinen Namen in die Geschichte der deutschen Industrie eingetragen hat“, so garantiere ich dafür, daß kein Lustrum vergehen wird, bis der Heimgegangene, abgesehen von seinen nächsten Verwandten, der allgemeinen Vergessenheit anheimgefallen sein wird.
Wenn wir schon im Leben recht unbescheiden geworden sind, sollten wir uns dann nicht wenigstens aus Respekt vor der Majestät des Todes ein klein wenig mehr Reserve auferlegen?

In Schilda und anderswo machen in Stadt und Land bei einer kühlen Blonden manche machthungrigen Kegelbrüder mitunter eine recht schlechte Kommunalpolitik, anstatt ihr unterhaltsames Sinnen und Trachten darauf zu richten, eine möglichst gute Kugel zu schieben und ihre etwaigen Bedürfnisse durch allerlei andere Kurzweil zu vertreiben, während in einigen Parlamenten leider zuweilen einige diäten-trächtige Abgeordnete sitzen, die vom demokratischen Tuten und Blasen keine Ahnung haben, vermessentlich auf die Unerfahrenheit, die Nachsicht und die sträfliche Gleichgültigkeit ihrer Wähler vertrauen und sich im übrigen auf ihr vermeintliches Kapitänspatent für große Fahrt verlassen, obwohl sie der Navigation völlig unkundig sind.
Bei der Strandung indessen sollen die Matrosen allein das Schiff wieder flottmachen. Kapitän und Steuermann haben es bei der ersten Sturmwarnung schleunigst verlassen, ihr Schäfchen ins Trockene und sich selbst in Sicherheit gebracht. Sie hielten sich zwar für berufen, aber sie waren nicht auserwählt.
Es fehlte ihnen das, was man gemeinhin mit einem einzigen Wort bezeichnet, mit dem Wort HALTUNG nämlich.

Auf dem Rasen vor meinem Hause äsen und spielen wilde Kaninchen. Mittlerweile sind sie so vertraut wie Stallhasen geworden. Sie lassen mich und meine beiden Begleiter Wolf und Waldow, zwei brave Schäferhunde, bis auf eine Anstandsdistanz von zwei bis drei Schritt herankommen, weil sie wissen, daß ihnen niemand etwas tut. Für die gute Behandlung zeigen sie sich auf durchaus karnickelmäßige Art, nämlich durch eine zahl-reiche Nachkommenschaft, erkenntlich.
Die Eichhörnchen besuchen mich in meinem Arbeitszimmer und in der Küche des öfteren, nehmen von meiner Anwesenheit kaum Notiz und treiben allerlei Schabernack.
Kohl-, Blau-, Sumpf- und Schwanzmeisen machen allerdings nur wintertags meinem Balkon aus naheliegenden Gründen ihre Visite, um sich ihr Deputat zu holen.
An dürren Ästen hämmern und trommeln Freund Grünspecht und der Kleine Buntspecht vor allen Dingen dann, wenn ich ruhebedürftig bin.
Dohlen, Ringeltauben, Wasserhühner, Misteldrosseln, Amseln, Bluthänflinge, Distel- und Buchfinken, Nachtigallen und Spatzen bereiten mir — ein jeder nach seiner Art und zu seiner Zeit — viele, viele Freuden.
Nun sind auch noch zwei junge Waldkäuze flügge geworden und treiben vor meinem Fenster ein possierliches Spiel, sobald die Dämmerung hereinbricht.
Die Laute, die sie von sich geben, und die absonderlichen Verbeugungen, die ihr Girren und Gurren begleiten, erschienen mir zunächst etwas unheimlich. Jetzt habe ich mich daran ebenso gewöhnt wie an das Schelten der Amseln, die sich beim Anblick der Nachtvögel nicht beruhigen können und unaufhörlich zetern.
Doch davon nimmt der Kauz keine Notiz.
Im besten Falle öffnet er bedächtig das linke oder rechte Augenlid und schweigt wie der Weise, wenn ihn ein Narr attackiert.

Wir hatten uns zwischen den beiden großen Kriegen in der ungarischen Donaumetropole zu einem Gabelfrühstück im Gellert-Hotel verabredet. Seinen Namen erhielt dies damals recht elegante Haus mit Heilquellen und Wellenschwimmbad nach einem frommen Manne, den seine Peiniger in ein Faß steckten, dessen Boden und Deckel, Dauben und Reifen sie festmachten, um es mitsamt seinem bischöflichen Inhalt vom Berg aus in die Donau zu rollen.
Ist es nicht beschämend, auf welche satanischen Torturen das menschliche Gehirn verfallen kann, um den Bruder und die Schwester zu martern und zu quälen und zu foltern?
Auch in unseren Tagen.
Auch in der „aufgeklärten“ Neuzeit.
Und auch im Wohlfahrtsstaat.
„Die Hölle, das sind die Anderen“, sagt der Existentialist Sartre, und „De äin is den annern sein Döüwel“ behauptet ein altes niederdeutsches Weistum.
Die Richtigkeit beider Feststellungen wird durch die alltägliche Erfahrung fast allerorts und viel häufiger bestätigt als uns lieb sein kann.
Leider.

Wir sind heutzutage bei uns in Deutschland unter das Fußvolk geraten. Systematisch unterwandern, durchsetzen, unterjochen und beherrschen sie uns. Überall machen sie sich breit, allerorts stoßen wir auf sie, und in Stadt und Land gebärden sie sich fast wie Tyrannen und wollen stets den Ton angeben, obwohl sie genau wie bei der Diktatur des Proletariats als Minderheit allen Andersdenkenden ihren Willen und ihre Ansicht aufzuzwingen trachten. Mit konstanter Bos- und Torheit bringen sie uns um die kümmerlichen, kaum wahrnehmbaren Ansätze unseres demokratischen Ansehens und ziviler Reputierlichkeit in der sogenannten freiheitlichen Welt. Die Ober nämlich: die Strafanstaltsoberwachtmeister und Obergefängnisinspektoren, die Oberfinanz-Präsidenten und die Obersteuersekretäre, die Oberregierungs-, Bundesbahnober- und Obervermessungsräte, die Obergerichtsvollzieher und Ober* Stadtdirektoren, Polizeiobermeister, Oberkriminalkommissare und Oberstabsfeldwebel, die Oberamtsrichter und Oberfeldärzte, die Oberschranken- und die Oberirrenwärter, die Ober, die Ober, die Ober.
Wer aber den Knigge nur von weitem einmal ganz flüchtig gesehen hat, weiß, daß man in einem einigermaßen guten Hause, dessen Besucher sich einen Stiefel darauf einbilden, feine Leute zu sein, niemals mit lauter, schnarrender Kommandostimme „Herr Ober!“ schreit, daß man vielmehr mit einem leicht und ungezwungen, angemessen und verbindlieh hingehauchten „Herr Kellner!“ des sofortigen Erscheinens des dienstbeflissenen Ganymed gewiß sein darf, sofern dieser Stimmenaufwand überhaupt erforderlich ist und unser aufmerksamer Betreuer nicht etwa schon von sich aus eine so gute Verbindung mit einem Gast unterhält, daß er auf einen sanften Blick oder eine leichte Handbewegung hin, sozusagen autoelektrisch und würdevoll wie ein Butler heranschreitend, unsere Wünsche entgegenzunehmen huldvoll geruht.
Dieser Mann indessen, der sich durch Haltung, Anzug, Sprache und Gebaren oft recht vorteilhaft von einem Berufsdiplomaten aus der besseren Kiste unterscheidet, würde sich beleidigt fühlen und uns nicht für satisfaktionsfähig halten, würde er von den Besuchern wie in einer viertrangigen Destille mit „Herr Ober!“ apostrophiert.
Ergibt sich jedoch im Laufe der Zeit, daß man menschliche Sympathien für einander empfindet, die eine förmliche Vorstellung angebracht erscheinen lassen, so wird man sich immer mit der beiderseits gebotenen Reserve und ohne plumpe Vertraulichkeiten die Wünsche wie bei jeder guten Partnerschaft von den Augen abzulesen bemüht bleiben und sich gegenseitig mit „Herr Schluckebier“ und „Herr Kranefuß“ begrüßen, wie es sich eben unter freien Staatsbürgern geziemt, deren Berufe zwar verschieden, deren Achtung vor- und deren Wertschätzung untereinander jedoch keineswegs vom Geldbeutel, vom Rang und vom Stand und von der Machtfülle des anderen abhängig ist, zumal der Schein oft trügt und sich unter einem abgeschabten, sauberen Arbeitskittel häufig viel mehr An-stand verbirgt, als es mancher Besitzer eines Bonner Anzuges jemals zu erahnen fähig ist.
Aber vielleicht wird heute vielerorts mehr Wert auf den Anzug als auf den Anstand gelegt. Als feine Leute möchten jedoch alle wenigstens nach außen hin gelten. Dann allerdings müßten sie auch beim Fehlen jeglicher inneren Substanz wenigstens die Umgangsformen wahren, wie sie unter anständigen Leuten wie Schluckebier und Kranefuß üblich sind. Oder gibt es heute kaum noch anständige Leute?
Oder ist etwa trotz gegenteiliger Versicherung und trotz bundesgerichtlichen Verbotes der KPD die Diktatur des Proletariats auch schon westlich der Elbe ausgebrochen?

Wir alle haben an allem etwas auszusetzen.
Der Meister an seinem Gesellen.
Der Prokurist an dem Handlungsbevollmächtigten.
Der Rittmeister an seinen Schwadronsoffizieren.
Der kaufmännische Direktor an dem Betriebsleiter.
Der Mann an der Frau.
Der Gast an der Bedienung.
Der Steuerpflichtige am Finanzamt.
Die Gläubigen an dem Pfarrer.
Die Gläubiger an dem Konkursverwalter.
Der Patient an seinem Arzt.
Der Erkennende an der Unwissenheit.
Der Weise an dem Narren.
Und so weiter und so fort und natürlich
– und erst recht versteht sich – auch umgekehrt.
Was mich betrifft, so hatte ich immer – Gott sei’s gedankt – mit mir selbst genug zu tun.
Wenn andere dem alten Herrn Bacchus die so sehr beliebten Libationen darzubringen mit erstaunlichem Eifer sich befleißigten, legte ich mich auf ein hartes Lager, um vor Tagesgrauen, das zu hören, zu sehen, zu fühlen und zu spüren, was der Masse alle Zeit verwehrt und vorenthalten bleibt.
Und es lohnte sich.
Am Salgir erging ich mich vor Tau und Tag und traf die Musen.
Die eine nach der anderen.
Und sie begegneten mir des öfteren ganz unverhofft und unerwartet auch anderenorts. Und eine von ihnen erwies mir ihre besondere Güte und Gunst und verriet mir den Musenquell Hippokrene.
Oft habe ich aus ihm getrunken und sein reines kristallklares Wasser vermeine ich auch heute noch auf meiner Zunge zu schmecken, wenn mich dürstet. Und es dürstet mich oft in der Steppe des Wohlstandes und ihrer traurigen Öde.

Ich schätze die Stille, und ich liebe die Einsamkeit. Ich suchte sie, wenn ich ihrer bedurfte.
Und ich hatte sie oft vonnöten in der Unrast unserer Tage.
Immer und überall fand ich die Stille und erfreute mich der Einsamkeit, wenn ich meine eignen Wege ging, ein wenig abseits nur vom Trampelpfad, auf dem die Masse sich bewegte.
Und die Stille schenkte mir den Frieden. Und die Einsamkeit brachte das sonst so himmelweit Entfernte mir unbemerkt oft greifbar nahe.
Wie froh bin ich, daß mir der Segen der Stille und das echte Glück der Einsamkeit bewußt geworden sind. Beide blieben mir zeitlebens treu. Und weder die eine noch die andere gaben mir jemals Veranlassung, an ihrer Beständigkeit auch nur den leisesten Zweifel aufkommen zu lassen.

Manche halten
das Seligwerden für ein Geschäft
wie jedes andere.
Sie zahlen treu und brav
die oft recht hohen Kirchensteuern
und meinen,
das sei genug für eine Eintrittskarte
in den Himmel
und gäb’ ein Anrecht
auf den Logenplatz.
Sie irren.
Bei Petrus gelten keine Assignaten.

Wegemarken (1966)

Was mir gefällt,
Stößt andre ab.
Ich liebe ja die Stille
Und seh das Treiben dieser Welt
Durch meine eigne
Scharfe Brille.

Ich stieß auf stillen Pfaden
Auf die verborg’nen Schätze
Und fand im tiefsten Walde
Die wundersamsten Plätze.

Ich freute mich am Edlen,
Am Schönen wie am Guten,
Doch sah ich in der Niederung
Das Wahre und Erhabene,
Das Hohe und das Hehre
Aus tausend Wunden bluten.

Man geht an seine Arbeit,
Man stürzt sich ins Vergnügen.
Und hier und dort geht’s rund,
Doch hab ich schon seit Jahren
Den bitteren Geschmack im Mund.

Noch geht es rund.
Noch …

Wenn jemand noch nicht fähig ist,
Sein Tun zu kontrollieren,
Dann sollt’ man ihm zu seinem Schutz
Den Vormund konzedieren.
Ich bin so frei und sage es,
Daß oft auch alte Knaben
Am Rheine und auch anderswo
Betreuer nötig haben.

Wer die Sparsamkeit vergißt,
Macht zu hohe Zechen,
Und die Kassen sind schon leer,
Geht es an das Blechen.

Wir haben alles,
Was wir wollen:
Champagner, Whisky, Bier und Wein
Wir prassen heillos
Aus dem Vollen
Und dienen letztlich nur dem Schein,
Als ob die leeren Flaschen
In den Straßengräben
Uns Weg und Richtung gäben
Zu dem Ziel.

Wer hinter die Kulissen schaut,
Und weiß um die Regie,
Der hofft, daß uns der große Gott
Den Unverstand verzieh.

Glaubt doch nicht, ihr wäret besser,
Weil ihr manches eher wißt
Und nach der Erfordernis
Schnell die weiße Fahne hißt.

Früher war man Monarchist,
Heute wieder Demokrat,
Wirst du morgen Terrorist,
Was du in der braunen Zeit
Mit Begeisterung schon mal
Jahrelang gewesen bist?

Gleiches drängt sich hin zu Gleichem,
Doch auch Widerspruch zieht an,
Wenn das Große und das Ganze
Davon profitieren kann.

Macht weiterhin doch Krach und Lärm,
Verschmutzt das Wasser und die Luft,
Laßt qualmen es und stauben!
Wir alle lassen liebend gern
– es ist ja kaum zu glauben –
Und ohne ernsten Widerstand
Uns die Gesundheit rauben.

Wir stöhnen und marschieren,
Wir hasten und wir rennen,
Doch müssen wir verlieren,
Wenn wir das Ziel nicht kennen.

— Windhuk —
Macht doch nicht soviel Geschrei
Von Euren guten Taten,
Die mehr Wichtigtuerei
Als Edelsinn verraten.

Manche rasen durch die Gegend,
Um zur Ruhe zu gelangen;
Denn sie wissen mit sich selber
Weiter gar nichts anzufangen.

Wer wirklich was zu sagen hat,
Wird in der Regel schweigen,
Wo Dummheit, Hochmut, Unvernunft
Sich allzu deutlich zeigen.

Wer immer alles besser weiß
Als kluge Leut’ des Faches,
Der leidet ganz erheblich schon
Am Schaden seines Daches.

Du siehst mit offnen Augen nicht
Die Blumenpracht am Wege,
Das Nest mit dem Gelege,
Das Wild und sein Gehege.
Und bist nicht auf dem Posten
Bei dem Genuß von Freuden,
Die allerwärts nichts kosten.

Die Sonne
Ließ die Äpfel reifen
In goldner Pracht.
Der Mensch,
Zu dumm,
Die Gunst der Stunde zu begreifen
Und viel zu träge,
Sich zu bücken,
Geht stumm vorbei
Mit steifem Rücken
Und läßt am Wegesrain
Und anderwärts
Die Köstlichkeiten
Ungenützt
Verkommen
Und verderben.

Du schrittest an dem Grab vorbei,
In dem du hättest liegen können,
Doch hier, nur hier, will jeder Mann
Dem andren gern den Vortritt gönnen.

Der Vielfraß schätzt die Tafel,
Die Made lebt vom Speck,
Was bleibt von beiden übrig?
Vermutlich nur – pardon –
Ein Dreck.

Ich will
Ja gar nichts von euch wissen
Und bitte euch:
Laßt mich in Ruh!
Ich gönn’ euch gern
Die größten Bissen.
Erstickt daran,
Ich schau nur zu.

Wo es nottut, muß ich kämpfen,
Auszuweichen liegt mir nicht,
Und ich fühle mich am wohlsten,
Bläst der Wind mir ins Gesicht.

Ich freue mich an allem Schönen
Unbändig wie ein kleines Kind,
Obwohl ich weiß,
Daß zarte Blüten
Nach kurzer Pracht verblichen sind.

Fahr’ mit dem Rad durch Feld und Flur
Auf stillen, kaum bekannten Wegen,
Wenn in dem morgendlichen Wind
Sich Halm und Ähre wiegt
Und über Lärm und Hast erhaben
Auf Haus und Hof
Und Saat und Mahd
Das Ewige und Einsame,
Das Göttliche
Der Ruhe liegt,
Nach der die Seele dürstet.

Ich schätze
Den gepflegten Garten,
Doch lieber ist mir jener Wald,
In dem die Bäume
Ihren Tod erwarten,
Wenn sie in Ehren
Wurden alt.

Bewegung spürt’ ich
In der Ruhe
Und in dem Ringen mit dem Tod.
Ich hörte auch
Die Stille sprechen
Und was das Schweigen mir gebot.
Ich weiß es wohl
Und bin betroffen,
Daß ich nur in der Einsamkeit
Als Gleichnis
Sah den Himmel offen
Im Angesicht der Ewigkeit.